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spontan nach Nationen gegliederten Völker in
einer Art föderativer Weltrepublik zu begründen.
Nächster Zweck des Verbandes war die Befreiung
und Einigung Italiens. Dieser Zweck sollte durch
die Volkserziehung mittels Schrift und Wort
und durch Insurrektionen und eine durch die-
selben hervorgerufene Volkserhebung erreicht wer-
den, wobei die Erziehung wieder hauptsächlich
in der Predigt der Insurrektion zu gipfeln hatte.
Die Beitretenden hatten eidlich zu geloben, daß
sie den ihnen erteilten Instruktionen pünktlich
nachkommen und das Geheimnis selbst um den
Preis ihres Lebens wahren wollen (I 107/119).
Die Tötung der Wortbrüchigen wünschte Maz-
zini, wie er selbst sagt, im Gegensatze „zu allen
früheren geheimen Gesellschaften“ nicht (1 120;
III 42; X 47). Ihre hauptsächlichste Strafe sollte
die Infamie sein (I1 119). Hingegen billigte er
den Meuchelmord an Personen, die dem allgemei-
nen Wohle im Wege ständen (X 48/58; III
340 ff). Schon nach Jahresfrist war die Verbin-
dung die mächtigste in Italien. 1834 gründete
Mazzini mit Gleichgesinnten noch die verwandten
Verbindungen Jung-Deutschland, Jung-Polen,
welche mit Jung-Italien im Gesamtverbande
Jung-Europa zusammengeschlossen sein sollten,
dessen Tätigkeit sich allmählich auf alle Nationen
erstrecken sollte (V 22/40). Indes übte außer
Jung-Italien wohl einzig die ebenfalls von Maz-
zini ins Leben gerufene Jung-Schweiz bedeuten-
deren politischen Einfluß aus (XII LxxxIv, Anm.
2). Nach den bei Eckert (Der Freimaurerorden
[1852] 420 ff) mitgeteilten Statuten Jung-
Deutschlands stand auf „Verrat eines Verbin-
dungsmitgliedes“ Todesstrafe (§ 52). Der einzige
Verband, dem die Mitglieder außerdem angehören
durften, war der Freimaurerorden (8 4).
5. Die slawi schen Geheimbünde gingen ebenso
wie die Verschwörungsgesellschaften anderer Länder
direkt oder indirekt aus der Freimaurerei hervor
(ogl. Michalov, Die geheime Werkstätte der pol-
nischen Erhebung von 1830 (1877.). Auch für
die revolutionäre Bewegung in Rußland war die
Losung: „Befreiung der Völker von fremdem
Joche“ (d. h. vom Joche Napoleons und der
Fürsten überhaupt). Die flawische freimaurerisch-
revolutionäre Partei trat dann weiter auf: in
Rußland unter den Namen „Verbindung des
Nordens“, „Verbindung des Südens“, „Ver-
bündete Slawen“, „Panslawismus“, „Omla-
dina“; in Polen unter der Firma „Bund des
Heiles“, „Patriotische Gesellschaft“", „Sensen-
männer“, „Bund der Philareten“ (Tugendbund)
und „Philomathen" („wissenschaftlicher“ Verein)
und in Formverschiedener Studentenverbindungen.
Die polnischen Revolutionen waren das Werk
dieser Geheimbünde (vgl. Michalov a. a. O. 50;
Knorr, Die polnischen Aufstände seit 1830 in
ihrem Zusammenhang mit den internationalen Um-
sturzbewegungen, 1880). In neuerer Zeit ist der
sozialistisch-anarchistische Zug bei derpanslawistisch-
Gesellschaften, geheime.
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revolutionären Bewegung, deren Träger (Herzen,
Bakunin usw.) nun fast ausschließlich Russen sind,
besonders stark hervorgetreten. Die durch ihre
Attentate hinlänglich charakterisierten „Nihilisten“
sind „konsequente Revolutionäre“, welche, wie Ba-
kunins „Revolutionärer Katechismus“ sagt, nur
leben, um „die ganze bestehende bürgerliche Ord-
nung .. die ganze zivilisierte Welt samt ihren
Gesetzen, ihren Gebräuchen und ihrer Moral zu
zerstören“ (Deschamps-Janet, Les Socistés Se-
crètes et la Société II [Par. 1880] 575.—
Vgl. überdies noch Rud. Meyer. Der Emanzipa-
tionskampf des vierten Standes II (1875) 319 ff
J. Scherr, Die Nihilisten ((1885); Karlowitsch,
Die Entwicklung des Nihilismus (81880).
6. Irische Geheimbünde. 1794 gründeten zu-
nächst fanatische Protestanten, welche die Eman-
zipation der irischen Katholiken um jeden Preis
hintertreiben wollten, die vom Freimaurer Thom.
Wilson nach dem Muster der Freimaurerei ein-
gerichtete geheime Gesellschaft der Orange-Men,
deren Mitgliederzahl auf 200 000 stieg. Unter
den irischen Katholiken in Irland, England und
Amerika bildete sich dem ungerechten Druck gegen-
über, der auf ihrer Heimat lastete, die geheime
Agrargesellschaft der Ribbon-Men (Molly Ma-
zuire), die von 1820 an, trotzdem der katholische
Klerus derselben energisch entgegenwirkte, eine
große Ausdehnung gewann. 1840/57 trat die
Verbindung „Jung-Irland“ in den Vordergrund,
welche die nationalen Interessen Irlands auf inter-
konfessioneller, nationaler Grundlage erstrebte und
Protestanten wie Katholiken aufnahm. Auch ein
Zweig dieser Verbindung appellierte gleich den
Ribbon-Men an die offene Gewalt. 1858 grün-
dete James Stephens, Mitglied „Jung-Irlands",
gemeinschaftlich mit O'Donovan Rossa in Irland
die „Phönix-Gesellschaft“, aus welcher später die
von Stephens mit O'Mahoney und andern in
Amerika begründete „Fenier“-Gesellschaft hervor-
ging. Diese geheime Gesellschaft stellte es sich zur
Aufgabe, mit Hilfe der vielfach reichen amerikani-
schen Irländer eine Insurrektion in Irland vor-
zubereiten und Irland zu einer unabhängigen
Republik zu machen. Gemäß diesem Zwecke besitzt
sie eine straffe Organisation in lokalen und höchsten
Zentren. Gegen die katholische Kirche zeigten sich
die Fenier feindselig, weil sie in derselben das
Haupthindernis für ihre revolutionären Umtriebe
erblickten. 1858 errichtete die Gesellschaft in ihrem
Schoß einen „Wohlfahrtsausschuß“, um hinder-
liche Personen aus dem Wege zu räumen. Die
„Invincibles“, welche ihren Namen durch ver-
schiedene Mordtaten und Dynamitattentate be-
fleckten, scheinen wohl die Vollstrecker der Urteile
dieses Tribunals gewesen zu sein. Auch das Trei-
ben der „Mondscheinbanden“ (moonlighters),
Ausschreitungen, welche die Parnellitische Land-
League kompromittierten, sind wohl auf die Tätig-
keit der Fenier zurückzuführen. — Vgl. A. M.
Sullivan, New lreland, political sketches