Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

27. 
das äußerste Mittel; noch weitergehende Mittel, 
deren Anwendung also auch in Zukunft nicht aus- 
geschlossen sei, seien die Konfiskation und die Ex- 
patriierung. Dann fuhr der Redner fort: „Das 
ist die Proklamierung der Staatsomnipotenz 
gegenüber dem Recht des einzelnen; die Prokla- 
mierung eines politischen Materialismus, wie wir 
ihn bei Machiavelli finden, wie wir ihn aber mit 
unserem christlichen Staatsprinzip nicht vereinigen 
können.“ Vor den unabänderlichen Grundsätzen 
des Rechts und der Gerechtigkeit müsse die Staats- 
raison haltmachen. Diese Grundsätze sind die 
Grundlagen, auf denen sich unser Staat, unsere 
Monarchie aufbaut, und an ihnen zu rütteln ist 
höchst gefährlich.“ In zweiter Lesung fand nament- 
liche Abstimmung über einen Kompromißantrag 
der Mehrheitsparteien — Konservative, Freikon= 
servative, Nationalliberale — statt, der dem Ent- 
eignungsparagraphen in seinem ersten Absatz fol- 
gende Fassung gibt: „Dem Staat wird das Recht 
verliehen, in den Bezirken, in denen die Siche- 
rung des gefährdeten Deutschtums nicht anders 
als durch Stärkung und Abrundung deutscher 
Niederlassungen mittels Ansiedlungen möglich er- 
scheint, die hierzu erforderlichen Grundstücke in 
einer Gesamtfläche von nicht mehr als 70 000 ha 
nötigenfalls im Weg der Enteignung zu er- 
werben.“ Offentliche Gotteshäuser und Begräb- 
nisstätten sollten von der Enteignung ausge- 
schlossen sein. In dieser Fassung wurde der Ent- 
eignungsparagraph mit 198 gegen 116 Stimmen 
angenommen. Mit der aus Zentrum, Polen und 
Freisinnigen gebildeten Minderheit stimmten auch 
einige Konservative, darunter der Präsident des 
Abgeordnetenhauses, v. Kröcher. Nach der dritten 
Lesung am 18. Jan., in der keine Anderungen 
mehr vorgenommen wurden, kam der Entwurf 
am 20. Jan. an das Herrenhaus. Bei der Zu- 
sammensetzung dieser Kammer — der Adel und 
der Großgrundbesitz stellen die Mehrzahl der Mit- 
glieder — schien die in weiten Kreisen gehegte 
Hoffnung auf Ablehnung der Vorlage nicht un- 
berechtigt. Die Opposition gegen dieselbe war hier 
noch stärker wie im Abgeordnetenhaus. Der Fürst- 
bischof von Breslau, Kardinal Kopp, bekämpfte 
in einer Rede, die durch Ernst und Sachlichkeit 
im ganzen Hause großen Eindruck machte, die 
Vorlage. Er hob u. a. die kirchenpolitischen Be- 
denken gegen die Enteignung hervor und würdigte 
die Gründe der „Staatsraison“ in folgender 
Weise: „Sie haben gesagt: inter arma silent 
leges, und haben diesen Rechtsgrundsatz so weit 
ausgedehnt, daß vor den Staatsnotwendigkeiten. 
die unverrückbaren Grundsätze in den Hintergrund 
treten. Nun, meine Herren, da gibt es überhaupt 
keine unverrückbaren Grundsätze mehr, wenn das 
subjektive Ermessen allein zu entscheiden hat. Dann 
sollte man ganz einfach nur sagen: Macht geht vor 
Recht.“ Gegen die Vorlage sprachen insbesondere 
noch die Grafen v. Oppersdorff und v. Tiele-Winck- 
ler. Die zur Vorberatung eingesetzte Herrenhaus- 
Entente cordiale — Episkopat. 
  
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kommission hob die Einschränkung der Enteig- 
nungsbefugnis auf 70 000 ha auf, erweiterte da- 
gegen den Kreis der Grundstücke, die von der 
Enteignung ausgeschlossen sein sollten. Bei der 
zweiten Beratung im Plenum am 26. und 
27. Febr. wurde ein Antrag Adickes angenommen, 
der die vom Abgeordnetenhaus beschlossene Fassung 
wiederherstellte und die Ausnahmen von der Ent- 
eignung ausdehnte auf Grundstücke, die im Eigen- 
tum von Kirchen und von Religionsgesellschaften, 
denen Korporationsrechte verliehen sind, stehen, 
sofern der Eigentumserwerb vor dem 26. Febr. 
1908 vollendet war, sowie auf Grundstücke, die im 
Eigentum von Stiftungen, die als milde aus- 
drücklich anerkannt sind, stehen, sofern der Eigen- 
tumserwerb vor dem 26. Febr. 1908 vollendet 
war. Die Annahme erfolgte mit 143 gegen 111 
Stimmen. Mit der Minderheit stimmte der 
größte Teil der Vertreter des hohen Adels und 
des Großgrundbesitzes. Am 3. März nahm auch 
das Abgeordnetenhaus den Gesetzentwurf in der 
vom Herrenhaus abgeänderten Form an. Am 
20. März 1908 wurde das Gesetz veröffentlicht; 
eine Anwendung hat es bis zum Schlusse des 
Jahres noch nicht gefunden. 
[1—4 Spahn; 5 Jul. Bachem.] 
Entente cordiale s. Allianz (Bd L, Sp.177). 
Episkopat. Das Wort Episkopat hat nach der 
kirchenrechtlichen Terminologie drei verschiedene, 
wenngleich innig verknüpfte Bedeutungen. Das- 
selbe bezeichnet erstens die Gesamtheit aller Bi- 
schöfe, collegium episcoporum, den Bischof von 
Rom als Träger des Primats eingeschlossen; 
zweitens aber die Gesamtheit der Bischöfe mit 
Ausschluß des Bischofs von Rom oder des Papstes 
und bildet in dieser engeren Bedeutung den be- 
grifflichen Gegensatz zu dem Wort Primat; drit- 
tens endlich den Inbegriff der besondern Befähi- 
gungen, welche mittels sakramentalen Aktes ver- 
liehen werden und die bischöfliche Würde oder das 
bischöfliche Amt konstituieren, derartig, daß es in 
dieser dritten, abstrakten Bedeutung in die Kat- 
egorie der Ausdrücke Presbyterat, Diakonat fällt, 
wie sich aus den Benennungen ordo episcopatus, 
presbyteratus, diaconatus ergibt. An dieser 
Stelle soll der Episkopat nach der zweiten Bedeu- 
tung Gegenstand näherer Erörterung sein, und 
zwar 1) nach seinem Ursprung, 2) nach seinem 
Wesen und nach seiner äußeren Betätigung, und 
3) nach seiner Organisation oder Gliederung in 
dem kirchlich hierarchischen Organismus. 
I. Arsprung des Epistopats. Die von Chri- 
stus verheißene Einrichtung, mittels welcher sich 
sein Lehramt in dem vom Heiligen Geist geleiteten 
Lehrkörper, sein Mittleramt in den vom Heiligen 
Geist geweihten Priestern des Neuen Bundes, sein 
Hirtenamt in den vom Heiligen Geist bestellten 
und mit seiner Gewalt betrauten Hierarchen und 
damit auch sein gottmenschliches Leben in der durch 
die göttliche Wahrheit und Gnade bewirkten gott- 
verbundenen Lebensgemeinschaft der Christgläu-
	        
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