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monarchischen Staaten Deutschlands die gesetz-
geberischen Willensakte erzeugen, erscheinen die
Krone und die Vertretungskörper, welch letztere
verschiedene Namen führen (gesetzgebende Ver-
sammlung scorps lgislatifl, Kammer, Landtag,
Landschaft, Landstände, Ständeversammlung) und
in den verschiedenen Ländern verschieden zusammen-
gesetzt snd. Die kleineren Staaten haben das Ein-
kammersystem, die größeren das Zweikammersystem.
Die Volksvertretung im weiteren Sinne hat bei
diesem ihrem Zusammenarbeiten mit der Regie-
rung in unverantwortlicher Stellung für das Wohl
der Gesamtheit zu wirken. Entweder legt die Re-
gierung einen Gesetzentwurf vor, der dann durch
Landtagsbeschluß angenommen, verworfen oder
umgeändert wird (Amendement), oder es macht
der Landtag von seinem Rechte der Initiative
Gebrauch und bringt selber Gesetzesvorschläge ein.
Ülber solche Vorlagen wird in mehreren „Lesungen"“
beraten (s. d. Art. Geschäftsordnung, parlamen-
tarische).
Nach schließlicher Einigung beider Teile erfolgt
die Erteilung des Gesetzesbefehls von seiten des
allein hierzu berechtigten Monarchen (Sanktion)
sowie gleichzeitig die an bestimmte Formen ge-
bundene feierliche Erklärung des Gesetzeswillens
(Ausfertigung); in Verbindung damit steht ge-
wöhnlich der Publikationsbefehl (meistens wird
nur zwischen Sanktion und Publikation unter-
schieden, wobei letztere der Ausfertigung begrifflich
gleichgestellt ist); erst durch seine Verkündigung
(Promulgation) erhält das Gesetz verbindliche
Kraft; die Publikation ist wiederum ein Recht
des Monarchen, der dieselbe auch hinausschieben
kann. Für den Eintritt der Rechtskraft eines Ge-
setzes können übrigens auch allgemeine oder be-
sondere Vorschriften bestehen. In den freien
Städten Bremen, Lübeck und Hamburg ist das
Gesetz ein Produkt der Beschlußfassung von Senat
und Bürgerschaft; beide Faktoren sind sich gleich-
gestellt, beide haben das Initiativrecht. Ein über-
einstimmender Beschluß derselben erhärtet sich ohne
weitere Sanktionierung zum Gesetz und muß vom
Senate unbedingt publiziert werden.
Im Deutschen Reiche haben die im Bundesrat
versammelten bevollmächtigten Regierungsvertreter
der Einzelstaaten in Verbindung mit dem Reichs-
tag das Gesetzgebungsrecht; die Mitglieder des
letzteren sind Vertreter des ganzen deutschen Volkes
und nicht bloß Mandatare ihrer Länder. Die
Sanktion der Reichsgesetze erfolgt durch den Bun-
desrat. Der Kaiser hat nur das Recht der Aus-
fertigung und Verkündigung der Reichsgesetze,
auch die Uberwachung der Ausführung derselben
(Art. 17 der Verfassung), welche im Namen des
Reichs unter Erwähnung der Zustimmung der
beiden Faktoren geschieht; er ist als solcher dazu
verpflichtet. Die Publikation erfolgt im Reichs-
gesetzblatt, und wenn nicht anders bestimmt wird,
hat ein Reichsgesetz mit dem 14. Tage nach dem
Ablauf des Tages, an dem das betreffende Stück
Gesetzgebung.
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des Reichsgesetzblattes ausgegeben wurde, verbind-
liche Kraft, in den Bezirken der Konsulargerichts-
barkeit in Europa, Agypten und an der asiatischen
Küste des Schwarzen und des Mittelländischen
Meeres mit dem Ablauf von zwei, sonst von vier
Monaten nach dem genannten Tage, soweit nicht
ein späterer Zeitpunkt festgesetzt ist oder reichs-
gesetzlich anders vorgeschrieben wird (§ 30 des
Reichsgesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit vom
7. April 1900). Dasselbe gilt für die deutschen
Schutzgebiete (§ 3 des Schutzgebietsgesetzes in der
Fassung der Bekanntmachung vom 10. Sept.
1900). Für das Reichsland Elsaß-Lothringen übt
die Landesgesetzgebung und das Budgetrecht der
Bundesrat mit dem Reichstag aus; die dies-
bezüglichen Beschlüsse müssen vom Kaiser publi-
ziert werden. Nach dem Reichsgesetz vom 2. Mai
1877 aber ist außerdem auch der Kaiser unter
Zustimmung des Bundesrats sowie des elsaß-
lothringischen Landesausschusses zur Landesgesetz-
gebung befugt, in welchem Falle ihm auch das
Sanktionsrecht zusteht. Der Kaiser hat auch, so-
lange der Reichstag nicht versammelt ist, unter
Zustimmung des Bundesrats ein provisorisches
Gesetzgebungsrecht. Die Publikation erfolgt im
Reichsgesetzblatt (wie oben) oder, wenn es sich bloß
umreichsländischen Stoff handelt, im Gesetzblatt
für Elsaß-Lothringen. Vgl. auch die Reichsgesetze
vom 4. Juli 1879 und 7. Juli 1887.
Was die der ordentlichen Gesetzgebung gesetzten
Schranken anbelangt, so ist schon oben er-
wähnt worden, daß dieselbe nicht mit der Ver-
fassung im Widerspruch stehen darf; ferner gilt,
entsprechend dem früheren Verhältnis von Land-
recht zu Stadtrecht, in Deutschland die grund-
gesetzliche Bestimmung, daß ein Gesetz des Reiches
ein in dessen Kompetenz übergreifendes Landes-
gesetz bricht. Die Gesetzgebungsgewalt kann wohl
auch einzelne von einem Gesetze dispensieren, sie
darf aber niemals wohlerworbene Individualrechte
bedingungslos bzw. ohne Entschädigung der Be-
treffenden schmälern oder aufheben; ein solches
Eingreifen in die iura quaesita ist nur dann be-
gründet, wenn es das Gesamtinteresse offenbar
fordert (Steuern und Gebühren, Expropriation,
Abolition z. B. der Sklaverei). Bezüglich der
rückwirkenden Kraft der Gesetze ist zu sagen, daß
sie nur sehr bedingt möglich ist (z. B. authentische
Interpretation, mildere Strafgesetze). Wie nun
ein einfaches Gesetz durch die Verfassung beschränkt
ist, so muß man auch an die gesamte Gesetzgebung
die Anforderung stellen, daß sie weder den posi-
tiven göttlichen Geboten noch dem natürlichen
Sittengesetz zuwiderläuft. Was von Natur un-
möglich ist, darf ebensowenig Gegenstand der Ge-
gebung sein wie das sittlich Verwerfliche. Ferner
wird sich die Staatsgewalt in Ausübung ihrer
vornehmsten Funktionen vor Übergriffen in das
Gebiet kirchlicher Jurisdiktion oder in Gewissens-
angelegenheiten hüten müssen, wie umgekehrt die
Kirche nicht in rein weltliche Dinge eingreifen soll.