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Seit der Regierung Friedrichs I. haben wir
streng zwischen älterem und neuerem Reichsfürsten-
stand zu unterscheiden. Der ältere ist ein Erzeug-
nis des Beamtenstaates, der jüngere das Erzeugnis
des Lehnsstaates. Während in der zweiten Hälfte
des 12. Jahrh. der Begriff des Reichsfürsten-
standes infolge der Einfügung der geistlichen Für-
sten in den Reichslehnsverband schwankte, wurden
1180 von den bisherigen Laienfürsten nur noch
diejenigen, die ihr Fürstentum unmittelbar vom
Reiche zu Lehen trugen und nicht Mannen eines
andern Fürsten waren, als Reichsfürsten betrachtet.
„Der Besitz eines Fahnlehens aus der Hand des
Königs war das Merkmal des weltlichen Fürsten-
standes geworden“ (Schröder, Lehrb. der deutschen
Rechtsgesch. 505). Die Grundlage des alten
Fürstenstandes war staatsrechtlich gewesen, näm-
lich das Grafenamt; die Grundlage des neuen
ist eine lehnsrechtliche, nämlich das Fahnlehen,
und eine territoriale, nämlich das Reichsfürsten-
tum. Nach 1180 gab es nur noch 16 weltliche
Reichsfürstentümer. Das Recht der Belehnung
mit einem Fahnlehen und damit der Erhebung
in den weltlichen Reichsfürstenstand kam seit 1180
nur mehr dem König zu. Bisweilen wurden auch
nichtfürstliche Territorien vom König mit Geneh-
migung der Fürsten zu Reichsfürstentümern er-
hoben und mit der Fahne verliehen.
Sovweit die landesherrliche Gewalt reichte, be-
saß der König nur mehr die Lehnsherrlichkeit; seine
unmittelbare Staatsgewalt ist verschwunden. Den
Kern der Landeshoheit bildeten die alten Grafen-
rechte: so die hohe Gerichtsbarkeit, das Bannrecht
in Sachen der Landesverwaltung und Polizei,
das Recht des militärischen Aufgebotes bei Reichs-
heerfahrten oder zur Landfolge, das Recht auf den
Schoß oder Grafenschatz und die Befugnis zur
Berufung von allgemeinen Botdingen innerhalb
der Grafsschaft. Dazu kam das Befestigungsrecht,
das Geleitsrecht, das Markt-, Zoll= und Münz-
regal, das Berg= und Salzregal, die Gerichts-
gefälle, das Boden= und Strandregal, Schatz-
und Fundregal, das Wildbann= und Fremdlings-
recht, ferner das einträgliche Judenschutzrecht,
ebenso das Heimfallsrecht an erblosem Gut. Die
Goldene Bulle von 1356 erhob ferner die landes-
herrliche Stellung der Kurfürsten zur Majestät,
so daß Verbrechen gegen die Kurfürsten als Maje-
stätsverbrechen galten. Zu dieser Emanzipation
der fürstlichen Gewalt nach oben kam die nach
unten gerichtete Konzentration durch die Über-
windung der feudalen Mächte im eigenen Lande.
Durch die Einziehung und Zerschlagung der Unter-
grasschaften und ihren Ersatz durch staatliche Ver-
waltungssprengel trat an Stelle des Lehnsstaates
der Beamtenstoat (vgl. Schröder a. a. O. 622 ffl.
Bis zum Westfälischen Frieden blieb der Be-
stand des Kurfürstenkollegiums so, wie er durch
die Goldene Bulle von 1356 festgesetzt worden war
(ogl. d. Art. Deutsches Reich, Bd I, Sp. 1209).
1547 verlor die ernestinische Linie die sächsische
Fürst usw.
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Kurwürde, die auf die albertinische überging.
1623 wurde Friedrich V. von der Pfalz seiner
Kurwürde beraubt und diese dem Herzog von
Bayern verliehen. Im Westfälischen Frieden wurde
für den Pfalzgrafen eine achte Kur geschaffen. 1708
erhielt Braunschweig-Lüneburg (Hannover) eine
neunte Kur. Doch erlosch durch das Aussterben
des bayrischen Hauses und die Vereinigung
Bayerns mit Kurpfalz (1777) im Jahre 1778
die neunte Kur wieder.
Die Kurfürsten haben auf den Reichstagen
seit dem 14. Jahrh. ein eigenes, für sich verhan-
delndes Kollegium gebildet, während seit dem
16. Jahrh. die Fürsten, Grafen und Herren sich
zum „Fürstenrat“ zusammentaten. Das dritte
Kollegium auf dem Reichstage bildeten dann die
Städte. Allmählich fand die Primogeniturord=
nung, die für die Kurfürstentümer seit 1356, für
Württemberg seit 1495 galt, überall Eingang im
Wege der Hausgesetzgebung, seitdem die regieren-
den Häuser autonom geworden waren. Die Kodi-
fikation der Hausgesetze erfolgte erst seit 1806;
vorher begnügte man sich mit Dispositionen in
Haus-, Ehe-, Erbverträgen oder letztwilligen Ver-
fügungen; insbesondere kamen in Betracht die
Reglung der Sukzessionsordnung, Apanagen und
Sekundogenituren für die jüngeren Linien, Vor-
mundschaft über die unmündigen Familienglieder,
Mißheiraten, Wittum und Heimsteuer für die
Frauen und Töchter.
Inhalt der landesherrlichen Gewalt.
Gegenüber der Kirche besaß der Landesherr schon
seit dem 15. Jahrh. ein weitgehendes Aussichts-
recht, hervorgegangen teils aus der Vogtei teils
aus Resten des Eigenkirchenrechts. Dieses Auf-
sichtsrecht ist im Laufe der Zeit zum landesherr-
lichen Patronatsrecht geworden, in den protestan-
tischen Ländern ging die bischöfliche Jurisdiktion
auf die Landesherren über; diese erhielten 1555,
den Religionsbann, das sog. us reformandi.
Der Westfälische Friede hat dann den besonders
im 17. Jahrh. mächtig zunehmenden Rechten der
Fürsten die reichsgesetzliche Bestätigung verschafft
und die landesherrliche Gewalt zur vollendet
monarchischen Staatsgewalt umgewandelt. Dem
Kaiser verblieben eine Reihe Reservatrechte, z. B.
die Errichtung neuer und Erhöhung bestehender
Zölle, ferner Standeserhöhungen; bei Begnadi-
gungen, Volljährigkeitserklärungen, Ehelichkeitser-
klärung unehelicher Kinder konkurrierten die Lan-
desherren mit dem Kaiser. Im Innern suchten
sich die Landesherren von ihren Landständen
allenthalben zu befreien, was ihnen z. B. in OÖster-
reich, Brandenburg-Preußen und in Bayern ge-
lang; hier wurde die absolute Monarchie mit un-
beschränktem Gesetzgebungs= und Besteuerungsrecht
des Landesherrn durchgeführt.
Infolge der Auflösung des Reiches 1806 traten
alle deutschen Staaten mit Ausnahme von Oster-
reich und Preußen dem Rheinbund bei, dessen
sämtliche Mitglieder als souveräne Staaten be-