465
In der modernen Entwicklung schloß sich diese ur-
sprüngliche Besitzergemeinde innerhalb des Kreises
der Einwohnergemeinde zuweilen streng ab; da-
mit aber ging ihre öffentlich-rechtliche Stellung
gänzlich verloren. Die Realgemeinde (Nutzungs-
gemeinde) ist heute eine rein wirtschaftliche Ge-
nossenschaft des Privatrechts als Eigentümerin
ihrer Allmende; das Bürgerrecht in ihr ist zu
einem frei veräußerlichen und vererblichen Privat-
recht geworden. Anderswo ist die alte Mark,
namentlich die Waldmark, zu Nutzungsvermögen
der politischen Gemeinde geworden, deren Rutzung
in die Gemeindekasse fließt, so daß sie allen Mit-
gliedern der politischen Gemeinde zugute kommt.
Vielfach findet sich auch noch eine Zwitterstellung
dieser früheren Marken und Allmenden die Nutzung
derselben ist zwar zur Gemeindenutzung geworden,
aber trotzdem muß der Anteil an ihr durch die
Entrichtung einer Gebühr erkauft werden, was
jedem Gemeindebürger freisteht. Dieses wirtschaft-
liche Gemeindebürgerrecht hat seinen öffentlich-
rechtlichen Charakter ganz verloren. Die Geltend-
machung desselben geschieht in den Formen des
Privatrechts. Die Verwaltung des betreffenden
Gemeindevermögens, soweit sie nicht durch die
politische Gemeinde besorgt wird, geschieht in den
Formen der Verwaltung eines privaten Gesell-
schaftseigentums. Die nähere Besprechung gehört
daher ins Privatrecht.
Literatur. Jolly, Art. „Gemeindedienste, G.=
mitgliedschaft" in v. Stengels Wörterbuch des
deutschen Verwaltungsrechts 1 (1889); Evert, Die
Dreiklassenwahl in den preuß. Stadt= u. Land-Ge-
meinden nach dem Gesetz v. 30. Juni 1900 (1901);
Stier-Somlo, Der verwaltungsrechtl. Schutz des
Bürger= u. Einwohnerrechts in Preußen (1904);
Art. „Gemeindeangehörige, E glieder u. G.mit-
glieder, G. dienste. G recht in den Landgemeinden,
G stimmrecht u. G.wahlrecht, G.wahlen“ in v. Bit-
ters Handwörterb. der preuß. Verwaltung 1 (1906).
— Kulisch, Art. „Gemeinden“ (Gemeindewahlen)
in Mischler u. Ulbrichs Osterr. Staatswörterb. 11
(1906). [Karl Bachem.)
Gemeindelasten. LZunahme, Verhältnis
zu den Staatssteuern, einzelne Gemeindesteuern.)
Die Gemeinden sind zur Besorgung des Ge-
meindewesens und zur Deckung des Gemeinde-
aufwands, sofern ihr Nutzungsvermögen nicht aus-
reicht, regelmäßig angewiesen auf die realen Lei-
stungen ihrer Bürger. Diese Leistungen sind teils
persönliche, wie die Ubernahme unbesoldeter Ehren-
ämter, persönliche Handdienste, Feldhutdiensteusw.;
teils sind sie sachliche, wie die Spanndienste. Ge-
meindegebühren und Gemeindesteuern. Während
früher ziemlich allgemein bei den ländlichen und
auch bei vielen städtischen Gemeinden der Ertrag
des nutzbaren Gemeindeeigentums für die Befrie-
digung der Gemeindebedürfnisse hinreichte, so daß
man nur für außergewöhnliche Bedürfnisse zu Um-
lagen seine Zuflucht zu nehmen brauchte, für die
gewöhnlichen aber in größerem Maße nur in den
großen Städten, hat sich in unserer Zeit bei dem
Gemeindelasten.
466
raschen Wachsen der Bevölkerung in den alten
und dem Entstehen vieler neuen Gemeinden das
Verhältnis dahin umgekehrt, daß viele Gemeinden
kein oder fast kein Nutzungsvermögen haben und
in allen mit sehr wenigen Ausnahmen zur Befrie-
digung der Bedürfnisse die Steuerkraft der Bürger
herangezogen werden muß. Dieses Heranziehen
geschieht in rasch steigendem Maße, so daß die
Vermehrung der Gemeindesteuern in jüngster Zeit,
namentlich seit 1871 in Deutschland, eine noch
stärkere ist als die Vermehrung der Staatssteuern.
In den einzelnen Gemeinden ist dabei die Höhe
der Kommunalsteuern sehr verschieden. Sie schwankt
in Preußen da, wo dieselben in Prozentsätzen der
Staatssteuern aufgebracht werden, von ganz ge-
ringen Prozenten bis 400 Prozent und mehr,
letzteres namentlich in jungen Industriestädten.
In andern deutschen Staaten liegen vielfach
ähnliche Verhältnisse vor. Wenn daher heute
über Steuerüberbürdung geklagt wird, so liegt
der Grund meist nicht in der Höhe der Staats-
steuern, sondern in der Höhe der kommunalen
Abgaben, namentlich der Gemeindesteuern. Auch
abgesehen von ihrer objektiven Höhe, sind diese
häufig wegen der Ungleichmäßigkeit der Vertei-
lung in sozialer Hinsicht noch mehr geeignet, das
Gefühl der Überbürdung zu erzeugen, als die
Staatssteuern. Wo sie als Zuschläge zu den
Staatssteuern erhoben werden und diese schon
ungleich verteilt sind, vergrößert sich natürlich die
Ungleichmäßigkeit mit der Höhe dieser Zuschläge.
Jede staatliche Reform des direkten Steuerwesens
wirkt darum auch auf die direkten Gemeinde-
steuern zurück, wie z. B. die letzte Reform in
Preußen: Einkommensteuergesetz vom 24. Juni
1891 und Gewerbesteuergesetz von demselben Tage
und später Gesetz betreffend Abänderung des Ein-
kommensteuergesetzes vom 19. Juni 1906. Am
meisten trägt zu dem Gefühl der Uberbürdung bei,
wenn Gemeinden mit hohen und solche mit ge-
ringen Gemeindesteuern nahe beisammenliegen,
wie das häufig vorkommt. Auf die Bevölkerungs-
zu= bzw.-abnahme, namentlich die Art der Be-
völkerung, welche zu= oder abzieht, haben diese
Unterschiede mitunter einen ganz bemerkenswerten
Einfluß.
An und für sich steht den Gemeinden das ge-
samte Gebiet von Steuern offen, welches der
Staat auch kennt. Ein begrifflicher Unterschied
zwischen Staats= und Gemeindesteuern besteht
nicht, weder was die Veranlagung und Erhebung
noch was die Verwendung anbelangt. Sie unter-
scheiden sich nur durch den subjektiven Träger, hier
der Staat, dort die Gemeinde, nicht durch ihre
Natur und Einrichtung. Doch haben mitunter die
Staatsgesetze eingegriffen, indem sie im Interesse
der allgemeinen Staatsentwicklung den Gemeinden
gewisse Steuern versagten. Andere Steuern ver-
bieten sich für die Gemeinden durch ihre praktische
Undurchführbarkeit oder durch die Art, wie sie auf
die Gemeindeverhältnisse zurückwirken würden.