Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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ist als Vertreter der Regierung ein Gouverneur 
(oder Generalgouverneur oder Generalkommissär), 
unmittelbar unter dem Kolonialminister, mit der 
Leitung der gesamten Verwaltung betraut, und 
ihm ist, neben dem aus höheren Beamten und 
militärischen Befehlshabern zusammengesetzten Re- 
gierungs= oder geheimen Rat, in Indien, Fran- 
zösisch-Westafrika, in Réunion, Guayana, Mar- 
tinique, Guadeloupe, St-Pierre, Neukaledonien 
und in den ozeanischen Besitzungen ein General- 
rat, in Indochina ein Hoher Rat zur Vertretung 
der Bevölkerung beigegeben. Der Geheime Rat 
fungiert im allgemeinen als Verwalltungsgericht 
und als untere Rechnungsinstanz, der Generalrat 
hat besonders bei finanziellen Angelegenheiten 
mitzuwirken. Die entwickelteren Kolonien sind im 
französischen Parlament vertreten: Réunion, Mar- 
tinique und Guadeloupe durch je 1 Senator und 
2 Abgeordnete, Indien durch 1 Senator und 
1 Abgeordneten, Senegal, Guayana und Kotschin- 
china durch je 1 Abgeordneten. In den Protek- 
toratsländern ist Frankreich durch Residenten ver- 
treten, denen teilweise „Protektoratsräte“" zur 
Seite stehen; diese haben nur beratende Stimme 
in finanziellen Angelegenheiten und werden von 
der Regierung ernannt. Die Finanzen der Kolo- 
nien (ohne Algerien und Tunis) erfordern noch 
Zuschüsse des Mutterlandes; nach der Abrechnung 
für 1904 beliefen sich die Einnahmen auf 234,2, 
die Ausgaben auf 231,9, davon Zuschuß des 
Mutterlandes 3,3 Mill. frs.; dazu kommen die 
Ausgaben für die Kolonien in Frankreich selbst mit 
88,1 Mill. fF#s., so daß sich der Gesamtzuschuß 
auf 91,4 Mill. #. belief (1907 auf 98,3 Mill. 
geschätzt). Für Algerien z. B. belief sich der Ge- 
samtaufwand Frankreichs von 1830 bis 1906 
auf 8593 Mill., denen nur 2328 Mill. ws. Ein- 
nahmen gegenüberstehen. Die gesamte Verschul- 
dung der französischen Kolonien wird 1905 auf 
490 Mill. vs. beziffert. Der Gesamthandel der 
eigentlichen Kolonien wertete 1906 in der Ein- 
fuhr 454,9, in der Ausfuhr 420,3 (vgl. die Ta- 
belle Sp. 266), der Anteil Frankreichs daran 
41,5 bzw. 38 %. 
Diewichtigste Außenbesitzung Frankreichs ist Al- 
gerien (seit 1830). Die Regierung leitet ein Zivil- 
Generalgouverneur (bevollmächtigter Minister) mit 
einem Generalsekretär und einem Gouvernementsrat 
(17 Mitglieder). Das Recht der Gesetzgebung haben 
die französischen Kammern, in die Algerien 3 Se- 
natoren und 6 Abgeordnete entsendet; die übrigen 
Angelegenheiten werden in höchster Instanz durch 
Dekrete des Präsidenten der Republik geordnet. 
Die Finanzen sind von denen des Mutterlandes 
getrennt, dieses trägt jedoch die Kosten für Heer 
und Flotte; Einnahmen 1908: 108,6, Aus- 
gaben 99,7 Mill. / #8. Für den Unterricht be- 
stehen eine Akademie in Algier (mit Lehrstühlen 
für Arabisch in Constantine und Oran), 19 Mittel- 
schulen, 4 höhere mohammedanische Schulen und 
(1905) 1738 Volksschulen (269 mohammedanisch). 
Frankreich. 
  
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Flächeninhalt 199970 qkmmit (1906) 4785759 
Einwohnern (718 984 Europäer). Handel siehe 
Tabelle Sp. 266; die wichtigsten Ausfuhrwaren 
sind Wein (1906: 51,5 Mill. s.), Getreide 
(47,2), Tiere (28,2), Wolle (18,3), Kork (15.6), 
Zink (11,2), Häute und Felle (11,2), Tafel- 
früchte (10,7), Eisen (9,6), Phosphate (9,1), 
Olivenöl (7,5) und Halfa (7,3). Eisenbahnen 
1907: 3169 km. — Von Algerien abhängig 
sind die „Südterritorien“, die algerische Sahara, 
690 000 qkm mit (1906) 446 100 Einwohnern 
(10 976 Europäer). 
Die Regentschaft Tunis oder Tunesien ist 
eine Erbmonarchie, deren Beherrscher, „der Bey“, 
auf Grund des Vertrags von Kasr-el-Said 
(12. Mai 1881) in der Ausübung seiner auto- 
kratischen Gewalten durch die Regierung der fran- 
zösischen Republik wesentlich eingeschränkt ist. Diese 
übt eine Schutzherrschaft über Tunis aus, vertritt 
es dem Auslande gegenüber, hält Besatzungen im 
Lande und kann in ihm die für notwendig er- 
kannten Verwaltungs-, Gerichts= und Finanz- 
reformen durchführen. Die Kontrolle übt der 
unter dem französischen Minister der auswärtigen 
Angelegenheiten stehende französische Generalresi= 
dent, der zugleich Minister des Außern ist; neben 
ihm 9 Minister (7 Franzosen). Der Flächen- 
inhalt der Regentschaft beträgt 167 400 qkm mit 
einer Bevölkerung von etwa 1 150 000 Seelen 
(18 auf 1 qkm; 1906: 128 895 Europäer, da- 
von 34 610 Franzosen, 81 156 Italiener, 10 330 
Maltesier). Die Mehrzahl ist arabischer Abkunft. 
Tunie ist für die französische Mittelmeerflotte von 
großer Bedeutung, da es Frankreichs Machtstellung 
im Mittelmeere gegen Italien und Großbritannien 
sichert. Einnahmen 1907: 39,34, Ausgaben 
67,66 Mill. s.; Einfuhr 102,86 (60,2 % von 
Frankreich), Ausfuhr 103,36 Mill.s. (48, 7 % 
nach Frankreich); Hauptausfuhrartikel (1906) 
Phosphate (18.76 Mill. s.), Gerste (9,36), 
Olivenöl (6,97), Weizen (3,65), Halfa (3,07), 
Tiere (2,95). 1907: 1156 km Eisenbahnen. 
Französisch-Westafrika (unter einem Ge- 
neralgouverneur in Dakar) umfaßt 1737400 qkm 
mit 8,74 Mill. Einwohnern und besteht aus den 
fünf Teilkolonien (unter Lieutenant-Gouverneuren) 
Senegal, Obersenegal und Niger, Französisch= 
Guinea, Elfenbeinküste, Dahomé und Zubehör 
und dem Zivilterritorium Mauretanien (unter 
einem Kommissär des Generalgouverneurs). Han- 
del s. Tabelle Sp. 266; Hauptausfuhrgegenstände 
sind Kautschuk, Olsämereien, Palmöl, Palmkerne, 
Tiere und Holz. Die französische Interessensphäre 
in der Sahara umfaßt an 5 Mill. qkm mit 
790 000 Einwohnern. 
Französisch-Kongo #unter einem General- 
kommissär) zerfällt in die drei Gebiete Gabun, 
Ubangi--Schari (beide unter Lieutenant-Gouver= 
neuren) und Mittelkongo (unter einem Chefadmini- 
strator); insgesamt 1762000 qkm mit 3,65 Mill. 
Einwohnern.
	        
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