* 16. Der Kaiser. 87
der König „minderjährig oder sonst dauernd verhindert ist, selbst zu regieren“, hat
der preußische Landtag zu beschließen, den der Agnat sofort zu berufen hat.
Regent ist der nächste Agnat schon durch die Uebernahme der Regentschaft ge-
worden; der Regent hat die Regentschaft niederzulegen, wenn der Landtag ihre
Nothwendigkeit nicht anerkennt. Bis zur Niederlegung, zum Mindesten bis zu
dem Beschlusse, der die Nothwendigkeit nicht anerkennt, besteht die Regentschaft zu
Recht. Der Beschluß, daß die Regentschaft nicht nothwendig sei, hat keine rück-
wirkende Kraft (vgl. Arndt, Komm. zur preuß. Verf., S. 111).
Artikel 57 der Preußischen Verfassungsurkunde schreibt sodann vor:
„Ist kein volljähriger Agnat vorhanden und nicht bereits vorher gesetz-
liche Fürsorge für diesen Fall getroffen, so hat das Staatsministerium die
Kammern zu berufen, welche in vereinigter Sitzung einen Regenten erwählen.
Bis zum Antritt der Regentschaft von Seiten defselben vertritt das Staats-
ministerium die Regierung."“
Der preußische Landtag ist in solchem Falle in der Person des zu Wählenden
nicht beschränkt; dieser muß regierungsfähig sein. Seine Funktionen hören auf,
sobald der Thronfolger oder der nächste Agnat (durch Erreichung der Großjährigkeit,
Wiedererlangung der Gesundheit) regierungsfähig wird.
Artikel 58 der Preußischen Verfassungsurkunde bestimmt:
„Der Regent übt die dem Könige zustehende Gewalt in dessen Namen
aus. Derselbe schwört nach Einrichtung der Regentschaft vor den vereinigten
Kammern einen Eid, die Verfassung des Königreichs fest und unverbrüchlich
zu halten und in Uebereinstimmung mit derselben und den Gesetzen zu
regieren. Bis zu dieser Eidesleistung bleibt in jedem Falle das bestehende
gelaemte Staatsministerium für alle Regierungshandlungen verant-
wortlich.“
Der Regent von Preußen steht mit Ausnahme des Titels überall, auch in
Ansehung seiner Unverantwortlichkeit, staatsrechtlich dem Könige von Preußen gleich.
(Allerhöchster Erlaß vom 7. Oktober 1858, Preuß. Ges.-S. 1858, S. 537). Er
übt daher ipso jure in und mit der Regentschaft in Preußen auch die Präfidial-
befugnisse im Reiche aus. Er beruft und schließt Bundesrath und Reichstag,
vertritt das Deutsche Reich völkerrechtlich, erklärt Krieg und Frieden im Namen
des Reiches, ist Bundesfeldherr, ernennt den Reichskanzler u. s. w. Er übt die
Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen und in den Schutzgebieten aus. Er ist auch in
Ansehung der Ausübung der Präßidialbefugnisse ebenso unverantwortlich wie der
Kaiser. Strafrechtlich genießt er einen geringeren Schutz; denn nicht die
§§ 80, 81, 94 und 95, sondern die (milderen) §§ 96, 97, 100 und 101 des
Reichs= Strafgesetzbuchs finden auf den Regenten Anwendung; s. auch Hugo
Meyer, Deutsches Strafrecht, 8. Aufl., S. 608. Die Ausübung der Präfidialbefug-
nisse hängt so wenig wie die der Regentschaft im Allgemeinen von der Eidesleistung
des Regenten ab. Nur kann der Regent vor der Eidesleistung das Ministerium nicht
wechseln (ebenso Graßmann im Archiv für öffentliches Recht, Bd. VI, S. 489 ff.).
Liegt der Fall des letzten Satzes in Artikel 57 der Preußischen Verfassungsurkunde
vor, d. h. führt das preußische Staatsministerium die Regierung in Preußen, so
darf zund muß es mit dieser Regierung zugleich die Präsidialbefugnisse im Reiche
ansüben.
Der Regent von Preußen und im Falle des letzten Absatzes in Artikel 57 der
Preußischen Verfassungsurkunde das preußische Staatsministerium bedürfen bei Aus-
übung der Präßddialrechte keiner Anerkennung von Seiten des Bundesrathes oder
des Reichstages. Sie können und müssen diese Rechte selbst gegen den Willen und
Widerspruch von Bundesrath und Reichstag ausüben. Ebenso ist es eine interne
preußische Angelegenheit, ob die Erbfolgeordnung an der Krone in Preußen ge-
ändert wird (Arndt, Komm. zur Reichsverfassung, S. 125, Laband, Reichs-
staatsrecht, I, S. 125, Seydel, Comm. zur Reichsverfassung, S. 155).