349
Beide Gesetze ließen die untere Altersgrenze fallen,
schoben anderseits die obere Altersgrenze bis zu
16 Jahren hinauf.
Das Bürgerliche Gesetzbuch hat die
große Tragweite des hier einschlägigen Rechts-
stoffes bei den Beratungen vollauf gewürdigt.
Ihn wegen der Lückenhaftigkeit der Mehrzahl der
landesrechtlichen Gesetzesvorschriften im B.G.B.
erschöpfend zu behandeln, wurde gleichwohl unter-
lassen. Gegenüber dem Bestreben, in dem Rahmen
der privatrechtlichen Interessen zu verbleiben,
wurde beschlossen, jedes Hinübergreisen in das
öffentliche Recht zu vermeiden. Der 8 1546 der
ersten Lesung erhielt die Fassung des heutigen
§ 1666 des B.G. B.:
„Wird das geistige oder leibliche Wohl des
Kindes dadurch gefährdet, daß der Vater das Recht
der Sorge für die Person des Kindes mißbraucht,
das Kind vernachlässigt oder sich eines ehrlosen
oder unsittlichen Verhaltens schuldig macht, so hat
das Vormundschaftsgericht die zur Abwendung
der Gefahr erforderlichen Maßregeln zu treffen.
Das Vormundschaftsgericht kann insbesondere an-
ordnen, daß das Kind zum Zwecke der Erziehung
in einer geeigneten Familie oder in einer Er-
ziehungsanstalt oder einer Besserungsanstalt unter-
gebracht wird. Hat der Vater das Recht des
Kindes auf Gewährung des Unterhalts verletzt,
und ist für die Zukunft eine erhebliche Gefähr-
dung des Unterhalts zu besorgen, so kann dem
Vater auch die Vermögensverwaltung sowie die
Nutznießung entzogen werden.“ Ein gleiches gilt
auch von der elterlichen Gewalt der Mutter (8 1686
B.G. B.), in noch weiterem Umfange bezüglich der
unter Vormundschaft stehenden Minderjährigen
(6 1838 B.G.B.).
Strafrechtlich kommt, abgesehen von dem
schon erwähnten § 55 des St.G.B., auch noch
§5 56 desselben in Betracht. Derselbe bestimmt:
„Ein Angeschuldigter, welcher zu einer Zeit, als
er das 12., aber nicht das 18. Lebensjahr voll-
endet hatte, eine strafbare Handlung begangen
hat, ist freizusprechen, wenn er bei Begehung der-
selben die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit er-
forderliche Einsicht nicht besaß. In dem Urteil
ist zu bestimmen, ob der Angeschuldigte seiner
Familie überwiesen oder in eine Erziehungs= oder
Besserungsanstalt gebracht werden soll. In der
Anstalt ist er so lange zu behalten, als die der
Anstalt vorgesetzte Verwaltungsbehörde solches für
erforderlich erachtet, jedoch nicht über das voll-
endete 20. Lebensjahr."“
Für die hier vorgesehenen Fälle ist zu landes-
rechtlichen Vorschriften kein Raum gelassen. Da-
hingegen finden die angeführten Bestimmungen
des B.G. B. und die Vorschrift des § 55 des
St.G.B. die gewünschte Ergänzung durch den
Art. 35 des Einf.Ges. zum B.G. B., der besagt:
Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften
über die Zwangserziehung Minderjähriger. Die
Zwangserziehung ist jedoch, unbeschadet der Vor-
Fürsorgeerziehung.
350
schriften der §8 55, 56 des St. G. B. nur zu-
lässig, wenn sie von dem Vormundschafsgericht
angeordnet wird. Die Anordnung kann außer
den Fällen der §§ 1666, 1838 des B. G. B. nur
erfolgen, wenn die Zwangserziehung zur Ver-
hütung des völligen sittlichen Verderbens not-
wendig ist. Die Landesgesetze können die Ent-
scheidung darüber, ob der Minderjährige, dessen
Zwangserziehung angeordnet ist, in einer Familie
oder in einer Erziehungs= oder Besserungsanstalt
unterzubringen sei, einer Verwaltungsbehörde über-
tragen, wenn die Unterbringung auf öffentliche
Kosten zu erfolgen hat. Art. 3 des Einf.Ges. er-
mächtigt auch zum Erlaß neuer landesgesetzlicher
Vorschriften.
Im Anschluß hieran hat eine Reihe deutscher
Bundesstaaten entsprechende Gesetze erlassen (ab-
gedruckt in Schmitz, Fürsorgeerziehung Minder-
jähriger, 1908): Anhalt das Gesetz vom
21. März 1899; Mecklenburg-Schwerin die Ver-
ordnung vom 9. April 1899; Mecklenburg-Stre-
litz die Verordnung vom selben Datum; Braun-
schweig das Gesetz vom 12. Juni 1899; Schaum-
burg-Lippe das Gesetz vom 30. Juni 1899; Bre-
men das Gesetz vom 18. Juli 1899; Schwarz-
burg-Sondershausen das Gesetz vom 29. Juli
1899; Sachsen-Meiningen das Gesetz vom
19. Aug. 1899; Württemberg das Gesetz be-
treffend die Fürsorgeerziehung Minderjähriger
vom 29. Dez. 1899; Preußen das Gesetz be-
treffend die Fürsorgeerziehung Minderjähriger
vom 2. Juli 1900; Waldeck das Gesetz über die
Fürsorgeerziehung Minderjähriger vom 22. Jan.
1902; Bayern das Gesetz betreffend die Zwangs-
erziehung vom 10. Mai 1902; Hamburg das
Gesetz über die Zwangserziehung Minderjähriger
vom 11. Sept. 1907. In den andern deutschen
Bundesstaaten sind die bestehenden Gesetze in
Geltung geblieben, jedoch sind dieselben in der
Mehrzahl jener Staaten durch Ausführungs-
gesetze mit den reichsrechtlichen Vorschriften in
Übereinstimmung gebracht worden. Dement-
sprechend hat erlassen: Königreich Sachsen das
Ausf.Ges. zum B.G.B. vom 18. Juni 1898
§ 50; Elsaß-Lothringen das Ausf.Ges. zum
B.G. B. vom 17. April 1899 §8§ 123/127;
Sachsen-Weimar-Eisenach das Ausf.Ges. zum
B. G.B. vom 5. April 1899 88§ 200/210;
Sachsen-Altenburg das Ausf. Ges. zum B.G.B.
vom 4. Mai 1899 8§ 109/121; Oldenburg
das Ausf. Ges. zum B.G.-B. vom 15. Mai 1899
§§ 27/34; Hessen das Gesetz betreffend die Ausf.=
Gesetze des B.G.B. vom 17. Juli 1899; Reuß . L.
das Ausf. Ges. zum B.G.B. vom 10. Aug. 1899
§§ 100/111; Reuß ä. L. das Gesetz vom 26. Okt.
1899 betreffend das Ausf.Ges. zum B. G. B.
§8 125/135; Lübeck das Ausf.Ges. vom 30. Okt.
1899 §§ 130/141; Baden das Gesetz vom
16. Aug. 1900. Das Unzulängliche der Vor-
schrift hat die Königl. Sächsische Regierung zur
Ausarbeitung einer Gesetzesvorlage veranlaßt,