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Strafverfolgung treten kann. Hartnäckige Ver-
weigerung des Gehorsams, gröbliche Mißachtung
der Herrschaft, Umhertreiben in Wirtshäusern
während der Nachtzeit, unerlaubte Beherbergung
fremder Personen, nächtliches ordnungswidriges
Verlassen der Wohnung berechtigt die Herrschaft
auch zum Antrag auf Bestrafung. Strafbar ist
auch das Weiterverdingen vor rechtzeitiger Auf-
kündigung und gleichzeitige Verdingung an mehrere
Herrschaften. In Bayern ist aus gesundheitspoli-
zeilichen Rücksichten auch das Verdingen unter Ver-
schweigung eines ansteckenden Übels, überhaupt
die Verheimlichung eines solchen mit Strafe be-
droht. Die landesrechtlich vorgeschriebene Füh-
rung von Dienstbotenbüchern wurde neuerdings
mit Unrecht mehrfach bemängelt; in die Bücher
sind die Führungszeugnisse seitens der Herrschaft
einzutragen. In Hessen führt die Ortspolizei-
behörde ein Gesinderegister, in welches die erteilten
Zeugnisse und die Bestrafungen einzutragen sind;
den Herrschaften ist die Einsicht gestattet. Für
langjährige treue Dienstleistungen werden z. B.
in Bayern aus Distrikts= und Gemeindemitteln,
auch von den landwirtschaftlichen Vereinen Prä-
mien gewährt, welche zum Teil auch eine Alters-
versorgung durch die Anwartschaft auf Aufnahme
in ein Spital enthalten; zudem gibt langjährige
Dienstzeit ein Recht auf erleichterten Erwerb des
Heimat= und Bürgerrechts. Erwähnt sei noch, daß
die Einrichtung von Gemeindesparkassen gerade
zur Förderung des Sparsinns der Dienenden in
hohem Maße beizutragen vermag.
2. Wirtschaftliche Verhältnisse.
Seit Jahren macht sich ein unverhältnismäßiger
Rückgang der Zahl der häuslichen und landwirt-
schaftlichen Dienstboten bemerkbar. Auch die Güte
der Arbeitsleistung ist im Sinken begriffen, da
bei der großen Nachfrage selbst der Ungeeignetste
rasch eine Stelle findet. Auf der andern Seite sind
mit der gesteigerten Lebenshaltung weiter Kreise
die Anforderungen, welche an die Dienstboten ge-
stellt werden, gewachsen. Die Dienstbotenarbeit
hat gegenüber der Fabrik= und gewerblichen Arbeit
erheblich an Wertschätzung eingebüßt, und die Ab-
wanderung in diese Berufe bringt für das Fa-
milienleben die größten Unzuträglichkeiten mit sich.
Nicht minder verhängnisvoll macht sich die Dienst-
botennot in der Landwirtschaft bemerkbar; die
Landarbeiterfrage erfährt hierdurch eine besondere
Verschärfung.
Der unbefriedigende Stand der Dienstboten-
frage beruht auf den verschiedensten Ursachen. So
bindet die gewerbliche Arbeit in geringerem Maße
die persönliche Freiheit, während der in die Fa-
milie aufgenommene Dienstbote zu steter Dienst-
bereitschaft verpflichtet ist. Der höhere Barverdienst
gewährt größere Unabhängigkeit. Für die länd-
lichen Verhältnisse sind die allgemeinen Gründe
der Landflucht maßgebend. Die zahlreichen deut-
schen Gesindeordnungen vertreten, von wenigen
Ausnahmen abgesehen, zu stark und zum Teil ein-
Gesinde.
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seitig den Standpunkt der Dienstgeber. Die Er-
füllung der mit dem Dienstbotenverhältnis ver-
bundenen Pflichten steht vielfach noch unter
polizeilichem Strafzwang. Wird auch bei der
heutigen Gestaltung des Arbeitsmarktes von der
Anwendung dieser Vorschriften in der Regel Ab-
stand genommen, so sind doch selbst wenige Fälle
geeignet, besonders die intellektuell höher stehenden
Personen von dem Eintritt in einen solchen Beruf
abzuschrecken. Dazu kommt noch, daß die Sozial-
politik gerade die Dienstboten etwas stiefmütterlich
behandelt hat.
Die Dienstbotennot hat in der Wissenschaft,
aber auch in den gesetzgebenden Körperschaften viel-
fache Erörterungen hervorgerufen. Das Bestreben,
die Frage in einem für die gesamte Volkswirt-
schaft günstigen Sinne zu lösen, hat zu einer Reihe
von Vorschlägen geführt, deren wichtigste etwa
folgende sind:
Eine Reichsgesindeordnung hat den Arbeits-
vertrag in einer dem neuzeitlichen Empfinden des
Arbeiters entsprechenden Form zu regeln. Ein-
gehende Ausführungsbestimmungen zu § 618
B. G.B. und eine strenge Handhabung derselben
sollen eine Hebung der in gesundheitlicher und
sittlicher Beziehung besonders unzulänglichen
Wohnungsverhältnisse der Dienstboten anstreben.
Eine durchgreifende Besserung in dieser Beziehung
ist allerdings erst mit der befriedigenden Lösung
der Wohnungsnot überhaupt zu erwarten. Der
Zwang unserer Sozialversicherung ist auf die
Dienstboten auszudehnen. Eine Mindestruhezeit
ist gesetzlich festzulegen. Streitigkeiten aus dem
Dienstverhältnis sollen nach der einen Meinung vor
den Gewerbegerichten ausgetragen werden; andere
fordern Haushaltgerichte oder auch Hausdienst-
ausschüsse. Mit besonderer Energie wird nach dem
Vorgange Frankreichs die Aufhebung der gewerb-
lichen Stellenvermittlung verlangt, welche sich als
ein Krebsschaden erwiesen hat. Obligatorische Fort-
bildungsschulen sollen den Dienstboten die nötige
fachliche Ausbildung gewähren.
Diese Forderungen sind in der Hauptsache
neuerdings auch von Dienstbotenorgani-
sationen aufgegriffen worden. Die Versuche,
die Dienstboten zur Selbsthilfe zu vereinigen, lenk-
ten die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf sich,
als die freien Gewerkschaften die Bewegung in ihre
Hand zu bekommen suchten. Ihre Forderungen
gipfeln, wie bereits eingangs erwähnt, in der
Stellung der Dienstboten unter die Gewerbeord-
nung. Hier setzt die Gegenorganisation auff christ-
licher Grundlage ein, indem sie die besondere
Eigenart des Dienstbotenverhältnisses betont. Nach
anfänglichem Schwanken entschied man sich auf
katholischer wie protestantischer Seite für konfes-
sionelle Vereine, welche die Mitarbeit weiterer
Kreise nicht ausschließen. Seit 1907 sind die katho-
lischen Dienstmädchenvereine Süddeutschlands zu
einem Verbande zusammengeschlossen. Einen be-
deutsamen und groß angelegten Versuch zur Or-
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