Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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die Nutzung und die Wirtschaft eingerichtet. Be- 
günstigt wird immer dasjenige Erzeugnis, welches 
die Bevölkerung auf ihrer Wirtschaftsstufe am 
notwendigsten hat. Dies ist durchaus nicht immer 
das Holz; im Gebirge wird der Wald mehr wegen 
der Waldweide, anderswo wegen der Streunutzung, 
der Mast usw. geschätzt. — Eigentümlichkeiten des 
forstlichen Betriebes sind: die Beschränkung des 
Waldbaues auf die weniger fruchtbaren, steileren 
und von den Wohnorten entfernter gelegenen 
Grundstücke, die geringe Arbeitsgelegenheit beim 
Waldbau gegenüber dem Feldbau und die Not- 
wendigkeit der Ansammlung eines im Walde (auf 
dem Stocke) stehenden Holzkapitals. — Die Forst- 
politik bildet einen Teil der Volkswirtschafts- 
politik. Sie untersucht die Waldungen in ihren 
Beziehungen zum öffentlichen Wohl und leitet 
aus diesen die Pflicht der öffentlichen Gewalt her, 
die Forstwirtschaft zu fördern. Geschieht dies 
mehr auf dem Wege der Belehrung, so pflegt man 
die verschiedenen Maßregeln als Ausfluß der 
Forstpolitik zu bezeichnen. Beruhen dagegen die 
Vorschriften auf der gebietenden und zwingenden 
Autorität des Staates, so spricht man wohl von 
forstpolizeilichen Maßregeln. 
II. Frühere und jetzige Ausdehnung des 
Waldes. In kultivierten Ländern ist die vor- 
handene Waldfläche in der Regel nur noch der 
Rest des ehemaligen Urwaldes. In diesem hat 
die Bevölkerung im Laufe der Jahrhunderte Ro- 
dungen vorgenommen, um auf den gelichteten 
Stellen ihre Wohnsitze errichten und Land zum 
Anbau der Nahrungsmittel und zur Ernährung 
der Haustiere gewinnen zu können. Viele Orts- 
und Flurnamen sind ursprünglich Waldnamen 
und zeigen an, daß das heutige Kulturland an die 
Stelle des ehemaligen Waldes getreten ist. Bei 
diesen Rodungen ist nicht etwa regellos vorge- 
gangen worden. Wenn man die heute noch vor- 
handene Waldfläche in ihrem Verhältnis zu den 
übrigen Arten der Bodenkultur (Ackerland, Wiesen, 
Weinberge, Weiden) näher untersucht, so treten 
die eingehaltenen Grundsätze und die leitenden 
Motive bei Verteilung des Bodens zwischen Wald 
und Feld deutlich zutage. Die Gelände, welche 
landwirtschaftlich benutzt werden, müssen die gün- 
stigsten natürlichen Bedingungen des Pflanzen- 
wachstums vereinigen, wenn ihre Bebauung loh- 
nend sein soll. Sonnige, warme Lage, ein an- 
gemessener Grad von Bodenfeuchtigkeit, ein nicht 
zu geringes Maß von natürlicher Fruchtbarkeit 
des Bodens und ein Neigungsgrad, welcher die 
landwirtschaftliche Bestellung nicht zu sehr er- 
schwert und verteuert, sind die Anforderungen, 
welche an landwirtschaftlichen Grund und Boden 
gestellt werden. Zu diesen natürlichen, mit dem 
Boden und dem Klima zusammenhängenden Be- 
dingungen kommen noch ökonomische Faktoren, 
welche berücksichtigt werden müssen; so die Ent- 
fernung der landwirtschaftlichen Grundstücke von 
den Wohnsitzen, weil bei zu großen Entfernungen 
Forstwirtschaft usw. 
  
196. 
vom Wohhnsitze die Kosten der Bebauung zu hoch 
werden, die Benutzung des Waldes als Weide- 
platz usw. 
Die Art der Ansiedlung, ob diese in großen ge- 
schlossenen Dörfern oder in kleinen Weilern und 
Einzelhöfen geschieht, hängt selbst wiederum von 
der Formation des Bodens, seiner geologischen 
Abstammung, der Steilheit seiner Hänge und ins- 
besondere auch von der Möglichkeit der Wasser- 
gewinnung ab. Daneben spielen auch die Eigen- 
tümlichkeiten der verschiedenen Volksstämme eine 
gewisse Rolle. Aber in erster Linie sind es doch 
überall die natürlichen, durch die geologische und 
topographische Beschaffenheit des Terrains ge- 
gebenen Gesichtspunkte, welche bei der Auswahl 
des Bodens zur landwirtschaftlichen Benutzung 
entscheidend sind. Die ebenen Flächen sind in der 
Regel landwirtschaftlich benutzt, ob sie nun wenige 
Hektare oder Tausende derselben umfassen (Rhein- 
tal, Oldenburg, Hannover, Holstein, Nordwest- 
küste von Frankreich, ungarisches Tiefland). Die 
Gebirge dienen fast ausschließlich der Waldkultur; 
nur in Gegenden mit Gras= und Weidewirtschaft 
oder Weinbau ist der Wald auch von den Hängen 
verschwunden. Gebirgsformationen mit unfrucht- 
barem Boden (bunter Sandstein des Schwarz- 
waldes, des Odenwaldes, der Vogesen, des Spes- 
sarts, der Gegend von Fulda, die sandigen Schich- 
ten des Keupers in Württemberg und Bayern, 
Zechstein, Tonschiefer usw.) oder solche mit sehr 
steilen Hängen (oberer Jura, Gneis und Granit 
usw.) sind vorherrschend bewaldet; die fruchtbaren 
Formationen (Muschelkalk, Lias, die lehmigen 
Diluvialablagerungen usw.) sind fast ausschließ- 
lich dem Feldbau zugewiesen. Wo eine dichte Be- 
völkerung den Preis der Bodenprodukte erheblich 
steigert und höhere Ausgaben für den Anbau der- 
selben ermöglicht, wird selbst der ungünstige Boden 
zum Land= und Gartenbau verwendet (Keuper- 
sand des Nürnberger Reichswaldes) oder (wie in 
vielen Gebirgstälern) sogar sehr steiles Gelände 
durch Bearbeitung mit der Hand einträglich ge- 
macht. 
Alljährlich ändert sich die Waldfläche, wenn 
auch in geringem Grade, durch neue Rodungen 
und Urbarmachungen. Diesen stehen neue Wald- 
anlagen gegenüber, welche auf unfruchtbarem 
Acker-, Wiesen= und Weideland oder auf bisher 
unproduktivem Boden, auf Odland, gemacht wer- 
den. Genaue Nachweise über die Veränderungen 
der Waldfläche sind nur aus wenigen Ländern 
vorhanden, und auch für diese erstrecken sie sich 
nur auf wenige Jahrzehnte. Rheinland und West- 
falen sind die einzigen Landschaften, für welche die 
Nachweise bis 1818 zurückreichen. Seit dieser 
Zeit hat sich — trotz der sehr großen Zunahme 
der Bevölkerung — der Wald vermehrt. Für 
andere Länder läßt sich eine bedeutende Anderung 
in der neuesten Zeit nicht nachweisen, während in 
einzelnen bestimmten und eng begrenzten Gebieten 
allerdings die Anderung durch Rodung wie durch
	        
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