Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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pedia v, xv) angesehen wird, so haben wir ihn 
in erster Linie ins Auge zu fassen. Von sonstigen 
geheimen Gesellschaften werden wir einige kurz 
kennzeichnen, welche in neuerer Zeit größeren po- 
litischen und sozialen Einfluß ausgeübt haben, und 
probeweise ein paar einerseits direkt verbrecherische 
und anderseits philanthropische geheime Gesell- 
schaften (benevolent, friendly) societies) er- 
wähnen. 
I. Ireimaurerbund und Freimaurerei. 
Um sich in dem Wirrwarr von Systemen und 
Anschauungen zurechtzufinden, welcher die Frei- 
maurerei für den ungeschulten Forscher zu einem 
wahren Labyrinth macht, gilt es vor allem, den 
sicher führenden Ariadnefaden zu gewinnen. Den- 
selben liesert uns, im Zusammenhange mit der 
Kenntnis vom wahren Ursprung des Bundes, 
1) das Ur= und Grundgesetz desselben, so wie es 
in der ersten und zweiten Ausgabe des englischen 
Konstitutionsbuches (1723 und 1738) enthalten 
ist. Im Lichte dieses Grundgesetzes haben wir so- 
dann 2) die Entwicklung der Freimaurerei von 
1717 bis zur Gegenwart und den heutigen Be- 
stand des Freimaurerbundes, 3) die freimaurerische 
Symbolik, Eide und Gelöbnisse, 4) die Wirksam- 
keit des Freimaurerbundes nach außen und 5) end- 
lich die Stellungnahme von Staat und Kirche zu 
demselben kurz zu besprechen. 
1. Ursprung, Ur= und Grundgesetz 
und Grundwesen des Freimaurerbundes. 
Der Freimaurerbund und die Freimaurerei im 
modernen Sinne, so wie diese Ausdrücke seit etwa 
1750 allgemein und ausschließlich verstanden wer- 
den, leiten sich unzweifelhaft von der am 24. Juni 
1717 aus vier alten in Verfall geratenen Werk- 
maurerlogen begründeten Großloge von England 
her, welche in den Constitutions of the Freema- 
sons 5723 (Lond. 1723) ihre grundlegende Ver- 
fassung erhielt. Denn wenngleich manche Logen 
in Schottland, Irland, Borkshire in die Zeit vor 
1717 zurückreichen, haben doch auch diese bzw. die 
Großlogen von Schottland. Irland, York zwischen 
1723 und 1730 die neue Verfassung der englischen 
Großloge von 1723 und im wesentlichen auch ihr 
symbolisches System angenommen. Und sämtliche 
übrigen Logen der Welt erhielten direkt und in- 
direkt ihre Konstitution von diesen drei Großlogen. 
Die englische Großloge ist somit als die Mutter- 
Großloge der Freimaurerei der ganzen Welt zu 
betrachten. Die Bemühungen vieler Freimaurer, 
dem Freimaurerbund troßdem ein höheres Alter- 
tum zu sichern, sind durchaus verfehlt. Der An- 
spruch der Großlogen schwedischen Systems, dar- 
unter der Großen Landesloge von Deutschland, 
nach welchem dieses System als ein bis auf Christus 
und die Essener zurückreichender Geheimbund, im 
Gegensatze zur christlichen Volksreligion, die wahre 
esoterische dogmenlose Lehre Christi fortpflanzen 
soll, wird von Freimaurern selbst fast allgemein 
als schwindelhaft bezeichnet. Die Versuche zahl- 
reicher angloamerikanischer und romanischer Frei- 
  
Gesellschaften, geheime. 
  
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maurer, die Freimaurerei auf den pythagoreischen 
Geheimbund und durch diesen auf die altägyptischen 
Mysterien zurückzuführen, sind kaum weniger 
schwindelhaft. Auch neuere Theorien Katschs und 
L. Kellers, gemäß welchen der Freimaurerbund 
aus der Rosenkreuzerbruderschaft oder den Akade- 
mien des 17. Jahrh. usw. hervorgegangen sein 
soll, sind historisch unhaltbar. Die Behauptungen 
der angloamerikanischen historischen Schule (Gould, 
Hughan usw.), daß der modernen „spekulativen“ 
Freimaurerei mit Rücksicht auf die schon vor 1717 
in Logen gepflegte Symbolik oder die Zugehörig- 
keit von nicht im Baufache tätigen Mitgliedern 
ein höheres, ja recht hohes Altertum zugesprochen 
werden müsse, vermögen ebensowenig auch nur 
einen Augenblick ernsthafter Kritik standzuhalten. 
Denn das Wesen der modernen „spekulativen“ 
Freimaurerei besteht nicht in gedachter Symbolik 
oder in der Zugehörigkeit höher Gebildeter anderer 
Stände zu Werkmaurerlogen, sondern vor allem 
in den „humanitären“ Grundsätzen, wie sie, im 
direkten Gegensatze zu den entsprechenden Bestim- 
mungen der alten christlichen Werkmaurerlogen vor 
und selbst nach 1723, im Ur= und Grundgesetz 
des modernen „spekulativen“ Freimaurerbundes 
ausgesprochen sind. Als dieses Ur= und Grund- 
gesetz müssen die „Alten Pflichten“ eines Frei- 
maurers in der Fassung betrachtet werden, welche 
sie in den zwei ersten Ausgaben (1723 u. 1738) 
des Konstitutionsbuches der englischen Großloge 
haben. Die Fassung von 1723 ist als die ursprüng- 
liche und später fast allgemein rezipierte die beie 
weitem maßgebendste. Aber auch dem Text von 
1738 kommt eine hohe Bedeutung zu, weil der- 
selbe lange Zeit hindurch in Deutschland, Frank- 
reich, Jrland und Nordamerika die weiteste Ver- 
breitung hatte. Während nun in den zahlreichen 
noch vorhandenen „gotischen“ oder christlichen 
Werkmaurer-Verfassungen bis und nach 1717 (vgl. 
Kloß, Die Freimaurerei (1855) 189/92; Gould, 
Conc. Hist. 236; Hughan, Old Charges [Lond. 
21895]; John Thorp MS. 16291— Manuskript 
ins Jahr 1629 verlegtl, Rawlinson MS. 1700 
I Manuskr. ins Jahr 1700 verlegt)], mitgeteilt 
in AOC3Ars Quatuor Coronatorum)] XI 
210, 22) die „erste“" Maurerpflicht völlig überein- 
stimmend lautet: „Die erste Pflicht ist, daß du treu 
zu Gott und Kirche stehest (that you shall be 
true men to God and the holy Church) und 
dich vor Irrlehren (errors) und Häresie (Heresy) 
hütest“, heißt es in der grundlegenden Verfassung 
(1723) der modernen „spekulativen“ Freimaurerei, 
welche den Bau am Menschheitstempel oder die 
„Humanisierung“ der Bundesmitglieder und der 
menschlichen Gesellschaft im Sinne der Freimaurerei 
zum Gegenstand hat: „Pflichten gegen Gott und 
Religion. Ein Maurer ist durch seinen Beruf ver- 
pflichtet, dem Sittengesetz zu gehorchen; und wenn 
er die Kunst recht versteht, wird er weder ein 
stumpfsinniger Atheist noch ein irreligiöser Frei- 
geist (viele Freimaurer übersetzen „ruchloser Wüst-
	        
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