Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Kaiser bedarf es nicht. Ein im Bundesrat ange- 
nommenes Gesetz muß verkündigt werden, sobald 
es auch die Zustimmung des Reichstags erlangt 
hat; der Kaiser hat also das sog. Veto nicht. 
Der Bundesrat bildet nicht eine Art Ober- 
haus, das in Verbindung mit dem dazu gehörigen 
Unterhaus (Reichstag) und dem beiden übergeord- 
neten Kaiser die gesetzgebende Gewalt im Deutschen 
Reich auszuüben berufen wäre. Er ist die Ver- 
tretung der zum Reich vereinigten Staaten, welche 
in ihrer Vereinigung die Regierung des Reichs 
bilden, der „Repräsentant der eigentlichen Sou- 
veränität“ des Deutschen Reichs. Die verbündeten 
Regierungen üben ihr Bundesrecht durch Bevoll- 
mächtigte aus. Diese haben nach den ihnen von 
ihren Regierungen (nicht auch Landtagen) erteilten 
Instruktionen zu stimmen. Jedes Bundesglied kann 
so viel Bevollmächtigte zum Bundesrat ernennen, 
wie es Stimmen hat (s. u. Tabelle), die Gesamt- 
heit der zuständigen Stimmen darf nur einheitlich 
abgegeben werden. Der Bundesrat ist 1) Organ 
der Gesetzgebung: er entscheidet über die dem 
Reichstag zu machenden Vorlagen und die von 
ihm gefaßten Beschlüsse; 2) Organ der Regie- 
rung: bei Erklärung eines Angriffskriegs, bei 
völkerrechtlichen Verträgen, bei Auflösung des 
Reichstags, bei Ernennung gewisser Reichsbeam- 
ten (Reichsgericht, Reichsbankdirektorium, Reichs- 
versicherungsamt u. dgl.) und bei Vollstreckung der 
Bundesexekution ist der Kaiser an die Mitwirkung 
des Bundesrats gebunden; 3) Organ der Ver- 
waltung: er erläßt, sofern nicht gesetzliche Aus- 
nahmen bestehen, die zur Ausführung der Reichs- 
gesetze erforderlichen Verwaltungsvorschriften, stellt 
die Reichseinnahmen fest und prüft die Rech- 
nungslegung über deren Verwendung; 4) Organ 
der Rechtspflege: Streitigkeiten zwischen verschie- 
denen Bundesstaaten werden, insofern sie nicht 
als privatrechtlicher Natur vor die Gerichte ge- 
hören, auf Anrufen des einen Teils vom Bundes- 
rat erledigt. Auch hat der Bundesrat auf An- 
rufen Verfassungsstreitigkeiten, d. h. Streitigkeiten 
zwischen Regierung und Parlament oder zwischen 
mehreren Thronprätendenten, in einem Bundes- 
staat gütlich auszugleichen, oder wenn dies nicht 
gelingt, durch Reichsgesetz zu erledigen; auch Be- 
schwerden über gehemmte oder verweigerte Rechts- 
hilfe können aus den einzelnen Bundesstaaten 
heraus an den Bundesrat gebracht werden, wo- 
fern auf gesetzlichem Weg ausreichende Hilfe nicht 
zu erlangen sein sollte. Wenn Bundesmitglieder 
ihre verfassungsmäßigen Bundespflichten nicht er- 
füllen, können sie dazu durch Bundesexekution 
angehalten werden. Diese beschließt der Bundes- 
rat und vollstreckt der Kaiser. Bei Beschlußfassung 
über Angelegenheiten, welche nicht das ganze Reich 
angehen, werden nur die Stimmen der Staaten 
gezählt, welche daran beteiligt find. Die Vorlagen 
für den Reichstag werden im Namen des Kaisers 
an denselben gebracht und durch Mitglieder des 
Bundesrats oder von letzterem bestellte Kommissare 
Deutsches Reich. 
  
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vertreten. Jedes Bundesgebiet ist berechtigt, Vor- 
schläge an den Bundesrat zu bringen und im 
Reichstag vertreten zu lassen, selbst dann, wenn 
sie von der Mehrheit des Bundesrats nicht an- 
genommen worden sind. Zur Beschlußfassung ist 
einfache Majorität nötig; nicht vertretene Staaten 
und Stimmen, die mit dem Bemerken abgegeben 
werden, man stimme ohne Instruktion, zählen nicht; 
bei Stimmengleichheit enzscheidet die preußische 
Stimme. Anderungen der Reichsverfassung sind 
abgelehnt, wenn 14 Stimmen dagegen sind; 
Preußen kann also allein jede Verfassungsände= 
rung hindern. Außerdem hat Preußen ein Veto 
gegen alle Anderungen des Bestehenden in Mili- 
tär-, Marine= und Steuersachen. Die Abände- 
rung von Sonderrechten der einzelnen Staaten 
bedarf deren Zustimmung. Diese Sonderrechte 
bestehen entweder in einem erhöhten Anteil an der 
Reichsverwaltung (so hat Preußen z. B. das 
Bundespräsidium) oder in einer gänzlichen oder 
teilweisen Befreiung von Unterordnung unter die 
Reichsgewalt (negative Sonderrechte, Reservat- 
rechte). Reservatrechte haben Bayern, Württem- 
berg und Baden für Gesetzgebung und Verein- 
nahmung der Biersteuer, Bayern und Württem- 
berg hinsichtlich der Post= und Telegraphenver= 
waltung und der Verwaltung und Kommando- 
führung ihrer Kontingente, Hamburg und Bremen 
für ihre Freihäfen. Von besonderem Interesse 
sind die von dem Bundesrat aus seiner Mitte ge- 
bildeten Ausschüsse, welche aus dem Präsi- 
dium und mindestens 4 Bundesstaaten bestehen, 
die aber sämtlich nur je eine Stimme führen. Es 
sind dies: 1) der Ausschuß für das Landheer und 
die Festungen, dessen Mitglieder vom Kaiser er- 
nannt werden mit Ausnahme von Bayern, das 
einen ständigen Sitz in diesem Ausschuß hat. 
Außerdem ist den Königreichen Württemberg und 
Sachsen durch die mit ihnen abgeschlossenen Mili- 
tärkonventionen das Recht gewährleistet worden, 
in diesem Ausschuß vertreten zu sein, also in jedem 
Jahr in denselben gewählt zu werden; 2) für das 
Seewesen, dessen Mitglieder sämtlich von Preußen 
ernannt werden; 3) für Zoll= und Steuerwesen; 
4) für Handel und Verkehr; 5) für Eisenbahnen, 
Post= und Telegraphen; 6) für Justiz; 7) für 
Rechnungswesen; 8) für auswärtige Angelegen- 
heiten; 9) für Elsaß-Lothringen; 10) für Ver- 
fassung und 11) für Geschäftsordnung. Die 
Mitglieder der unter Nr 3 bis 7 genannten Aus- 
schüsse werden von dem Bundesrat auf die Dauer 
eines Jahrs gewählt, sind jedoch wieder wählbar. 
Der Ausschuß für die auswärtigen Angelegen- 
heiten (der „diplomatische“ Ausschuß) be- 
steht aus Bayern, Sachsen, Württemberg und 
zwei vom Bundesrat alljährlich zu wählenden 
Bevollmächtigten anderer Bundesstaaten unter 
dem Vorsitz Bayerns. Er dient zur Entgegen- 
nahme von Mitteilungen über die auswärtigen 
Beziehungen des Reichs und zum Austausch der 
Ansichten der verbündeten Regierungen über die-
	        
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