Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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In der modernen Entwicklung schloß sich diese ur- 
sprüngliche Besitzergemeinde innerhalb des Kreises 
der Einwohnergemeinde zuweilen streng ab; da- 
mit aber ging ihre öffentlich-rechtliche Stellung 
gänzlich verloren. Die Realgemeinde (Nutzungs- 
gemeinde) ist heute eine rein wirtschaftliche Ge- 
nossenschaft des Privatrechts als Eigentümerin 
ihrer Allmende; das Bürgerrecht in ihr ist zu 
einem frei veräußerlichen und vererblichen Privat- 
recht geworden. Anderswo ist die alte Mark, 
namentlich die Waldmark, zu Nutzungsvermögen 
der politischen Gemeinde geworden, deren Rutzung 
in die Gemeindekasse fließt, so daß sie allen Mit- 
gliedern der politischen Gemeinde zugute kommt. 
Vielfach findet sich auch noch eine Zwitterstellung 
dieser früheren Marken und Allmenden die Nutzung 
derselben ist zwar zur Gemeindenutzung geworden, 
aber trotzdem muß der Anteil an ihr durch die 
Entrichtung einer Gebühr erkauft werden, was 
jedem Gemeindebürger freisteht. Dieses wirtschaft- 
liche Gemeindebürgerrecht hat seinen öffentlich- 
rechtlichen Charakter ganz verloren. Die Geltend- 
machung desselben geschieht in den Formen des 
Privatrechts. Die Verwaltung des betreffenden 
Gemeindevermögens, soweit sie nicht durch die 
politische Gemeinde besorgt wird, geschieht in den 
Formen der Verwaltung eines privaten Gesell- 
schaftseigentums. Die nähere Besprechung gehört 
daher ins Privatrecht. 
Literatur. Jolly, Art. „Gemeindedienste, G.= 
mitgliedschaft" in v. Stengels Wörterbuch des 
deutschen Verwaltungsrechts 1 (1889); Evert, Die 
Dreiklassenwahl in den preuß. Stadt= u. Land-Ge- 
meinden nach dem Gesetz v. 30. Juni 1900 (1901); 
Stier-Somlo, Der verwaltungsrechtl. Schutz des 
Bürger= u. Einwohnerrechts in Preußen (1904); 
Art. „Gemeindeangehörige, E glieder u. G.mit- 
glieder, G. dienste. G recht in den Landgemeinden, 
G stimmrecht u. G.wahlrecht, G.wahlen“ in v. Bit- 
ters Handwörterb. der preuß. Verwaltung 1 (1906). 
— Kulisch, Art. „Gemeinden“ (Gemeindewahlen) 
in Mischler u. Ulbrichs Osterr. Staatswörterb. 11 
(1906). [Karl Bachem.) 
Gemeindelasten. LZunahme, Verhältnis 
zu den Staatssteuern, einzelne Gemeindesteuern.) 
Die Gemeinden sind zur Besorgung des Ge- 
meindewesens und zur Deckung des Gemeinde- 
aufwands, sofern ihr Nutzungsvermögen nicht aus- 
reicht, regelmäßig angewiesen auf die realen Lei- 
stungen ihrer Bürger. Diese Leistungen sind teils 
persönliche, wie die Ubernahme unbesoldeter Ehren- 
ämter, persönliche Handdienste, Feldhutdiensteusw.; 
teils sind sie sachliche, wie die Spanndienste. Ge- 
meindegebühren und Gemeindesteuern. Während 
früher ziemlich allgemein bei den ländlichen und 
auch bei vielen städtischen Gemeinden der Ertrag 
des nutzbaren Gemeindeeigentums für die Befrie- 
digung der Gemeindebedürfnisse hinreichte, so daß 
man nur für außergewöhnliche Bedürfnisse zu Um- 
lagen seine Zuflucht zu nehmen brauchte, für die 
gewöhnlichen aber in größerem Maße nur in den 
großen Städten, hat sich in unserer Zeit bei dem 
Gemeindelasten. 
  
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raschen Wachsen der Bevölkerung in den alten 
und dem Entstehen vieler neuen Gemeinden das 
Verhältnis dahin umgekehrt, daß viele Gemeinden 
kein oder fast kein Nutzungsvermögen haben und 
in allen mit sehr wenigen Ausnahmen zur Befrie- 
digung der Bedürfnisse die Steuerkraft der Bürger 
herangezogen werden muß. Dieses Heranziehen 
geschieht in rasch steigendem Maße, so daß die 
Vermehrung der Gemeindesteuern in jüngster Zeit, 
namentlich seit 1871 in Deutschland, eine noch 
stärkere ist als die Vermehrung der Staatssteuern. 
In den einzelnen Gemeinden ist dabei die Höhe 
der Kommunalsteuern sehr verschieden. Sie schwankt 
in Preußen da, wo dieselben in Prozentsätzen der 
Staatssteuern aufgebracht werden, von ganz ge- 
ringen Prozenten bis 400 Prozent und mehr, 
letzteres namentlich in jungen Industriestädten. 
In andern deutschen Staaten liegen vielfach 
ähnliche Verhältnisse vor. Wenn daher heute 
über Steuerüberbürdung geklagt wird, so liegt 
der Grund meist nicht in der Höhe der Staats- 
steuern, sondern in der Höhe der kommunalen 
Abgaben, namentlich der Gemeindesteuern. Auch 
abgesehen von ihrer objektiven Höhe, sind diese 
häufig wegen der Ungleichmäßigkeit der Vertei- 
lung in sozialer Hinsicht noch mehr geeignet, das 
Gefühl der Überbürdung zu erzeugen, als die 
Staatssteuern. Wo sie als Zuschläge zu den 
Staatssteuern erhoben werden und diese schon 
ungleich verteilt sind, vergrößert sich natürlich die 
Ungleichmäßigkeit mit der Höhe dieser Zuschläge. 
Jede staatliche Reform des direkten Steuerwesens 
wirkt darum auch auf die direkten Gemeinde- 
steuern zurück, wie z. B. die letzte Reform in 
Preußen: Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 
1891 und Gewerbesteuergesetz von demselben Tage 
und später Gesetz betreffend Abänderung des Ein- 
kommensteuergesetzes vom 19. Juni 1906. Am 
meisten trägt zu dem Gefühl der Uberbürdung bei, 
wenn Gemeinden mit hohen und solche mit ge- 
ringen Gemeindesteuern nahe beisammenliegen, 
wie das häufig vorkommt. Auf die Bevölkerungs- 
zu= bzw.-abnahme, namentlich die Art der Be- 
völkerung, welche zu= oder abzieht, haben diese 
Unterschiede mitunter einen ganz bemerkenswerten 
Einfluß. 
An und für sich steht den Gemeinden das ge- 
samte Gebiet von Steuern offen, welches der 
Staat auch kennt. Ein begrifflicher Unterschied 
zwischen Staats= und Gemeindesteuern besteht 
nicht, weder was die Veranlagung und Erhebung 
noch was die Verwendung anbelangt. Sie unter- 
scheiden sich nur durch den subjektiven Träger, hier 
der Staat, dort die Gemeinde, nicht durch ihre 
Natur und Einrichtung. Doch haben mitunter die 
Staatsgesetze eingegriffen, indem sie im Interesse 
der allgemeinen Staatsentwicklung den Gemeinden 
gewisse Steuern versagten. Andere Steuern ver- 
bieten sich für die Gemeinden durch ihre praktische 
Undurchführbarkeit oder durch die Art, wie sie auf 
die Gemeindeverhältnisse zurückwirken würden.
	        
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