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hin scheiden hier die sozialistisch organisierten
Frauen aus.
Auch von liberaler und von christlicher Seite ist
versucht worden, eine Bewegung in die proletarische
Frauenwelt hineinzutragen; von einer spontanen
Arbeiterinnenbewegung kann aber auch in dem
nicht sozialdemokratischen weiblichen Proletariat
nicht gesprochen werden. Der Erfolg der organisa-
torischen Arbeit ist noch gering. Den zahlenmäßig
größten Erfolg hat die katholische Sozialreform
aufzuweisen, und zwar da, wo der gemeinsame
Glaube die Arbeiterinnen zu konfessioneller Ver-
einen (Arbeiterinnenvereinen) verbindet. Weniger
wirksam erweist sich der Appell an wirtschaftliche
Interessen, der die Arbeiterinnen den christlichen
Gewerkschaften zuführen soll; immerhin spricht die
wachsende Zahl der weiblichen Mitglieder der christ-
lichen Gewerkschaften für ein Wachstum an Ein-
sicht unter den christlichen Arbeiterinnen. Unter
Verzicht auf die Pflege der wirtschaftlichen Inter-
essen in besonderer Organisation agitiert der „Ver-
ein katholischer erwerbstätiger Frauen und Mäd-
chen“. In den Vordergrund stellt die wirtschaft-
liche Hebung der interkonfessionelle Gewerkverein.
der Heimarbeiterinnen.
J) Mit der Gesetzmäßigkeit, die wir auch in der
geistigen Welt mehr und mehr erkennen, mußte das
erwachte Selbstbewußtsein der Frauenwelt oben
Frauenfrage ufw.
wie unten ein erhöhtes Rechtsgefühl wecken
und bei gegebenem Anlaß zu Worte kommen lassen.
Ein solcher bot sich ungesucht um die Jahrhundert-
wende durch die Abfassung des B.G.-B. Die Be-
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nicht. So war es lange gewesen, und so ist es
noch, aber mit dem Unterschied, daß diese Rechts-
ungleichheit den Frauen ins Bewußtsein getreten
ist. Einige krasse Fälle von Mißbrauch des sozialen
oder wirtschaftlichen Ubergewichts gegenüber ab-
hängigen Frauen brachten den angehäuften Zünd-
toff zur Explosion. Ein Entrüstungssturm erhob
sich in der Frauenwelt, der sich in öffentlichen Ver-
sammlungen, Schriften und Petitionen an die
Behörden kräftig Luft machte. Der Kampf ums
Recht war da und zugleich das Problem, wie die
neue Zeit mit ihren neuen Lebensforderungen das
Weib im Recht stellt, d. h. welchen Rechts-
boden es seinem Dasein gibt im privaten
und im öffentlichen Leben, in der Familie, in der
bürgerlichen und (bei den Evangelischen) kirchlichen
Gemeinde und im Staate. Im Strafrecht waren
die Geschlechter stets gleichgestellt.
d) Nachdem einmal die Stellung der Frau
in der menschlichen Gesellschaft in die kri-
tische Untersuchung einbezogen worden war, stieß
man auf das schwierigste Problem. Keine Reform
im Recht, keine gesetzgeberische Maßnahme kann
die Naturaufgabe des Weibes ändern und die ge-
schlechtliche Belastung gleichmäßig verteilen. Mit
der spezifischen Naturaufgabe des Weibes hängt
aber das schwierigste Problem für das weibliche
Geschlecht unlöslich zusammen: die Unsicher-
heit und Zwiespältigkeit des Frauen-
daseins. Während der Mann seinen Beruf auf
Lebenszeit wählt, wird das Weib zwischen Er-
werbsberuf und Eheberuf hin und her geworfen
schäftigung mit der Stellung des weiblichen Ge= (eine triftige Erklärung für das Zurückstehen des
schlechts im Recht wurde dadurch zu einer Tages- weiblichen Geschlechts in höchsten künstlerischen
frage. Weite Frauenschichten hörten zum ersten= oder wissenschaftlichen Leistungen, die nachhaltige
mal von ihrer Stellung im Recht und empfanden Konzentration verlangen). Wählt es jung einen
ein ungläubig-schmerzliches Staunen über die Erwerbsberuf, so verläßt es ihn vielleicht bald, um
Tatsache, daß sie im Familienrecht unter das Mun- zu heiraten; heiratet es jung, so muß es vielleicht
dium des Gatten, im öffentlichen Recht den Un- bald danach als Mutter oder als Witwe einen
mündigen, Kindern und Lehrlingen gleichgestellt Erwerbsberuf ergreifen, oder, wenn materiell ver-
seien. Andere Motive verstärkten diese Stimmung. forg t, nach einem Lebensinhalt suchen. Diese
Die Sittlichkeitsfrage fing an öffentlich diskutiert Schwierigkeit kann nicht durch den Vorschlag be-
zu werden. Als eine Schmach empfanden die seitigt werden, nach männlichem Muster einen
Frauen die in weiten Kreisen herrschende „zweier= Erwerbsberuf zu wählen und die Ehe als Neben-
lei Moral“, die bei dem weiblichen Geschlechte amt zu betrachten, oder umgekehrt die Ehe als
straft, was sie dem Manne, dem „führenden“ Ge- Hauptberuf anzusehen und im Nebenberufe einer
schlechte, nachsieht. Auch die erwerbstätigen Frauen erwerbenden Tätigkeit obzuliegen. Dieser Rat
machten Erfahrungen und fanden den Mut, davon heißt an der Scylla vorbei in die Charybdis stürzen.
zu sprechen. Sie hatten in fast allen Berufen Ge- Denn nunstehen wir vor dem Problem der Mutter-
legenheit zu sehen, daß sie (nicht nur von eigen- schaft und Berufsarbeit, das durchschnittlich (und
nützigen Arbeitgebern) als Menschen zweiter Klasse nur vom Durchschnitt kann man im allgemeinen
gewertet und dementsprechend behandelt wurden. sprechen) ebenso unlöslich ist. Die Ehe bringt nun
Beijeder Gelegenheit, wo das Urteil eines Menschen einmal für das Weib eine andere Belastung als für
in die Wagschale fällt, standen die Frauen insoweit den Mann. Durchschnittlich wird das Weib die
als Rechtlose da, als sie keine Stimme hatten; „wer doppelte Belastung der hausmütterlichen und der
keine Stimme hat, hat kein Recht“ (Bismarck), beruflichen Arbeit nicht durchführen können, ohne
wenigstens fehltihm daswirksamste Mittel zurselbst- sich körperlich und geistig aufzureiben. Was aber
tätigen Verteidigung seiner Rechte. Sie hatten die der Familienmutter schadet, beeinträchtigt die
gleiche Arbeit, die gleiche Vorbildung, gleiche In= Erfüllung der wichtigsten Aufgaben des weib-
teressen, gleiche Pflichten, aber nicht das gleiche lichen Geschlechts und schadet damit dem Volks-
Recht, selbst in dem engsten Berufsinteressenkreise ganzen.