Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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zu untersuchen, inwieweit diese noch sehr weit ver- 
breitete, insbesondere in Frankreich und Belgien 
aufgetretene, aber auf sehr oberflächlicher Beweis- 
führung beruhende Anschauung begründet ist. Seit 
1866 sind in Deutschland, Osterreich, der Schweiz, 
Frankreich, Schweden eine Anzahl von forstlich- 
meteorologischen Stationen errichtet worden. Die 
Resultate der Beobachtungen innerhalb und außer- 
halb des Waldes sind für die verschiedenen Länder 
fast genau übereinstimmend. Unter dem Kronen- 
dach der Waldbäume ist die Jahrestemperatur 
0,6/0,8° C. niedriger als im Freien. Die Schwan- 
kungen der Temperatur sind im Walde geringer; 
das Minimum der Temperatur ist nicht sehr ver- 
schieden, dagegen das Maximum derselben nicht 
so hoch als im Freien. Die absolute Feuchtigkeit 
der Luft ist innerhalb und außerhalb des Waldes 
dieselbe, die relative Feuchtigkeit im Walde dagegen 
höher, weil die Waldtemperatur etwas niedriger 
ist. Die Verdunstung einer freien Wasserflöche ist 
im Walde um 50/60% geringer als im Freien. 
Die Verdunstung von Wasser aus dem Boden ist 
um 50/80 % vermindert. über die Niederschlags- 
mengen innerhalb und außerhalb des Waldes 
geben die älteren Beobachtungen keinen Aufschluß. 
Nach den neuerdings in der Schweiz angestellten 
Messungen ist die Menge des Niederschlags auf 
freien Stellen innerhalb des Waldes bald kleiner 
bald größer als im Freien, so daß im Durchschnitt 
des Jahres sich voraussichtlich nur ein höchst ge- 
ringer Unterschied ergeben wird. Aus diesen Be- 
obachtungen geht hervor, daß das Kronendach der 
Waldbäume die unter ihm befindliche Luftschicht 
beeinflußt, die Lufttemperatur erniedrigt, die 
Feuchtigkeit erhöht. Große Waldgebiete werden 
daher niedrigere Temperaturen haben als aus- 
gedehnte Feldflächen. Daß aber der Wald auf 
die Temperaturverhältnisse der nächsten oder ent- 
fernten Umgebung einen Einfluß ausübe, ist damit 
nicht bewiesen. Wenn dies aber der Fall wäre, so 
würde diese Wirkung vorherrschend eine Erniedri- 
gung der Jahrestemperatur herbeiführen, was in 
mittleren und höheren Breiten keineswegs erwünscht 
sein könnte. Da aber schon 100 m vom Wald- 
rande weg höhere Temperaturen konstatiert sind, 
so ist eine solche Einwirkung auf das Klima der 
Umgebung nicht anzunehmen. Wenn nun von 
mehreren Seiten ein bestimmtes Maß von Be- 
waldung gefordert wurde, um das Klima zu ver- 
bessern, so beruht eine solche Forderung auf 
unbewiesenen und teilweise geradezu falschen Vor- 
aussetzungen. Im übrigen ist diese Frage für die 
Ausdehnung des Waldes ganz ohne Belang. Die 
Rodung des Waldes auf relativem Waldboden 
läßt sich auf die Dauer nicht verhindern. Der 
absolute Waldboden verbleibt aber der Forstkultur, 
ob nun ein Einfluß des Waldes auf das Klima 
angenommen wird oder nicht. 
Was schließlich die historischen Beweise für die 
Einwirkung des Waldes auf das Klima betrifft, 
so sind auch diese keineswegs überzeugend. So 
Forstwirtschaft usw. 
  
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soll das heutige Nordamerika den vielen Rodungen 
eine Verschlechterung des Klimas zu verdanken 
haben. Der amerikanische Meteorologe Schott 
weist aber auf Grund von 90jährigen Beobach- 
tungen nach, daß weder in den Temperatur= noch 
in den Niederschlagsverhältnissen eine bleibende 
Anderung eingetreten ist. Die Länder am Mittel- 
meer, deren Niedergang mit ihrer geringen Be- 
waldung in Zusammenhang gebracht wurde, hatten 
zur Zeit ihrer höchsten Blüte nicht viel mehr Wald 
als bei ihrem Verfalle. Wenn man andere gering 
bewaldete Gebiete den Mittelmeerländern gleich- 
stellt, so vergißt man, daß diese letzteren viel höhere 
Jahrestemperaturen und nur Winterregen haben. 
Dänemark, England, Belgien, Holland, Hannover, 
Oldenburg, der Nordwesten von Frankreich haben 
seit Jahrhunderken eine sehr geringe Bewaldung, 
gehören aber zu den fruchtbarsten, blühendsten und 
am dichtesten besiedelten Landstrichen. Wer will 
nachweisen, daß die politischen Umwälzungen der 
neuesten Zeit auf die Unterschiede in der Bewal- 
dung von Frankreich, Deutschland oder Osterreich 
zurückzuführen seien? Auch die südlichen Länder 
sind nicht durch die Axt des Holzhackers, sondern 
durch das Schwert des Kriegers aus ihrer welt- 
beherrschenden Stellung verdrängt worden. 
Daß der Wald ferner vor Hagelschaden zu 
schützen imstande sei, ist nicht erwiesen. Die 
60jährigen Beobachtungen in Württemberg lassen 
einen solchen Einfluß des Waldes nicht erkennen. 
Dagegen zeigen sie, daß die Konfiguration des 
Bodens eine wichtige Rolle bezüglich der Gefähr- 
dung durch Hagel spielt, daß insbesondere durch 
Bergzüge das hinter ihnen liegende Land geschützt 
wird. Da nun die Bergzüge in der Regel be- 
waldet sind, so hat man es mit der kombinierten 
Wirkung des Berges und des Waldes zu tun. 
Man darf daher letzteren nicht als die ausschlag- 
gebende Ursache betrachten. — In neuerer Zeit 
hat nach einzelnen Erhebungen die Blitzgefahr 
zugenommen. Unter den vielerlei Ursachen, auf 
welche man diese Erscheinung zurückführen wollte, 
ist auch die (angebliche) Entwaldung hervorgehoben 
worden. Ein sicherer Nachweis über den Zu- 
sammenhang beider Erscheinungen ist aber nicht 
erbracht. 
Auf den Wasserstand der Quellen, Bäche 
und Flüsse vermag der Wald mehrfach einzuwirken. 
Jedoch ist dessen Einfluß auf die höheren Wasser- 
stände bedeutender als auf die niedrigen, da beie 
lange anhaltender Trockenheit schließlich auch im 
Walde die Quellen versiegen und der Wald über- 
hauptnichtviel mehr Wasserden Quellen zuführtals 
das freie Land. Anders verhält es sich mit den höch- 
sten Wasserständen und der Gefahr der Uberschwem- 
mungen. Letztere treten im Vorwinter und Früh- 
jahr beim plötzlichen Schmelzen des Schnees oder 
im Sommer bei heftigen Regengüssen ein. Die 
eigentliche Hochflut hält oft nur einige Stunden 
an; kann der Zufluß des Wassers verlangsamt 
werden, so ist vielfach die Gefahr beseitigt. Nun
	        
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