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von Bourges (7. Juli 1488) auf Veranlassung
der Krone Ausdruck gab. Diese sollte der Kirche
Frankreichs eine gewisse Freiheit und Unabhängig-
keit von der päpstlichen Gewalt sichern und wurde,
trotz ihrer Aufhebung im Konkordat von 1516,
die Hauptgrundlage des sog. Gallikanismus (s.
.n Art.).
Im 13. Jahrh. wüteten in Südfrankreich die
Albigenserkriege (1209/29), im 16. fand die Re-
formation Eingang und rief eine lange Reihe von
Wirren und Kämpfen hervor. Da es den Huge-
notten trotz anfänglicher Erfolge nicht gelang, die
Menge des Volkes zu gewinnen, so traten sie bald
als politische Partei auf; ihre Forderungen waren
stets von bewaffneten Erhebungen begleitet (8
Kriege), und die Bartholomäusnacht (23./24. Aug.
1572) sowie die vom Papste getadelten Drago-
naden waren nur das Ergebnis politischer Rück-
sichten. Den kräftigsten Damm gegen das weitere
Umsichgreifen der Reformation bildete die inner-
halb der Kirche sich selbst mehr erhebende geistige
Macht, jener herrliche Klerus aus der Schule des
hl. Vinzenz von Paul, die neueren Orden der La-
zaristen, Oratorianer, Sulpizianer usw. — Lud-
wig XIV. hatte zwar 1693 die unkatholischen
Gallikanischen Artikel zurückgenommen, sie blieben
aber in den Akten des Parlaments registriert; nach
dem Tode Ludwigs wurden ihre Grundsätze wieder
gehandhabt (Folgen des Jansenismus) und jede
Verteidigung päpstlicher Rechte verboten und ge-
hindert. Eine notwendige Folge war die bürger-
liche Konstitution, durch welche auch rein geistliche
Sachen den weltlichen Behörden unterstellt wur-
den; dem Schisma folgte die Vernunftreligion.
Die Kirche schien in den Stürmen der Revolution
unterzugehen, wuchs aber aus dem Blute vieler
Bischöfe und Priester von neuem empor und wurde
durch das Konkordat vom 15. Juli 1801 zwischen
Pius VII. und dem Ersten Konsul Bonaparte
wiederhergestellt; die Organischen Artikel ent-
hielten jedoch unter anderem die Bestimmung, daß
die gallikanische Deklaration von 1682 in den
Seminarien gelehrt werden müsse. Die Versuche
des Königtums, der Kirche ihre früheren Rechte
zurückzugeben, hatten nur teilweisen Erfolg: zwar
kam 1822 ein provisorischer Vertrag mit dem
Papste zustande, zwar entfaltete das schnell auf-
blühende kirchliche Vereinswesen ein reiches Leben,
aber der Geist Voltaires wirkte noch zu mächtig
fort, und bald mußten dem kirchenfeindlichen Li-
beralismus Zugeständnisse gemacht werden (1829
Ausweisung der Jesuiten). Die innerliche Erstar-
kung der Kirche in den nächsten Jahrzehnten zeigte
sich in mancherlei Erscheinungen: im Aufleben der
alten Orden (Benediktiner, Dominikaner, Trap-
pisten usw.), in der Entstehung neuer Kongrega-
tionen (Assumptionisten, Maristen usw.), in der
umfassenden Wirksamkeit für Missionen (Gesell-
schaft zur Verbreitung des Glaubens), in der Er-
richtung katholischer Volks= und Mittelschulen, in
der literarischen Verteidigung der Kirche durch
Frankreich.
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Männer wie Chataubriand, de Maistre, Mont-
alembert, Bonald usw.).
Für Napoleon III. war das gute Einvernehmen
mit der Kirche eine Notwendigkeit der innern
Politik gewesen; auch die dritte Republik achtete
anfänglich die Überzeugung ihrer katholischen
Bürger; aber nach dem Sturze Mac Mahons be-
gann die republikanische Mehrheit unter Gambettas
Führung (Le cléricalisme C'est Iennemi) mit
einer Reihe von weitgehenden Anträgen (Auf-
hebung des Konkordats, Einziehung der kirchlichen
Güter) einen heftigen Ansturm. Wenn auch der-
artige Forderungen nicht durchdrangen, so erfolgten
doch kirchenfeindliche Maßnahmen (Ausschließung
aller nicht anerkannten Kongregationen vom Unter-
richt, Ausweisung der Jesuiten, Wiedereinführung
der Ehescheidung, Abschaffung des religiösen Eides,
Gehaltssperrung gegen mißliebige Bischöfe und
Geistliche, Abschaffung der Spitalgeistlichen usw.),
die am 12. Juni 1883 einen Protest des Papstes
veranlaßten, den der Präsident Grévy unter Hin-
weis auf die schwierige Lage der Regierung in
versöhnlichem Sinne beantwortete. Gegen die Kon-
gregationen wurde unter dem auf die Linke sich
stützenden Ministerium Waldeck-Rousseau 1900
ein Ansturm begonnen, gegen den Papst Leo XIII.
in einem Schreiben an den Kardinal-Erzbischof
von Paris Einspruch erhob, ohne die Annahme
des ordensfeindlichen Vereinsgesetzes hindern zu
können. Dieses Gesetz bildete nur die Einleitung
zu einem Kulturkampf, den in fortschreitender ra-
dikaler Entwicklung Regierung und Parlament bis
zur Trennung von Staat und Kirche sowie zur
äußersten Entrechtung der letzteren trieben (siehe
Sp. 243).
Die römisch-katholische Kirche stand vor der
Revolution unter 18 Erzbischöfen und 113 Bi-
schöfen und war im Besitze ungeheurer Güter im
Werte von etwa 3000 Mill. Francs, die ihr die Re-
volution raubte. Das Konkordat von 1801 änderte
die Kirchenverfassung vollständig ab und ließ nur
10 Kirchenprovinzen mit 50 Bistümern bestehen,
die 1821 auf 80 vermehrt wurden. Heute zählt
Frankreich 84 Bistümer mit 33 831 Pfarreien,
Algerien 3 mit 180, Tunis, Guadeloupe, La Ré-
union und La Martinique je 1 mit 30 bzw. 35, 48
und 39 Pfarreien. Die drei letzteren gehören zur
Kirchenprovinz Bordeaux, außerdem bildet Al-
gerien eine eigene Kirchenprovinz, während Frank-
reich deren 17 zählt. Die Rechtsstellung der Kirche
in Frankreich ist durch das Trennungsgesetz von
Grund aus gegen früher verändert. Einerseits hat
die Kirche an Freiheit gewonnen; die ganze innere
Organisation der Kirche ist frei, die Wählbarkeit
zu öffentlichen Amtern ist dem Klerus wieder-
gegeben, nur ist bezüglich der Gemeinderäte eine
Ausschlußfrist von 8 Jahren für den Ortsgeist-
lichen gesetzt. Anderseits ist zunächst das Kultus-
budget beseitigt, die Kirche muß also ihre Diener
und ihren Kultus selbst unterhalten; Ausnahmen
bestehen nur für die Geistlichen, die schon bei In-