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alterlichen Recht) niemals auf Grund bloßer Ana-
logie (s. unten) verfügen (Reichsstrafgesetzbuch § 2).
An die Gesetzesauslegung schließt sich nun wei-
ter die Ableitung der Konsequenzen, die Gewin-
nung verwandter Rechtssätze an (ad similia pro-
cedere, vgl. 1. 12 et 17 Dig. de leg. 1, 3).
Der technische Name für dieses Verfahren heißt
Analogie. Ihr Wesen besteht nicht etwa einfach
in der Übertragung von Rechtssätzen auf ähnliche
Fälle, sondern darin, daß ein Rechtssatz auf sein
Prinzip zurückgeführt (Induktion) und aus diesem
Prinzip als Obersatz der jeweilige Untersatz ge-
wonnen wird (Deduktion): ex jure, quod est,
regula fiat. Die Analogie bringt auf wissen-
schaftlichem Wege Rechtssätze hervor, ohne deshalb
als besondere Rechtsquelle betrachtet werden zu
dürfen. Sohm nennt sie in seinen Institutionen
die „juristische Chemie“.
Mit Hilfe der Analogien füllen wir die Ge-
setzeslücken (sog. lacunge) aus. Während man
früher solche Vervollkommnungen nur auf Grund
des Naturrechts vornehmen zu dürfen glaubte,
pflegt man sich gegenwärtig allgemein an die Re-
geln desjenigen Rechtssystems zu halten, welches
gerade in dem betreffenden Lande gilt. Im Ver-
hältnis zur Extensivinterpretation dürfte die Ana-
logie als etwas über den Willen des Gesetzgebers
Hinausgehendes bezeichnet werden.
Literatur. In den meisten Lehrbüchern u.
Kommentaren des Zivil= u. Strafrechts wie auch
der Moraltheologie finden sich mehr oder weniger
ausführliche Abschnitte, welche über G. handeln.
Glänzend schrieb hierüber v. Savigny in seinem
„System d. heutigen röm. Rechts“ 1, §§ 32/51; auch
Brinz, Lehrb. der Pandekten 1 (21873), 8§ 28/30);
dann Lang, Beiträge zur Hermeneutik des röm.
Rechts (1857). Vgl. insbes. Windscheid-Kipp, Lehrb.
des Pandektenrechts (1906) §§ 20/26 u. v. Stau-
dingers Kommentar zum B. E.G. I (3—41908),
Einl. v; E. Ehrlich, über Lücken im Recht, in
Jurist. Blätter, 17. Jahrg. (1888), 448 ff; L.
Kuhlenbeck, Die Auslegung der Gesetze, in Jurist.
Wochenschrift 1895, 137 f; E. Danz, G. u. das
Leben, in Grünhuts Zeitschr. XXIV (1897) 611
bis 620; E. Hölder, Die Auslegung des deutschen
B. G. B. (1898); F. Stier-Somlo, Die Volksüber-
zeugung als Rechtsquelle (1900); E. Zitelmann,
Lücken im Recht (1903); J. Kohler, Auslegung der
Rechtsnormen, in Österr. Richter-Zeitung, hrsg.
von A. Nevebekel-Czernowitz, 2. Jahrg. (1905),
57/66; O. Kraus, Die leitenden Grundsätze der
Gesetzesinterpretation, in Grünhuts Zeitschrift
XXXII (1905) 613/636; M. Saxl, Materialien
u. Gesetz (1905); Stampe, Rechtsfindung durch
Konstruktion, in Deutsche Juristenzeitung 1905,
417/422; Jean Falk, Die Analogie im Recht
(1906). Von Bedeutung auch: Stammler, Die
Lehre vom richtigen Recht (1902).
lGerok, rev. Hink.)
Gesetzgebung. lBegriff, Autonomie,
Grundgesetze und laufende Gesetzgebung, Gesetz
und Verordnung, Zustandekommen der Gesetze,
Schranken.)
Gesetzgebung.
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Unter Gesetzgebung verstehen wir sowohl die
Außerung des auf die Feststellung der Rechtsord-
nung gerichteten staatlichen Willens als auch die
Ergebnisse dieser Staatstätigkeit. In letzterer Be-
ziehung spricht man mit Rücksicht auf Zeit und
Ort von älterer und neuerer, von deutscher und
fremdländischer, von Reichs= und Landesgesetz-
gebung, sowie mit Rücksicht auf ihren Inhalt von
Zivil-, Straf-, Prozeß= usw. Gesetzgebung, wie
sie meist in selbständig geordneten, vielfach kom-
mentierten Gesetzbüchern mehr oder weniger syste-
matisch dargestellt ist. Die Gesetzgebung stellt sich
uns als erste Funktion stacktlichen Lebens dar; sie
ist der vornehmste Ausfluß der Staatsgewalt,
welche mit ihren Geboten und Verboten bindende
Rechtsnormen ausstellt, in einheitlichem Zusammen-
hang folgerichtig und vernünftig durchführt, zweck-
entsprechend weiterbildet und damit jederzeit die
Interessen des gesellschaftlichen Lebens wahrzu-
nehmen vermag.
Der Staat darf niemals allein durch seine Legis-
lative die Rechtsordnung zu bilden beanspruchen:
die Kirche hat ihr eigenes Gesetzgebungsrecht, und
ebenso können engere Kreise im Staate selber kraft
der ihnen eingeräumten Autonomie eigene Nor-
men sich zu setzen und danach zu leben befugt sein,
wie z. B. früher vielfach die Städte und in der
Gegenwart noch der hohe Adel. Die den landes-
herrlichen Häusern und dem hohen Reichsadel von
Reichs Zeiten her zustehenden Selbstbestimmungs-
rechte in Bezug auf ihre Güter und Familienver-
hältnisse sowie ihre diesbezüglichen Hausgesetze sind
durch unsere Landesverfassungen ausdrücklich sicher-
gestellt. Unsern Regentenfamilien, denen das fürst-
liche Haus Hohenzollern, das vormalige hanno-
versche Königshaus, das vormalige kurhessische
und herzoglich-nassauische Fürstenhaus (Art. 57,
Abs. 2, Einf. Ges. zum B.G.B.) und das herzog-
lich-holsteinsche Fürstenhaus (Reichsgesetz vom
25. März 1904) in dieser Hinsicht gleichgestellt
sind, wird auch durch die neuere Reichsgesetzgebung
ihr Sonderrecht belassen, welches durch Publi-
kation im Lande rechtliche Geltung gewinnt, immer
aber mit der Verfassung in Einklang stehen oder
gebracht werden muß; im übrigen ist das Haupt
des betreffenden Regentenhauses durch die Rück-
sichten auf die wohlerworbenen Rechte der Agnaten
beschränkt (s. d. Art. Fürst).
Die Gesetzgebung ist eines der vielen Gebiete
staatlicher Willensäußerung; irrig wäre es, im
Hinblick auf unsere modernen konstitutionellen
Monarchien noch mit Montesquien in Anknüpfung
an die Aristotelische Dreiteilung von einer Son-
derung der Gewalten, von einer exklusiven, selb-
ständig funktionierenden Legislative, Justiz und
Exekutive zu sprechen; denn wir müssen die Staats-
gewalt, wenn auch ihr Inhaber in Bezug auf
Gesetzgebung und Budgetrecht an die Zustimmung
gewisser Vertretungskörper gebunden ist, als eine
einheitliche und in keiner Weise teilbare anerkennen.
Mit ihren Verfassungs urkunden haben die