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ragte es die französischen Könige an Macht in
Frankreich selbst. Dennoch gelang es dem klugen
und rücksichtslosen König Philipp II. August
(1180/1223), den Engländern alle französischen
Besitzungen bis auf Guyenne und Poiton zu ent-
reißen; der Sieg von Bouvines (1214) über ihren
Verbündeten Kaiser Otto IV. sicherte den Erfolg.
Durch systematische Einziehung erledigter Kron-
lehen, Förderung der Städte und Erweiterung des
Beamtentums (baillis) stärkte er die Macht der
Krone im Innern. Unter Ludwig VIII. (1223/26)
und Ludwig IX. dem Heiligen (1226/70) kamen
infolge der Albigenserkriege auch Toulouse und
Provence an die Dynastie. Ludwig IX., ein pflicht-
treuer, milder und gerechter Herrscher, brachte
durch eine friedliche Regierung das Land zu ma-
terieller und geistiger Blüte. Die Lage des Land-
volks wurde verbessert, die Städte begünstigt, das
Steuerwesen geregelt, die königliche Gesetzgebung
(Ordonnanzen) und die bürgerliche Gerichtsbar-
keit auf Kosten des Adels ausgedehnt, das Fehde-
wesen eingeschränkt. Philipp IV. der Schöne
(1285/1314) verstand es, durch schlaues, rück-
sichtsloses Vorgehen die Staatseinheit zu fördern
und zu festigen. Das Lehnswesen traf er empfind-
lich durch Begünstigung der bürgerlichen Frei-
heiten, durch Stärkung der Polizeimacht (sergents
Tarmes) und durch die Bevorzugung bürgerlicher
Rechtsgelehrter (Legisten) im königlichen Rat, im
Parlament (Gerichtshof) und Rechnungshof. Das
gute Einvernehmen, in welchem bis dahin die Kirche
im allgemeinen mit ihrer „ältesten Tochter“ ge-
standen hatte, fand durch das schroffe Auftreten
Philipps, der in der Kirche ebenso absolut wie im
Staate schalten wollte, ein jähes Ende. Wegen
Besteuerung der Geistlichkeit geriet er mit Papst
Bonifaz VIII. über die Grenzen der kirchlichen
und staatlichen Gewalt in offenen Streit (1296).
Der König siegte, und durch die Verlegung des
päpstlichen Hofes nach Frankreich („babylonische
Gefangenschaft“ 1305/77) kam das Papsttum in
Abhängigkeit von der französischen Krone. Dies
zeigte sich alsbald bei der Aufhebung des Templer-
ordens, der 1312 der Habsucht Philipps zum
Opfer fiel.
Da Philipps drei Söhne ohne männliche Erben
starben, ging die Krone nach dem 1317 auf die
Thronfolge ausgedehnten Salischen Gesetz 1328
auf Philipps Bruderssohn Philipp VI. über (Haus
Valois, bis 1498, in den Nebenlinien Orléans
und Angouleme bis 1589). Da auch Eduard III.
von England als Enkel Philipps IV. von Mutter-
seite Ansprüche auf den Thron erhob, begann
ein Erbfolgekrieg, der mit Unterbrechungen über
100 Jahre dauerte (1339/1453). König Johann
der Gute (1350/64) kam 1356 selbst in eng-
lische Gefangenschaft und mußte 1360 alle Länder
südlich der Loire abtreten. Dazu kam ein Auf-
stand der Pariser Bürger unter Etienne Marcel
und der leibeigenen Bauern im Nordosten (Jacque-
rie). Eine große Gefahr beschwor Johann für
Frankreich.
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die Zukunft herauf, indem er 1368 das heim-
gefallene Herzogtum Burgund seinem jüngsten
Sohne verlieh. Unter Karl VI. dem Wahn-
sinnigen (1380/1422) begannen die Aufstände
des durch Steuern und vom Adel hart gedrückten
Volkes von neuem, und die Kämpfe zwischen den
Häusern Burgund und Orléans um die Regent-
schaft führten zu Meuchelmord und Bürgerkrieg
(Bourgquignons gegen Armagnacs) und endlich
zu Landesverrat: Johann der Unerschrockene von
Burgund rief die Engländer herbei, welche von
1415 bis 1428 ganz Frankteich nördlich der Loire
(außer Orléans) und Guyenne eroberten. Der
Dauphin (1422/61 König Karl VII.) behauptete
sich kaum hinter der Loire; der Untergang des
Reiches schien unabwendbar — da richtete sich das
Nationalgefühl an der wunderbaren Heldengestalt
der Jungfrau von Orléans wieder auf, und der
Sieg neigte sich von nun an auf Frankreichs
Seite. Karl entriß den Engländern bis 1453
alle Besitzungen bis auf Calais. Durch Einrich-
tung der 15 Ordonnanzkompagnien legte er den
Grund zu einem stehenden Heere, und zu dessen
Unterhalt diente die bisher nur zeitweise erhobene
Kopfsteuer (taille), die 1439 von den Ständen
als dauernde Abgabe bewilligt wurde.
Die Macht der Krone hob sich wieder, und
schon Karls Nachfolger Ludwig XI. (1461/83)
warf durch schlaue, allerdings oft gewissenlose
Mittel die teilweise aus dem königlichen Hause
hervorgegangene hohe Aristokratie, die sich in der
Ligue du bien public gegen ihn verbunden
hatte, nieder. Auch einen Teil Burgunds ge-
wann er nach dem Tode Karls des Kühnen im
Frieden zu Arras (1482), und nach dem Aus-
sterben der Nebenlinie Anjou erbte er 1481 die
Provence, Anjou und Maine sowie die Ansprüche
auf Neapel. Mit der Erwerbung der Bretagne
(1491) durch Karl VIII. (1483/98) und dem
Regierungsantritt Ludwigs XII. (1498/1515),
des Herzogs von Orléans und Blois, war die
Einziehung der großen Lehen abgeschlossen und
Frankreich am Ausgange des Mittelalters inner-
lich geeint; die großen Vasallen, wie die Bour-
bons, Nevers, Albrets (von Navarra), Armagnacs,
dienten nun meist dem Königtum, das sie ehedem
hart befehdet hatten. Die unumschränkte Herr-
schaft des Königs war seit Ludwig Xl. fest be-
gründet; die Reichsstände (Etats généraux),
Abgeordnete des Adels, der Geistlichkeit und der
Städte, deren Zusammentritt gänzlich vom Be-
lieben des Königs abhing, gelangten trotz wieder-
holter Versuche nicht zu bleibender Macht.
2. Neuzeit bis zur Revolution. Das
erstarkte Frankreich betrat nun alsbald den Weg
der Eroberungspolitik, zunächst um das König-
reich Neapel (1494/95) und das Herzogtum Mai-
land (1499), unterlag aber im Kampf gegen die
Habsburger. Nach vier wechselvollen Kriegen mußte
Franz I. (1515/47) 1544 auf Italien verzichten.
— Inzwischen vollzog sich im Innern der weitere
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