333
berger, Reichsgesetz über die F. vom 1. Nov. 1867
(1905); Mischler, Art. „F.“ in Elsters Wörterbuch
der Volkswirtschaft I (21906). — Für Österreich:
Art. „Niederlassung“ in Mischler-Ulbrichs Osterr.
Staatswörterb. III (21907). [Karl Bachem.]
Fremdenrecht. [Beschränkungen und Er-
schwerungen des Fremdenverkehrs. Leitende Grund-
sätze und rechtliche Gesichtspunkte des heutigen
Völkerrechts.)
1. Der Staat, welcher nicht im fiktiven Sinne
des römischen Rechts eine abstrakt gedachte juri-
stische Person, sondern ein aus einer Vielheit von
Rechtswesen bestehender Verband ist, tritt in die
völkerrechtliche Gemeinschaft, belastet mit einem
großen Komplex von Pflichten gegen seine An-
gehörigen. Unter diesen Pflichten findet sich eine
Reihe von Rechtspflichten, deren Erfüllung vor
allen andern gefordert werden muß. In diesen
Kreis von Pflichten, denen eine Rechtsforderung
unzweideutigster Art entspricht, gehört die wechsel-
seitige Hilfe bei Handhabung der Sicherheit und
Ordnung wie der bürgerlichen und Staatsrechts-
pflege. Daß das Recht gesichert und seine Ver-
letzung geahndet werde, auch wenn es sich nicht
um die Rechte der eigenen Untertanen handelt,
daß niemand im Staate mit Vorwissen oder Zu-
stimmung desselben, auch wenn er ein Fremder
ist, Unrecht erleide, kann und darf dem Staate,
sofern er selbst ein Rechtsverein ist, nicht gleich-
gültig sein.
Hiermit ist der Kreis der internationalen Rechts-
forderungen in Bezug auf das Fremdenrecht um-
schrieben. Was jenseits desselben liegt, so das
Verlangen, daß die Staaten ihre wirtschaftlichen
Interessen wechselseitig fördern, miteinander in
Verkehr treten, die Fremden zulassen, die zuge-
lassenen wie ihre eigenen Angehörigen behandeln,
ist Billigkeitsforderung. Es kann nur zur Trübung
des dem Völkerrecht innewohnenden spezifischen
Rechtsinhaltes führen, wenn man Moralforde-
rungen den Stempel der Rechtsnorm aufdrückt
und dort von Recht spricht, wo es sich doch nur
um Zweckmäßigkeit und Billigkeit handelt. So ist
denn auch das „Recht auf Verkehr“ kein „Grund-
recht der Staaten“. Es ist nicht einzusehen, wie
die Abschließung eines Staates, abgesehen von
bestehenden Verträgen, für diesen eine andere recht-
liche Folge haben könne, als daß er sich dadurch
jener Vorteile beraubt, welche Handels= und Ver-
kehrsbeziehungen für ihn haben könnten. Aber
kein anderer Staat hat das Recht, ihn zu zwingen,
mit ihm in Verkehr zu treten. Wenn es dennoch
geschehen ist, wie z. B. den ostasiatischen Staats-
wesen gegenüber, so bediente man sich dabei eines
Rechtsvorwandes für politische Zwecke, keineswegs
ober einer stichhaltigen Rechtsbetätigung.
2. Augenfällig und durch die Geschichte des
Völkerrechts bestätigt ist es, daß dort, wo die
wirtschaftlichen Verhältnisse überspannt oder die
politischen schwankend sind, der Verkehr unter den
Staaten leidet und mancher Rechtssatz, den man
Fremdenrecht.
334
in Bezug auf den Verkehr als gesichert betrachtete,
wieder in Frage gestellt erscheint. Zunächst hatte
die Überflutung Amerikas mit chinesischen und
indischen Lohnarbeitern das Verbot der Ein-
wanderung dieser äußerst rührigen und genüg-
samen Menschenklasse in die Vereinigten Staaten
zur Folge. Der mit China im Jahre 1868 ab-
geschlossene Vertrag hatte gegenseitig das Ein-
wanderungsrecht ausdrücklich anerkannt. Im Pe-
kinger Vertrag von 1880 räumte China der Union
das Recht ein, Einwanderung und Aufenthalt
chinesischer Arbeiter zu beschränken, nicht aber
gänzlich auszuschließen. Im Widerspruche hier-
mit kommt der China abgenötigte Vertrag von
Washington, 17. März 1894, einem vollständigen
zehnjährigen Verbote chinesischer Einwanderung
gleich. Das Zugeständnis, daß China das Recht
haben soll, alle amerikanischen Arbeiter zu regi-
strieren, ist offenbar nur Formsache. Amerikanische
Arbeiter werden in größerer Anzahl das Reich der
Mitte nicht aufsuchen (vgl. d. Art. Auswanderung,
Sp. 491 ff). In Australien ist England mit der
Chinesenfrage beschäftigt. Ein starker Zug zum
Schutze der nationalen Arbeit gegen die Konkurrenz
der Fremden (Verbot, daß „Fremde“ Grundeigen-
tum erwerben, Ausweisung nicht naturalisierter
Fremden usw.)machte sich 1886/87 in Rumänien
bemerkbar. Soweit es sich dabei um konfessionelle
Unterschiede handelt, stehen derlei Verfügungen
mit Art. 44 des Berliner Vertrages nicht im Ein-
klang, und insofern das internationale Privat-
recht in Frage kommt, sind sie als Schmälerung
der Rechte nicht nur der Jsraeliten, sondern
aller nicht der orthodoxen Kirche Angehörigen ge-
wiß nicht einwandfrei.
Die Ausbreitung der sozialrevolutionären
Umtriebe, die Arbeitseinstellungen, die mehr oder
minder offenkundigen Fälle von Ausspähung haben
Beunruhigung und Mißtrauen unter den Staaten
hervorgerufen und zur Verschärfung der fremden-
polizeilichen Maßregeln geführt unter Hinweis auf
den Grundsatz, es sollen die Staatsregierungen in
die Lage gesetzt werden, die Bedingungen kennen
zu lernen, unter denen sich die Niederlassung von
Ausländern im Inlande vollzieht. Es sei hier er-
innert an die fremdenpolizeilichen Maßnahmen
im Verkehre zwischen Frankreich und Elsaß-Loth-
ringen, an das französische Fremdendekret von
1888 hinsichtlich der in Frankreich etablierten
Ausländer, dann die Verfügungen des schweizeri-
schen Bundesrates von 1888 zur Hintanhaltung
der anarchistischen Propaganda. Rußland verlangt
mit der Eintrittsbewilligung seiner Missionen oder
Konsulate versehene Pässe (bei Israeliten noch die
Aufenthaltsklausel), in der Regel gültig für sechs
Monate, worauf ein Aufenthaltsschein gegen Zah-
lung der betreffenden Gebühr zu lösen ist. Der
Austrittspaß (Austrittsvisum), d. h. die Bewilli-
gung, die Grenze ohne Behinderung zurückzupas-
sieren, wird dem zurückreisenden Fremden nach
Vorweis seines Eintrittspasses bzw. Aufenthalts-