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und Cagniard de Latour entdeckten 1836/37 als
Ursache der Fäulnis und Gärung lebende Orga-
nismen, eine Entdeckung, die seit 1857 von Pasteur
am erfolgreichsten gefördert worden ist, nachdem
seit 1845 Botaniker und Arzte bei einzelnen
Pflanzen= und Tierkrankheiten (Kartoffelfäule,
Krankheit der Seidenraupen, Kopfgrind usw.) be-
stimmte Pilzarten als Ursache derselben aufgefun-
den hatten. Wenn auch dieser „vitalistischen“
Theorie der Gärung und Fäulnis gegenüber noch
immer die reinchemische Fermenttheorie sich einiger-
maßen behaupten konnte und der exakte Nachweis
geliefert ist, daß ein Teil der Fermente in der
Tat nicht aus organisierten Stoffen besteht, daß
anderseits auch rein mechanische Irritamente ohne
Dazwischenkunft von Spaltpilzen pathologische
Veränderungen der Gewebe, z. B. Eiterbildung,
zu erzeugen vermögen, so ist doch auch über allen
Zweifel sichergestellt, daß die Verwesungs-(Ver-
moderungs-Vorgänge durch Schimmelpilze, die
Gärungsprozesse durch Sproß-(Hefe-Pilze, die
fauligen Zersetzungen (stinkende Fäule) durch
Spaltpilze eingeleitet bzw. verursacht werden
(Schwann, Hallier, de Bary, Pasteur, Nägeli,
Cohn, Klebs, Billroth, Bollinger, N. Koch u. a.).
Der Wipperfürther Arzt Dr Pollender war
der erste, welcher bei einer innern, infektiösen
Krankheit, dem Milzbrand der Tiere, im zersetzten
Blute stäbchenförmige Körper durch das Mikro-
skop nachwies und als Ursache der Krankheit er-
klärte (1855). Es bedurfte zahlloser mühevoller
Arbeiten rastloser Forscher, um langsam, Schritt
für Schritt zu der Erkenntnis durchzudringen, daß
zahlreiche, wenn nicht die meisten Krankheiten in-
nerer und äußerer Art in ähnlicher Weise wie der
Milzbrand durch Aufnahme und Vermehrung
spezifischer Mikroorganismen im Körper entstehen.
Die Mehrzahl der krankmachenden (pathogenen)
Mikroben wurden als Zugehörige des Pflanzen-
reiches und nur wenige als solche des Tierreiches
erkannt. Die ersteren rechnet man zu den Pilzen.
Vorzugsweise sind es Spaltpilze (Bakterien,
Schizomyzeten), von denen man Bazillen, Kokken
und Spirillen unterscheidet und bis heute an die
hundert pathogener gegenüber mehr als der Hälfte
nicht pathogener Spezies kennen gelernt hat; ferner
gibt es noch zahlreiche Arten krankmachender
Schimmelpilze (Fungi), welche man in Mukor-
arten, Aspergillineen und Penicilliaceen trennt,
und einen oder zwei Strahlenpilze (Actinomyces,
Micromyces Hoffmanni), welche indessen mög-
licherweise zu den Algen zu rechnen sind. Die
letztgenannten Pilze erzeugen mit Vorliebe äußere
Affektionen, Haut= und Schleimhautkrankheiten.
Pathogene Mikroben aus dem Tierreiche (Proto-
zoen) sind erst seit wenigen Jahren erkannt wor-
den und legen der Forschung noch viele Schwierig-
keiten in den Weg. Die wichtigsten derselben sind
die Plasmodien (Hämatozoon des Wechselfiebers,
1880 von Laveran entdeckt), Gregarinen und
Kokzidien. — Die große Zahl dieser spezifischen
Gesundheitspflege ufw.
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Krankheitserreger und die Schwierigkeiten, welche
sich dem Studium ihrer Lebensbedingungen infolge
ihrer außerordentlichen Kleinheit entgegenstellen,
machen es erklärlich, daß sie der Brenn= und
Mittelpunkt hygienischer Forschung geworden sind,
und daß es fast schien, als ob die Bakteriologie
nicht ein Zweig der wissenschaftlichen Hygiene,
sondern diese selbst sei. Daß sie letzterer einen
wesentlichen Aufschwung gegeben hat, kann keinem
Zweifel unterliegen.
Die Bakteriologie ist im wesentlichen von zwei
Forschern gewaltig gefördert worden. Von diesen
erkannte der erste, Pasteur, die Sproßpilze als
Ursache der Gärung und die Spaltpilze als Ur-
sache der Fäulnis, entdeckte die an Virulenz abge-
schwächten „refraktionären“ Kulturen, welche diese
Eigenschaft infolge der Passage durch andere Tier-
spezies oder durch fortgesetzte Kulturen derselben
Pilzart auf künstlichem Nährboden erlangten, und
lehrte die Schutzwirkung des Impfens verstehen.
Der andere, R. Koch, machte eine exakte Methode
ausfindig, um Pilze derselben Art, d. h. ohne
Beimischung anderer Keime, anzuzüchten. Ganz
besonders die Darstellung der „Reinkulturen“ auf
einem halbfesten Nährboden (sterilisierter Nähr-
gelatine) hat den Anfang einer Biologie der Bak-
terien begründet und Koch selbst zur Entdeckung
des Tuberkelbazillus (1881) und des Vibrio der
Cholera („Kommabazillus“ 1884) geführt. Mit
Hilfe dieser Methode gelang der exakte Nachweis
zahlreicher neuer Pilzspezies, welche Krankheits-
erreger sind. Es gibt Pilze, die nur bei einer
ganz bestimmten Temperatur anfangen zu wachsen,
und innerhalb ganz bestimmter, für die verschie-
denen Arten verschiedener Temperaturgrenzen voll-
zieht sich die Vermehrung der meisten Arten. So
liegt das Optimum der Wachstumstemperatur
für den Tuberkelbazillus bei 38° C (Körper-
temperatur). Höhere oder niedrigere Temperatur
verlangsamt die Vermehrungsfähigkeit, bis die-
selbe bei ganz niedrigen oder hohen Temperaturen
völlig vernichtet wird. Der Cholera-Vibrio ver-
liert durch Austrocknen seine Vermehrungsfähig-
keit dauernd, er stirbt ab. — Die durch das
Mikroskop bestimmbaren (morphologischen) Unter-
schiede der verschiedenen in normaler oder patho-
logischer Weise im Körper vorkommenden Spalt-
pilze erwiesen sich bisher nur für wenige Arten
charakteristisch. Erst durch Anwendung bestimmter
Färbungsmethoden gelingt es, für die mikrosko-
pische Untersuchung einzelne Bazillen deutlich er-
kennbar und von andern unterscheidbar zu machen.
Auch die Einführung dieser Methode ist Kochs
Verdienst und ermöglichte den Nachweis z. B. der
Tuberkelbazillen auch ohne Anlegen von Rein-
kulturen oder Impfungen, durch das Mikroskop
allein.
Um den exakten Nachweis zu führen, daß eine
in Reinkultur gezüchtete Spezies der Erreger einer
bestimmten Krankheit ist, wird das Tierexperiment
zu Hilfe genommen. Durch Verimpfen, Ver-