Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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keit zur Berufung und bezeichnet die Kategorien 
von Personen, welche aus praktischen Erwägungen 
nicht hierzu berufen werden sollen, und welche die 
Berufung ablehnen können; die Art und Weise, 
in welcher aus den hiernach verbleibenden Per- 
sonen die Schöffen für die einzelnen Sitzungen 
des Jahres bestimmt werden (teils Wahl teils 
Auslosung), ist gleichfalls normiert. Die Schöffen 
üben während der Hauptverhandlung das Richter- 
amt in vollem Umfange und mit gleichem Stimm- 
recht wie die Amtsrichter aus. 
Die Landgerichte (besetzt mit einem Prä- 
sidenten, Direktoren und Räten) entscheiden in 
Zivilkammern (nach Bedürfnis auf Anordnung 
der Landesjustizuerwaltung auch in Kammern für 
Handelssachen) und in Strafkammern. Die Zivil- 
kammern entscheiden in der Besetzung von drei 
Mitgliedern, ebenso die Strafkammern als Be- 
rufungsinstanz bei Übertretungen und in den 
Fällen der Privatklage, sonst von fünf Mitgliedern 
einschließlich des Vorsitzenden; die Kammern für 
Handelssachen entscheiden in der Besetzung mit 
einem Mitgliede des Landgerichts als Vorsitzendem 
und zwei Handelsrichtern; letztere werden auf 
gutachtlichen Vorschlag der zur Vertretung des 
Handelsstandes berufenen Organe für die Dauer 
von drei Jahren ernannt, müssen in das Handels- 
register eingetragen sein und das 30. Lebensjahr 
vollendet haben und sollen im Bezirke der Kammer 
wohnen bzw. dort eine Niederlassung haben. 
Nach Bedürfnis werden für die Strassachen 
durch die Landesjustizverwaltung Untersuchungs- 
richter auf die Dauer eines Jahres bestellt. Als 
Strafgerichte treten bei den Landgerichten periodisch 
Schwurgerichte zusammen; sie bestehen aus 
drei richterlichen Mitgliedern und zwölf zur Ent- 
scheidung der Schuldfrage berufenen Geschworenen. 
Der Vorsitzende wird für jede Sitzungsperiode 
vom Präsidenten des Oberlandesgerichts ernannt; 
den Stellvertreter ernennt der Präsident des be- 
treffenden Landgerichts; das Geschworenenamt ist 
ähnlich geregelt wie das Schöffenamt. 
Bei den Oberlandesgerichten (besetzt mit 
einem Präsidenten, Senatspräsidenten und Räten) 
werden Zivil= und Strafsenate gebildet, welche in 
der Besetzung von fünf Mitgliedern entscheiden. 
Das Reichsgericht ist durch das Reichs- 
gerichtsverfassungsgesetz als oberstes gemeinsames 
Organ für die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit 
geschaffen worden, nachdem bereits das Gesetz vom 
12. Juni 1869 in dem Oberhandelsgericht zu 
Leipzig für den Norddeutschen Bund eine eigene 
Gerichtsbarkeit des Bundes organisiert hatte. Der 
Sitz des Reichsgerichts ist Leipzig; es entscheidet 
in Senaten von sieben Mitgliedern in bestimmten 
Fällen mit Rücksicht auf die einheitliche und sichere 
Rechtsprechung in vereinigten Zivil= oder Straf- 
senaten oder auch im Plenum. Bayern besitzt in 
seinem Obersten Landesgericht ein höchstes Gericht, 
für dessen Organisation wesentlich die beim Reichs- 
gerichte maßgebenden Bestimmungen gelten. 
Staatslexikon. II. 3. Aufl. 
Gerichtsverfassung, deutsche. 
  
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Bei jedem Gerichte besteht eine Gerichts- 
schreiberei, deren Geschäftskreis in den Prozeß- 
ordnungen, teilweise auch landesrechtlich bestimmt 
ist; ebenso soll bei jedem Gericht eine Staats- 
anwaltschaft bzw. eine Amtsanwaltschaft bestehen. 
Werden die Gerichte als Kollegialgerichte tätig, 
so hat ein Mitglied den Vorsitz mit bestimmten 
Vorrechten (Geschäftsleitung, sachliche Leitung der 
Verhandlung, Sitzungspolizei, Beurkundung). 
Die andern Mitglieder (Beisitzer) sind prinzipiell 
gleichberechtigt, insbesondere bei der Fällung von 
Entscheidungen. 
Im engsten Zusammenkhange mit der Gerichts- 
verfassung steht auch das Institut der Rechts- 
anwaltschaft. 
Die Behandlung des einzelnen Falles kommt 
nur dem zuständigen Gerichte zu; die Zu- 
ständigkeit ist teils nach sachlichen Momenten 
geregelt teils mit dem örtlichen Gerichtsbezirke 
gegeben. Sie bedeutet die Befugnis und Ver- 
pflichtung des Gerichts, die konkrete Streitsache 
zu erledigen; ihr entspricht der Gerichtsstand des 
Beklagten oder Angeklagten. Vor die Amtsgerichte 
gehören regelmäßig nur diejenigen bür gerlichen 
Rechtsstreitigkeiten, deren Gegenstand an Geld 
oder Geldeswert 300 K nicht übersteigt; nur in 
Mietsachen und in ähnlichen Streitigkeiten, die 
rasche Abwicklung erfordern, kommt es auf den 
Streitwert nicht an. Alle übrigen bürgerlichen 
Rechtsstreitigkeiten, die Ansprüche der Reichs- 
beamten und gegen Reichsbeamte unbedingt, ge- 
hören in erster Instanz vor die Zivilkammern der 
Landgerichte, welche zugleich die Berufungs= und 
Beschwerdeinstanz für die Entscheidungen der Amts- 
gerichte bilden. Handels= und Wechselsachen kön- 
nen vor die Kammern für Handelssachen gebracht 
werden. 
Die Oberlandesgerichte sind zuständig für die 
Berufungen gegen die Endurteile der Landgerichte 
und für Beschwerden gegen Entscheidungen der 
Landgerichte. 
Das Reichsgericht ist zuständig für die Ver- 
handlung und Entscheidung über das Rechtsmittel 
der Revision gegen die Endurteile der Oberlandes- 
gerichte und der Beschwerde gegen die Entschei- 
dungen der Oberlandesgerichte. Die beschränkte 
Zulassung der Revision (Revisionssumme, Ver- 
letzung eines Gesetzes, dessen Geltungsbereich sich 
über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus- 
erstreckt) schränkt auch die Zuständigkeit des Reichs- 
gerichts ein. Die Zuständigkeitdes Obersten Landes- 
gerichts für Bayern ist durch Art. 6 des Einf.Ges. 
zum B. G. B. wesentlich eingeschränkt; die bürger- 
lichen Rechtsstreitigkeiten, in welchen durch Klage 
oder Widerklage ein Anspruch auf Grund des 
B.G.B. geltend gemacht wird, gehören vor das 
Reichsgericht; es verbleiben dem Obersten Landes- 
gericht für Bayern der Hauptsache nach nur die 
nicht zahlreichen Fälle, in denen Klage und Wider- 
klage auf Landesrecht beruhen, und einige Fälle des 
Konkursrechts. 
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