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keit zur Berufung und bezeichnet die Kategorien
von Personen, welche aus praktischen Erwägungen
nicht hierzu berufen werden sollen, und welche die
Berufung ablehnen können; die Art und Weise,
in welcher aus den hiernach verbleibenden Per-
sonen die Schöffen für die einzelnen Sitzungen
des Jahres bestimmt werden (teils Wahl teils
Auslosung), ist gleichfalls normiert. Die Schöffen
üben während der Hauptverhandlung das Richter-
amt in vollem Umfange und mit gleichem Stimm-
recht wie die Amtsrichter aus.
Die Landgerichte (besetzt mit einem Prä-
sidenten, Direktoren und Räten) entscheiden in
Zivilkammern (nach Bedürfnis auf Anordnung
der Landesjustizuerwaltung auch in Kammern für
Handelssachen) und in Strafkammern. Die Zivil-
kammern entscheiden in der Besetzung von drei
Mitgliedern, ebenso die Strafkammern als Be-
rufungsinstanz bei Übertretungen und in den
Fällen der Privatklage, sonst von fünf Mitgliedern
einschließlich des Vorsitzenden; die Kammern für
Handelssachen entscheiden in der Besetzung mit
einem Mitgliede des Landgerichts als Vorsitzendem
und zwei Handelsrichtern; letztere werden auf
gutachtlichen Vorschlag der zur Vertretung des
Handelsstandes berufenen Organe für die Dauer
von drei Jahren ernannt, müssen in das Handels-
register eingetragen sein und das 30. Lebensjahr
vollendet haben und sollen im Bezirke der Kammer
wohnen bzw. dort eine Niederlassung haben.
Nach Bedürfnis werden für die Strassachen
durch die Landesjustizverwaltung Untersuchungs-
richter auf die Dauer eines Jahres bestellt. Als
Strafgerichte treten bei den Landgerichten periodisch
Schwurgerichte zusammen; sie bestehen aus
drei richterlichen Mitgliedern und zwölf zur Ent-
scheidung der Schuldfrage berufenen Geschworenen.
Der Vorsitzende wird für jede Sitzungsperiode
vom Präsidenten des Oberlandesgerichts ernannt;
den Stellvertreter ernennt der Präsident des be-
treffenden Landgerichts; das Geschworenenamt ist
ähnlich geregelt wie das Schöffenamt.
Bei den Oberlandesgerichten (besetzt mit
einem Präsidenten, Senatspräsidenten und Räten)
werden Zivil= und Strafsenate gebildet, welche in
der Besetzung von fünf Mitgliedern entscheiden.
Das Reichsgericht ist durch das Reichs-
gerichtsverfassungsgesetz als oberstes gemeinsames
Organ für die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit
geschaffen worden, nachdem bereits das Gesetz vom
12. Juni 1869 in dem Oberhandelsgericht zu
Leipzig für den Norddeutschen Bund eine eigene
Gerichtsbarkeit des Bundes organisiert hatte. Der
Sitz des Reichsgerichts ist Leipzig; es entscheidet
in Senaten von sieben Mitgliedern in bestimmten
Fällen mit Rücksicht auf die einheitliche und sichere
Rechtsprechung in vereinigten Zivil= oder Straf-
senaten oder auch im Plenum. Bayern besitzt in
seinem Obersten Landesgericht ein höchstes Gericht,
für dessen Organisation wesentlich die beim Reichs-
gerichte maßgebenden Bestimmungen gelten.
Staatslexikon. II. 3. Aufl.
Gerichtsverfassung, deutsche.
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Bei jedem Gerichte besteht eine Gerichts-
schreiberei, deren Geschäftskreis in den Prozeß-
ordnungen, teilweise auch landesrechtlich bestimmt
ist; ebenso soll bei jedem Gericht eine Staats-
anwaltschaft bzw. eine Amtsanwaltschaft bestehen.
Werden die Gerichte als Kollegialgerichte tätig,
so hat ein Mitglied den Vorsitz mit bestimmten
Vorrechten (Geschäftsleitung, sachliche Leitung der
Verhandlung, Sitzungspolizei, Beurkundung).
Die andern Mitglieder (Beisitzer) sind prinzipiell
gleichberechtigt, insbesondere bei der Fällung von
Entscheidungen.
Im engsten Zusammenkhange mit der Gerichts-
verfassung steht auch das Institut der Rechts-
anwaltschaft.
Die Behandlung des einzelnen Falles kommt
nur dem zuständigen Gerichte zu; die Zu-
ständigkeit ist teils nach sachlichen Momenten
geregelt teils mit dem örtlichen Gerichtsbezirke
gegeben. Sie bedeutet die Befugnis und Ver-
pflichtung des Gerichts, die konkrete Streitsache
zu erledigen; ihr entspricht der Gerichtsstand des
Beklagten oder Angeklagten. Vor die Amtsgerichte
gehören regelmäßig nur diejenigen bür gerlichen
Rechtsstreitigkeiten, deren Gegenstand an Geld
oder Geldeswert 300 K nicht übersteigt; nur in
Mietsachen und in ähnlichen Streitigkeiten, die
rasche Abwicklung erfordern, kommt es auf den
Streitwert nicht an. Alle übrigen bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten, die Ansprüche der Reichs-
beamten und gegen Reichsbeamte unbedingt, ge-
hören in erster Instanz vor die Zivilkammern der
Landgerichte, welche zugleich die Berufungs= und
Beschwerdeinstanz für die Entscheidungen der Amts-
gerichte bilden. Handels= und Wechselsachen kön-
nen vor die Kammern für Handelssachen gebracht
werden.
Die Oberlandesgerichte sind zuständig für die
Berufungen gegen die Endurteile der Landgerichte
und für Beschwerden gegen Entscheidungen der
Landgerichte.
Das Reichsgericht ist zuständig für die Ver-
handlung und Entscheidung über das Rechtsmittel
der Revision gegen die Endurteile der Oberlandes-
gerichte und der Beschwerde gegen die Entschei-
dungen der Oberlandesgerichte. Die beschränkte
Zulassung der Revision (Revisionssumme, Ver-
letzung eines Gesetzes, dessen Geltungsbereich sich
über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus-
erstreckt) schränkt auch die Zuständigkeit des Reichs-
gerichts ein. Die Zuständigkeitdes Obersten Landes-
gerichts für Bayern ist durch Art. 6 des Einf.Ges.
zum B. G. B. wesentlich eingeschränkt; die bürger-
lichen Rechtsstreitigkeiten, in welchen durch Klage
oder Widerklage ein Anspruch auf Grund des
B.G.B. geltend gemacht wird, gehören vor das
Reichsgericht; es verbleiben dem Obersten Landes-
gericht für Bayern der Hauptsache nach nur die
nicht zahlreichen Fälle, in denen Klage und Wider-
klage auf Landesrecht beruhen, und einige Fälle des
Konkursrechts.
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