1365
eigener Mannschaft oder Verfolgung von einem
überlegenen Feind, zu weite Entfernung des
nächsten Hafens, in den das Handelsschiff geführt
werden könnte.
In der Handelswelt ist allgemein das Bedürfnis
fühlbar geworden, daß die Ausübung des Durch-
suchungsrechts völkerrechtlich geregelt werde. Dieser
kommt es dabei auf die Verwirklichung der beiden
Grundsätze an, daß die tatsächliche Durchsuchung
eines neutralen Kauffahrteischiffes nur dann statt-
finden darf, wenn die Schiffspapiere dem feind-
lichen Marineoffizier Veranlassung zu dem Ver-
dacht geben, daß sie gefälscht sind, während andern-
falls die Vorlegung dieser Papiere genügen soll,
und daß ferner neutrale Handelsschiffe in dem
Geleit eines Kriegsschiffes ihrer Nation von der
Durchsuchung frei sind, sobald der Kommandeur
des Kriegsschiffes auf sein Ehrenwort die Erklärung
abgibt, daß keine Kriegskonterbande an Bord jener
Schiffe befindlich ist. Die Nachforschungen sollen
sich in jedem Fall auf die Feststellung zu be-
schränken haben, ob das Schiff nicht etwa Kriegs-
Ebenbürtigkeit.
1366
konterbande, militärische Depeschen für den Feind,
Truppen usw. an Bord führe.
Literatur. Calvo, Le droit international
théorique et pratique (6 Bde, Par. 1896); H.
B. Deane, The law of blockade (1870); Geßner,
Le droit des neutres sur mer (1876); Haute-
feuille, De droits et de devoirs des nations neu-
tres en temps de guerre maritime (1884); Heff-
ter, Das europ. Kölkerrecht der Gegenwart (81888,
bearb. von Geffcken); v. Kckltenborn, Grundsätze des
prakt. europ. Seerechts (2 Bde, 1851);
Lawrence, Commentaire sur les 61éments du droit
international de Henry Wheaton (1873); Mac-
lachlan, Treatise on the law of merchant shipping
(1876); Ortolan, Règles internationales et diplo-
matie de la mer (1864); Phillimore, Commen-
taries upon international law (4 Bde, 1879/89);
Twiss, The law of nations (2 Bde, 21875); Pe-
rels, Das internationale öffentl. Seerecht (21903);
Kleen, Lois et usages de la neutralité 1 (1898);
Rivier, Lehrb. des Völkerrechts (21899); Dupuis,
La Guerre maritime (1899); Leroy, La Guerre
maritime (1900); v. Mirbach, Die völkerrechtl.
Grundsätze des D. zur See (1903). (Spahn.)
E.
Ebenbürtigkeit. 1. Geschichtliche Ent-
wicklung. Die Lehre von dem Ebenbürtigkeits-
prinzip in den Familien des deutschen Hochadels
ist viel bestritten. Man versteht (nach F. Haupt-
mann, Das Ebenbürtigkeitsprinzip in den Familien
des deutschen Hochadels, im Archiv für öffentl.
Recht XVII 1902) 529 ff) darunter die Frage,
„ob nach gemeinem Recht in den Familien des
hohen Adels in Deutschland zur Vollgültigkeit der
Ehe und damit zur Sukzessionsfähigkeit der aus
ihr hervorgehenden Kinder Ebenbürtigkeit der
Frau, d. h. ihre Zugehörigkeit zum hohen Adel,
gefordert sei, oder ob es genüge, wenn sie aus
niederem Adel sei“. Wie über die Geltung dieses
Prinzips die Juristen des 18. und 19. Jahrh.
uneinig waren, so auch über die Zeit der Ent-
stehung desselben. „Die einen lassen es aus dem
Mittelalter der Neuzeit überkommen sein; andere
behaupten im Gegenteil, im Mittelalter habe das
Konnubium zwischen hohem und niederem Adel
uneingeschränkt zu Recht bestanden, und noch im
16. Jahrh. habe das römische Recht dem damals
langsam aufkommenden Ebenbürtigkeitsprinzip
erfolgreich Widerstand geleistet. Erst in der Zeit
des Absolutismus sei es in verschiedenen Häusern
durchgedrungen, wobei dann die Vertreter dieser
Ansicht wieder verschiedener Meinung darüber sind,
ob dieses Prinzip damals es zu einer gemeinrecht-
lichen Geltung gebracht habe oder nur in den
Häusern rechtsverbindlich sei, wo die Hausgesetze
es ausdrücklich fordern.“
Diese irrigen Meinungen sind aufgebaut auf
der Anschauung, daß hoher und niederer Adel aus
der gleichen Quelle, und zwar aus der altfreien
Bevölkerung, hervorgegangen sei (so Pütter, Über
Mißheiraten teutscher Fürsten und Grafen [Göt-
tingen 1796; Göhrum, Die Lehre von der Eben-
bürtigkeit /(2 Bde, 18461; Zöpfl, Über Miß-
heiraten in den deutschen regierenden Fürsten-
häusern (1853)).
Gegen diese Auffassung wendet sich mit Recht
Hauptmann, indem er als unzweifelhaft annimmt,
daß der niedere Adel aus unfreien Elementen, der
alte Hochadel dagegen aus den Freien hervor-
gegangen ist, und zwar aus denen, „die mächtig
genug waren, ihre Freiheit gegen alle Anfechtung
zu behaupten. Von diesen führten die, welche eine
Grafschaft vom Reich zu Lehen trugen, den Grafen-
titel; die andern, welche großes freies Allod besaßen,
waren freie Herren (Freiherren) auf demselben,
auch edle Herren oder einfach Herren genannt.
Beide zusammenbildeten den Herrenstand“ (Haupt-
mann a. a. O. 538). Danach bestimmt sich auch
das Ebenbürtigkeitsprinzip.
Das deutsche Ständewesen der Urzeit kennt noch
keine kastenmäßige Abschließung. Ein eigentlicher
Adelsstand war damals kaum in den Anfangs-
stadien seiner Entwicklung. Wahre Stände gab
es nur zwei, die Freien und die Liten. Doch
war die zwischen ihnen bestehende Kluft nicht un-
überbrückbar. Freilassung und Aufnahme in die
Volksgenossenschaft gewährte dem Liten die Rechte
des Freien. „Die Knechtschaft war“ (wie Brun-
ner in seiner Deutschen Rechtsgesch. I2 150
sagt), „weil Rechtsunfähigkeit, nicht sowohl ein
Stand als vielmehr ein Zustand der Standes-