Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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jenigen Kompetenzen, welche ihm durch Verfassung 
und Gesetz ausdruͤcklich zugewiesen sind, während 
im übrigen und im allgemeinen die Ausübung der 
Staatsgewalt der Krone allein zusteht. Das Bud- 
getrecht der deutschen monarchischen Staaten wird 
vor 1848, sofern in ihnen überhaupt konstitutio- 
nelle Institutionen Platz greifen, einerseits be- 
stimmt durch die Erinnerung an altständische Ein- 
richtungen und anderseits durch den Einfluß der 
französischen Charte von 1814 und der während 
ihrer Herrschaft stattfindenden parlamentarischen 
Bewegung in Frankreich, wozu noch eigenartige, 
zum Teil durch das Bundesrecht geforderte Be- 
stimmungen kommen. Das Budgetrecht der zuerst 
konstitutionelle Formen annehmenden Staaten 
Süd= und Mitteldeutschlands ist in erster Linie ein 
Steuerbewilligungsrecht sowie ein Recht der Zu- 
stimmung zur Veräußerung von Staatsgut und 
zur Aufnahme von Staatsanleihen. 
Nach den Verfassungen des Reiches wie der 
Einzelstaaten erfolgt die Feststellung des Budgets 
nicht einseitig durch die Regierung, sondern durch 
einen Gesamtakt der Regierung und Volksvertre- 
tung. Befolgt die Regierung das Budget, so ist 
sie von Verantwortlichkeit befreit; weicht sie von 
der Richtschnur ab, so schuldet sie der Volksvertre- 
tung Erklärung und Rechtfertigung. Der Schwer- 
punkt des Budgetrechts der Volksvertretung liegt 
nach dem Recht der deutschen Mittelstaaten staats- 
rechtlich wie politisch in der Steuerbewilligung. 
Und diese Bewilligung darf nach der bayrischen, 
badischen, sächsischen, württembergischen Verfassung 
nicht an Bedingungen geknüpft werden. Deshalb 
bestreiten auch eine Reihe von Staatsrechtslehrern 
den Landtagen das Recht der willkürlichen Steuer- 
verweigerung, „ein Recht, dessen Besitz in der Tat 
die parlamentarische Regierungsform begründen 
würde“. Das Budgetrecht des preußischen Land- 
tages enthält nach Anschütz (Deutsches Staats- 
recht, in Holtzendorffs Enzyklopädie der Rechts- 
wissenschaft II ((1904] 633) das eigentliche 
Steuerbewilligungsrecht nicht, auch nicht ein 
volles parlamentarisches Ausgabenbewilligungs- 
und -verweigerungsrecht. Art. 99 der preußischen 
Verfassung bestimmt: „Alle Einnahmen und Aus- 
gaben des Staates müssen für jedes Jahr veran- 
schlagt und auf den Staatshaushaltsetat gebracht 
werden. Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz 
festgestellt.“ Und nach Art. 109 „werden die be- 
stehenden Steuern und Abgaben forterhoben, und 
alle ..Gesetze . bleiben in Kraft, bis sie durch 
ein Gesetz abgeändert werden“, woraus eine Reihe 
von Staatsrechtslehrern die Verneinung des Rechts 
der Steuerverweigerung folgert. Auch M. v. Seydel 
(Bayr. Staatsrecht 1 351) spricht den bayrischen 
Ständen das Recht der willkürlichen Steuerverwei- 
gerung ab mit der Begründung, daß Titel VII. 
§#9# der Verfassungsurkunde ausdrücklich bestimme: 
„Die Stände können die Bewilligung der Steuern 
mit keiner Bedingung verbinden.“ Auch das würt- 
tembergische Verfassungsgesetz vom 23. Juni 1874 
Garantien, staatsrechtliche. 
  
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verbietet im Art. 6 den Ständen, „die Verwilligung 
der Steuern an Bedingungen zu knüpfen, welche 
die Verwendung derselben nicht unmittelbar be- 
treffen“ (ogl. Gaupp, Das Staatsrecht des Kgr. 
Württemberg 118); die Stände sind nur be- 
rechtigt, eine angesonnene Steuerverwilligung ab- 
zulehnen oder den Betrag der Steuer herabzu- 
setzen oder auch Bedingungen, welche sich auf die 
Verwendung der Steuer beziehen, festzusetzen. 
Nach § 53 der badischen Verfassungsurkunde sind 
die Stände befugt, die Steuerbewilligung zu ver- 
weigern, und zwar selbst dann, wenn die Not- 
wendigkeit einer Steuererhebung durch das Staats- 
budget angeblich dargetan sein sollte. 
Wie ist nun in Staaten mit starker monarchi- 
scher Gewalt ein solcher Konflikt zwischen Regie- 
rung und Volksvertretung, der zur Budgetver- 
weigerung geführt hat, zu lösen? Diese Frage hat 
zu eingehenden staatsrechtlichen Untersuchungen 
über das Wesen des Budgets und der Budget- 
bewilligung Anlaß gegeben. Herrschende Meinung 
ist, daß die Aufstellung eines Budgets kein Akt 
der Gesetzgebung, sondern der Verwaltung sei. 
Laband sucht diesen Konflikt durch folgende juri- 
stische Deduktion zu lösen. Er sagt, daß zwar die 
Verfassung das Zustandekommen des Etats an- 
ordne, das Nichtzustandekommen jedoch keines- 
wegs die bestehenden Einnahmen= und Ausgaben- 
gesetze, die keine Verweisung auf eine durch das 
Etatsgesetz zu sanktionierende Vollzugsklausel an 
sich tragen, außer Kraft setze. Sie binden daher 
die Regierung. Gegen diese juristische Lösung wen- 
det sich besonders Jellinek (im Handwörterbuch der 
Staatswissenschaften II 1176 ff) mit der Begrün- 
dung, daß einmal die Lückenlosigkeit des Systems 
des Staatsrechts nicht existiere, ferner sei es ganz 
unrichtig, von einer budgetlosen Verwaltung zu 
reden, da eine Regierung, die kein verfassungs- 
mäßiges Budget hat, eben mit einem einseitig von 
ihr selbst festgestellten Budget wirtschaftet. Ein 
solches Budget sei aber entgegen ausdrücklicher 
Verfassungsvorschrift nicht durch das Gesetz, son- 
dern durch Verordnung festgestellt. Hierin liege 
unter allen Umständen eine formelle Verfassungs- 
widrigkeit. Die Lösung kann also nur eine histo- 
risch-politische sein, und sie kann nur darin bestehen, 
daß entweder die Regierung den Kammern oder 
die Kammern der Regierung nachgeben, d. h. der 
Regierung bleibt die Möglichkeit der Auflösung 
der Kammern oder Ministerwechsel. Und dies 
hängt natürlich von der Machtfrage ab. „Kon- 
flikte, da das Staatsleben nicht stillzustehen ver- 
mag, werden zu Machtfragen; wer die Macht in 
Händen hat, geht dann in seinem Sinne vor, 
weil das Staatsleben auch nicht einen Augenblick 
stillstehen kann“ (Bismarck). Eine definitive juri- 
stische Lösung kann ein solcher Konflikt erst nach- 
träglich, und zwar nur durch eine in Gesetzesform 
erteilte Genehmigung der Kammern erhalten. 
Somit bietet in einer Reihe von Staaten dieses 
Steuerbewilligungsrecht der Volksvertretung eine 
 
	        
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