Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

471 
Preußen; Hessen kennt sie nur als Staatssteuer. 
Sie hat den Nebenzweck, dem Vertilgen der Nach- 
tigallen entgegenzuwirken. 
5. Vergnügungssteuern kommen in fast 
allen deutschen Bundesstaaten in der verschieden- 
sten Weise vor, meist mit dem Nebenzweck, auf die 
Verminderung der Lustbarkeitsgelegenheiten hin- 
zuwirken oder bestimmte Arten von Lustbarkeiten, 
namentlich gewisse Schaustellungen, zu beschränken. 
Sie bestehen für Gestattung von Tanzmusiken, für 
Gestattung der Überschreitung der Polizeistunde, 
für Gestattung gewisser Anziehungsmittel für den 
Wirtschaftsbetrieb oder gewisser Arten desselben, 
bei Schützenfesten und Kirmessen, für Gestattung 
des Tragens von Masken auf offener Straße usw. 
Oft werden sie zugunsten der Armen, Hospitäler 
usw. verwendet. 
Eine einheitliche und umfassende Kodifikation 
des Kommunalabgabewesens fehlt noch in fast 
allen deutschen Staaten. Nur in Preußen ist bis- 
her die Kodifikation gelungen; nachdem Versuche 
von 1877, 1878 und 1879 mißglückt waren, kam 
endlich das Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 
1893 zustande, welches das gemeindliche Steuer- 
wesen einheitlich und vollständig regelt. Manche 
große Fortschritte beruhen auf diesem Gesetz, welches 
den ersten umfassenden Versuch auf diesem Gebiete 
darstellt. Doch hat es auf der andern Seite der 
gemeindlichen Steuergebarung wieder Schranken 
aufgelegt, welche vom sozialen Standpunkt aus zu 
bedauern sind. Dies gilt namentlich für die von 
diesem Gesetze herbeigeführte hohe Ausnutzung der 
Grund= und Gebäudesteuer. Beide werden um- 
gelegt ohne Rücksicht auf die persönliche Leistungs- 
fähigkeit des Besitzers, und zwar aus dem Grunde, 
weil ihre Leistung den besondern Vorteilen ent- 
sprechen soll, welche den Grund= und Gebäude- 
besitzern aus den Veranstaltungen der Gemeinde 
(Straßenbauten, Kanalisationen) zufließen. Doch 
werden diese Steuern häufig in viel höherem Maße 
erhoben, als ihnen solche besondere Vorteile gegen- 
überstehen. Die Gebäudesteuer wirkt dabei als 
Wohnungssteuer, welche die Wohnungen der 
unteren Klassen in einem ungleich härteren Maße 
heranzieht wie die Wohnungen der reichen und 
reichsten Klassen. Sie belastet dadurch das Ein- 
kommen oft in einer so starken umgekehrten Pro- 
gression gegenüber der Höhe des Einkommens, daß 
sie die Erleichterung der Steuerlast der unteren 
Klassen, welche die direkte Progression der Ein- 
kommensteuerreform von 1891 brachte, in weitem 
Umfange, nicht selten sogar ganz aufhebt oder 
gar die Gesamtbelastung so stark beeinflußt, daß 
diese umgekehrt progressiv gegenüber der Höhe des 
Einkommens wird. 
Literatur. Grotefend, Die Grundsätze des 
Kommunalsteuerwesens in den östl. u. westl. Pro- 
vinzen des preuß. Staates (1874); Friedberg, Die 
Besteuerung der Gemeinden (1877); v. Bilinfki, 
Die Gemeindebesteuerung u. deren Reform (1878); 
A. Wagner, Finanzwissenschaft (31883); Stein, 
Gemeindeordnung. 
472 
Finanzwissenschaft (5„1885); Schmitz, Kommunal= 
steuerrecht (1890); v. Reitzenstein u. Trüdinger, 
Das kommunale Finanzwesen, in Schönbergs Hand- 
buch der polit. Okonomie III ((1898); Eheberg, 
Art. „Gemeindefinanzen“ u. Herrfurth, Art. „Kom- 
munalabgaben“", in Conrads Handwörterbuch der 
Staatswissenschaften IV u. V (21900); Uhland, 
Die Finanzorganisation der deutschen Städtever- 
waltungen (1903); A. Wagner, Die finanzielle 
Mitbeteiligung d. Gemeinden an kulturellen Staats- 
einrichtungen u. die Entwicklung der Gemeindeein- 
nahmen (1904); A. Wagner u. Preuß, Kommunale 
Steuerfragen (1905); Gerlach, Gemeindesteuerrecht 
(1905); Art. „Gemeindeabgaben, G. anleihen, G.= 
haushalt, G.einkommensteuer, G.gewerbesteuer, G. 
gliedervermögen, G. vermögen" in v. Bitters Hand- 
wörterb. der preuß. Verwaltung 7 (1906); Conrad, 
Grundriß zum Studium der polit. Okonomie III 
((1906); v. Heckel, Art. „Gemeindefinanzen“ in 
Elsters Wörterbuch der Volkswirtschaft 1 (21906); 
v. Kaufmann, Die Kommunalfinanzen (2 Bde, 
1906); Eheberg, Finanzwissenschaft (1907); Klose, 
Die Finanzpolitik der preuß. Großstädte (1907); 
Gemeindefinanzen, hrsg. vom Verein für Sozial- 
politik I (1908). — Preuß. Kommunalabgaben- 
gesetz vom 14. Juli 1893: Maraun (1893), Luks 
(1894), Oertel (1894), Schwarz (1894), Schaff 
(11901), Adickes (71906), Nöll u. Freund (61907), 
Strutz (711908). — Tröltsch, Gemeindebesteuerung 
in Bayern (1891); Eßlen, Gesch. der Entwicklung 
der Gemeindebesteuerung im rechtsrhein. Bayern 
(1903). — v. Bosse, Gemeindebesteuerung im Kgr. 
Sachsen (1890); Mosel, Das Recht der Gemeinde- 
besteuerung im Kgr. Sachsen (1905). 
[Karl Bachem.) 
Gemeindeordnung. (Unterschied von 
Stadt und Land, Großstadt, Gutsbezirke, Sta- 
tuten, Spezialgemeinden; Preußen: östliche Pro- 
vinzen, westliche Provinzen; Süddeutschland; 
Osterreich.] · 
Da die Gemeinden, wenn auch mit eigenem 
Recht, so doch nicht unabhängig und abgesondert, 
sondern als Glieder eines Staates in diesem Staat 
bestehen, so bedarf ihr Verhältnis zu diesem Staat 
einer Ordnung, welche dieses Verhältnis regelt, 
die Rechtsstellung der Gemeinde im Staat fest- 
stellt, die Grenzen zwischen den Befugnissen der 
Gemeinde und des Staates zieht und die Be- 
gleichung von Streitigkeiten zwischen Staat und 
Gemeinde regelt. Früher vielfach der historischen 
Entwicklung und dem Gewohnheitsrecht überlassen, 
ist diese Reglung heute auf dem europäischen Fest- 
lande durchgehends durch geschriebene Gemeinde- 
ordnungen geschehen, während England heute noch 
einer solchen entbehrt. Bei Beurteilung dieser 
Ordnungen ist davon auszugehen, daß ein cha- 
rakteristischer Unterschied besteht zwischen Stadt- 
und Land gemeinden, wenn auch beide Arten in- 
einander übergehen und die Grenze im einzelnen 
oft schwer zu bestimmen ist. Die Landgemeinde 
beruht wesentlich auf der gleichartigen, acker- 
bauenden oder sonstigen bäuerlichen Beschäftigung 
des überwiegenden Teiles der Bewohner, neben 
der die andern Beschäftigungen, in erster Linie 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.