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unterbrochen, während die Überweisung an eine
Irrenanstalt die Unterbrechung bewirkt. Adnexe
an Strafanstalten für irre Verbrecher finden sich
bei den Strafanstalten Moabit, Münster, Hohen-
asperg (bei Ludwigsburg), dem Landesgefängnis
Bruchsal, den Gefängnissen in Breslau, Köln,
Halle usw.
4. Seelsorge und Unterricht. Unmittel-
bar auf die Besserung der Gefangenen wirkende
Einrichtungen in den Strafanstalten sind: Gottes-
dienst, Seelsorge, Unterricht und gute Lektüre. An
fast allen größeren Gefangenenanstalten sind Geist-
liche im Haupt= oder Nebenamt angestellt. In
größeren Anstalten ist an Sonn= und Feiertagen
und einmal während der Woche Gottesdienst.
Soweit dies nicht ausführbar ist, finden Andachts-
übungen statt. Am Gottesdienst und an den An-
dachtsübungen nehmen alle Gefangenen teil. In
Ausnahmefällen kann der Direktor einzelne von
der Teilnahme entbinden. Gegenüber Festungs-
gefangenen findet ein Zwang zur Teilnahme nicht
statt. Zur Teilnahme an den kirchlichen Heils-
mitteln wird kein Gefangener gezwungen. Neben
dem Gottesdienst erhalten die Gefangenen ge-
wöhnlich wöchenklich eine Stunde (Jugendliche
mindestens zwei Stunden) Religionsunterricht.
Bei Zellenbesuchen oder Sprechstunden bietet sich
dem Geistlichen besondere Gelegenheit, auf die
Gefangenen einzuwirken, ihnen Einsicht in die
Verwerflichkeit ihrer Straftaten beizubringen so-
wie zur nachhaltigen Besserung den Grund zu
legen.
Jugendliche Gefangene erhalten in manchen
Anstalten wöchentlich bis zu sechs und acht Stun-
den Unterricht in denjenigen Gegenständen, die
in der Volksschule gelehrt werden, daneben noch
Hendsertgleite Zeichen= und Turnunterricht.
rwachsenen Gefangenen unter 30 bzw. 35 Jah-=
ren, sofern sie eine Strafe von mehr als drei
Monaten zu verbüßen haben, soll tunlichst eine
gleiche Fürsorge zugewendet werden, soweit sie des
Unterrichts noch bedürfen.
Die Bibliotheken der Strafanstalten, die
religiöse, wissenschaftliche und Unterhaltungsschrif-
ten enthalten, dienen zur Befriedigung des Be-
dürfnisses nach Erbauung, Belehrung und Unter-
haltung. Der Gefangene darf in der freien Zeit,
besonders an Sonntagen, lesen und erhält in der
Regel wöchentlich ein neues Buch durch den An-
staltslehrer. Einfache Haft= und Festungsgefangene
können sich auch anderweitige Bücher und Schriften
verschaffen. Doch unterliegt die Auswahl der Auf-
sicht des Direktors. In Bayern kann den Ge-
fangenen in Einzelhaft bei guter Führung aus-
nahmsweise sogar das Lesen einer Tageszeitung
oder einer Zeitschrift gestattet werden.
5. Disziplin. Zulässige Disziplinarmittel
sind: Dunkelarrest, einfache Einsperrung, Fesse-
lung, Kostschmälerung; Entziehung des Bettlagers,
der Bewegung im Freien, der Arbeit, der Bücher
und Schriften, hausordnungsmäßiger Vergünsti-
Gefängniswesen.
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gungen; Verweis. Es können auch mehrere Diszi-
plinarmittel miteinander verbunden werden. Die
Prügelstrafe ist in den meisten Bundesstaaten aus-
geschlossen. Beijugendlichen Gefangenenist Dunkel-
arrest und Fesselung unzulässig, hingegen ist die
Anwendung von Zuchtmitteln im selben Umfange
wie in den Volksschulen zugelassen.
6. Der schriftliche Verkehr der Ge-
fangenen mit Behörden oder ihren Angehörigen,
der in den einzelnen Bundesstaaten je nach Straf-
art und Straftat verschieden geregelt ist, unterliegt
der Aussicht des Vorstandes. Der Empfang
von Besuchen in Gegenwart eines Anstalts-
beamten ist wie der Briefverkehr je nach der Straf-
art und Straftat in Zwischenräumen von 1 Woche
bis zu 8 Monaten gestattet.
VI. Gefangenenfürsorge. Eine der wichtigsten
Fragen ist die der Fürsorge für entlassene
Strafgefangene. Dieselbe stellt sich als eine
Pflicht der Gesellschaft dar, da in zahlreichen
Fällen der Entlassene kaum in der Lage ist, sich
selbst eine Existenz zu gründen, und daher leicht
ins Verbrechertum zurückfällt. Bei der Abneigung
des Publikums, entlassene Sträflinge aufzunehmen
bzw. gemeinsam mit denselben zu arbeiten, muß
namentlich für die erste Zeit nach der Entlassung
Vorsorge getroffen werden. Zahlreiche Vereine
haben sich die Aufgabe gesetzt, den Sträflingen den
Wiedereintritt in die bürgerliche Gesellschaft und
die Erlangung einer Erwerbstätigkeit zu erleichtern.
Auf eine langjährige Tätigkeit in dieser Richtung
blickt bereits die Rheinisch-Westfälische Gefäng-
nisgesellschaft (Sitz: Düsseldorf) zurück. Die mei-
sten und bedeutendsten deutschen Fürsorgevereine
sind zu dem Verband der deutschen Schutzvereine
für entlassene Gefangene zusammengetreten. Auch
in den andern Staaten Europas und in Amerika
bestehen jetzt Hunderte von Vereinen, die denselben
Zweck verfolgen und teilweise auch die Fürsorge
für die Angehörigen Gefangener in den Bereich
ihrer Tätigkeit ziehen. Für Preußen hat ein Er-
laß der Minister des Innern und der Justiz vom
13. Juni 1895 eine Reihe von Bestimmungen
über die Fürsorge für entlassene Gefangene ge-
troffen. Derselbe enthält allgemeine Bemerkungen
über die Aufgabe der Fürsorge und die dieselbe
ausübenden Organe, sowie Anordnungen über die
Tätigkeit der Gefängnis= und Strafanstaltsbeam-
ten in der Vorbereitung der Fürsorge, regelt die
Verwendung des sog. Arbeitsgeschenks und be-
spricht diejenigen Maßnahmen, welche ergriffen
werden können, wenn ein Gefangener sich weigert,
die für nötig erachtete Fürsorge anzunehmen.
Eine Maßnahme von großer sozialer Bedeu-
tung ist die in den Strafanstalten fast aller grö-
ßeren Bundesstaaten neuerdings den Gefangenen
gewährte Möglichkeit, sich während ihrer Strafzeit
gegen Invalidität weiter zu versichern. Am wei-
testen in dieser Hinsicht geht Baden, wo in den
Zentralstrafanstalten der Gefangene aus seinem
Arbeitsguthaben wöchentliche Klebung von Marken