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„Weltbürger“ betrachteten, so Demokritos und
Sokrates. Bei den Stoikern kommt der Gedanke
der Einheit des Menschengeschlechtes zur Geltung.
Die Römer Cicero und Seneca sind ebenfalls als
Philosophen Kosmopoliten. Doch haben diese
vereinzelten Ansichten über die tiefer liegenden
Voraussetzungen des Rechts und seiner Herrschaft
innerhalb der menschlichen Gemeinschaft keine
dauernde Wirkung ausgeübt. Erst spezifisch reli-
giöse Gesichtspunkte brachten die Unverletzlichkeit
von Gesandten, die Verbindlichkeit von Verträgen
und Bündnissen, die durch Eid und Opfer bekräf-
tigt waren, zur Anerkennung. Doch erst das
Christentum brachte den Völkern ein gemeinsames
Sittengesetz und damit die Grundlage einer gleich-
mäßigen Entwicklung internationaler Beziehungen.
Unter dem Einfluß christlicher Sitte wurden die
Forderungen der Humanität und der Ehre aner-
kannt, und die Bestrebungen zur Unterdrückung
der Sklaverei begannen allenthalben. Auch die
Kreuzzüge sind für die Entwicklung des völkerrecht-
lichen Gedankens wichtig gewesen, insofern der durch
sie einsetzende lebhafte Handelsverkehr den Okzi-
dent in eine dauernde Verbindung mit dem Orient
brachte; besonders lebhaft zeigte sich in den italie-
nischen Städten und Staaten die Notwendigkeit
des Schutzes ihrer Interessen. — Während nun
im Altertum und in der Hauptsache auch im Mittel-
alter der Verkehr der Staaten durch Gesandte nur
auf einzelne Fälle beschränkt blieb, kommt in den
italienischen Staaten seit der Mitte des 15. Jahrh.
die Gewohnheit auf, gegenseitig ständige Gesandt-
schaften zu bestellen. Insbesondere hatte Venedig
frühzeitig eine Diplomatie entwickelt. Schon vor-
her war der Gedanke ständiger Vertretung zum
Ausdruck gekommen in dem Institut der Vertre-
tung des Papstes am Kaiserhofe in Byzanz und
bei den fränkischen Königen (die sog. apocrisiarür
oder responsales). Von den italienischen Staaten
wurden bald auch residierende Gesandte an die
Höfe der größeren europäischen Staaten (Spanien,
Frankreich, England, Deutschland) gesandt. Diese
Staaten selbst haben dann seit dem Ende des
15. Jahrh. ständige Gesandtschaften gegenseitig
bestellt. Infolge des Westfälischen Friedens von
1648 wurden nach dem Muster der von Riche-
lieu und Ludwig XIV. für Frankreich durchgeführ-
ten Organisation ständiger Gesandtschaften solche
allgemein geschaffen. Man sah ein, daß die Er-
haltung geordneter Rechtsverhältnisse zwischen den
einzelnen Staaten nur durch gegenseitige Ver-
ständigung über Forderungen und Gegenforde-
rungen erzielt werden konnte; desgleichen lag die
Notwendigkeit, sich von den Zuständen und Macht-
verhältnissen anderer Staaten und von den Zielen
ihrer Politik zuverlässige Kenntnis zu verschaffen,
klar zutage. Daneben wurden bei bestimmten An-
lässen besondere Gesandte verwendet (missions de
Cérémonie und ministres négociateurs).
II. Begriff des Gesandtschaftsrechts. Dieser
hängt aufs engste mit dem Institut der ständigen
Gesandte ufw.
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Gesandtschaften zusammen. Und die Gesamtheit
derjenigen Normen des positiven Völkerrechts,
welche den gegenseitigen Verkehr der Staaten durch
deren Diplomaten regeln, bilden das objektive Ge-
sandtschaftsrecht.
Das subjektive Gesandtschaftsrecht ist ein aktives
und passives; jenes ist das Recht, Gesandte in
fremde Staaten zu entsenden; dieses das Recht,
Gesandte fremder Staaten bei sich zu empfangen.
„Mit dem aktiven Gesandtschaftsrecht ist der An-
spruch auf Gewährung aller Rechte und Privi-
legien gegeben, welche nach Völkerrecht dem Ver-
treter eines Staates seitens der in der internatio-
nalen Gemeinschaft stehenden Staaten zukommen.
Das Korrelat des passiven Gesandtschaftsrechts ist
die Pflicht, dem Vertreter eines Staates die
völkerrechtlichen Befugnisse und Privilegien zu ge-
währen“ (E. v. Ullmann, Völkerrecht (#1908!
164). Das aktive und passive Gesandtschaftsrecht
(ius legationum, droit d’ambassade, droit de
-Egation) steht denjenigen staatlichen Gemeinwesen
zu, denen die Eigenschaft als Völkerrechtssubjekt
zukommt. Das aktive Gesandtschaftsrecht hat jeder
souveräne Staat kraft seiner Souveränität; die
Bestreitung des Rechts der Repräsentation durch
Gesandte wäre gleichbedeutend mit der Bestreitung
der Existenz als Völkerrechtssubjekt.
Nach Maßgabe des gekennzeichneten Prinzips
können Personen und Körperschaften, welche recht-
lich einem Untertanenverhältnis angehören, sowie
die sog. Standesherren des Deutschen Reichs und
entthronte Fürsten das Gesandtschaftsrecht nicht be-
sitzen. Wenn im alten deutschen Reich große Städte
oder Städteverbindungen (3. B. die Hansa) das
Gesandtschaftsrecht ausübten, so erklärt sich dieser
mit der heutigen Souveränität nicht mehr verein-
barliche Vorgang durch die lose Verfassung des
alten Reichs. Das Gesandtschaftsrecht kann jedoch
unter Umständen einzelnen Personen oder Körper-
schaften zur Ausübung delegiert werden. Eine der-
artige Delegation erfolgt z. B. im Kriege bezüglich
der Führer selbständig operierender Heereskörper.
Ahnlicher Art sind auch die Fälle, in welchen
Vizekönige oder Statthalter entfernter Provinzen
oder Kolonien (z. B. der Vizekönig von Indien
oder der Generalgouverneur von Turkestan oder
die niederländische Kolonialregierung von Ost-
asien) das Gesandtschaftsrecht ausüben, wobei es
sich jedoch stets nicht um ein eigenes, sondern um
ein iure delegato ausgeübtes Recht handelt. Ent-
thronten Fürsten wird das Gesandtschaftsrecht bis-
weilen entweder aus Courtoisie oder in Nichtaner-
kennung der Rechtsbeständigkeit ihrer Entthronung
zugestanden. Beispiele von Gesandten depossedier-
ter Fürsten sind aus älterer und neuerer Zeit nach-
zuweisen; hier sei nur der Gesandten der Stuarts
bei Ludwig XIV. und von Franz II. von Neapel
Erwähnung getan. Auch die halbsouveränen
Staaten haben an sich kein Gesandtschaftsrecht;
die Ausübung dieses Rechts kann denselben jedoch
von seiten des Suzeräns eingeräumt werden. So
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