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füttern oder auf anderem Wege wird von der
Reinkultur Tieren etwas einverleibt, und diese
werden beobachtet bzw. zu verschiedenen Zeiten
getötet und untersucht. Erkrankt das Tier unter
ähnlichen Erscheinungen wie der Mensch bzw.
konstatiert man Vermehrung des Pilzes und be-
stimmte Organveränderungen durch seine Ein-
wirkung, so ist der exakte Nachweis der Identität
der betreffenden Pilzart mit dem die Krankheit
beim Menschen erzeugenden Mikroorganismus er-
bracht. Auf diese Weise ist die prinzipielle Über-
einstimmung z. B. der Perlsucht des Rindviehs
mit der Tuberkulose des Menschen exakt nachge-
wiesen. Leider läßt bei manchen Pilzarten das
Tierexperiment im Stich, weil dieselben (Typhus-
bazillen u. a.) im Tiere nicht gedeihen, so daß
für nicht wenige in charakteristischen Kulturen ge-
züchtete Spezies der unwiderlegliche Beweis der
pathogenen Spezifität noch aussteht.
Um weiter die Ursache einer Krankheit und die
Mittel zu ihrer Bekämpfung zu ergründen, forscht
der Bakteriologe nach, ob der Pilz durch seine
Vermehrung an und für sich, d. h. mechanisch
(durch Verstopfung der Lymphbahnen und Blut-
kapillaren, Druck auf Zellenkomplexe usw.) oder
physiologisch (durch Verbrauch des Nährmaterials
auf Kosten der Zellen) oder chemisch-physiologisch
(durch Abscheiden gewisser entzündungerregender
oder die Lebenstätigkeit der Zellen lähmender
Stoffe) krankheiterzeugend wirkt. Daß die Lebens-
tätigkeit der Spaltpilze gewisse Alkaloide oder
Eiweißkörper erzeugt, welche toxisch (unter Um-
ständen auch schützend, d. h. immunisierend) wirken,
kann längst keinem Zweifel mehr unterliegen. Das
Tuberkulin Kochs ist ein solcher Körper, der chemo-
taktisch, d. h. ohne organisiertes Ferment zu sein,
nach Art eines Fermentes bei gewissen Schwäche-
zuständen der Gewebe, wie sie vorzugsweise bei
Tuberkulose (innerer und äußerer) vorkommen,
entzündungerregend wirkt. Es ist leicht möglich,
daß einzelne infektiöse Krankheiten durch direkte
üÜbertragung derartiger nicht organisierter Stoffe,
die man Toxine oder Toxalbumine nennt, ohne
Dazwischenkunft von Pilzen entstehen.
So sicher es ist, daß gewisse Mikroben (mittel-
bar oder unmittelbar) Krankheiten erregen, so
wenig kennt man noch die näheren Umstände, unter
denen dieses geschieht. Höchst wichtig ist es, zu
erforschen, wie sich die Gewebe, die Zellen und
die Säfte dem Eindringling gegenüber verhalten,
durch welche Vorgänge im Körper die Pilze im
Genesungsfalle vernichtet oder zurückgedrängt wer-
Gesundheitspflege usw.
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für die praktische Gesundheitspflege nutzbringend
sein wird. Die empirische Beobachtung hatte schon
längst gelehrt, daß gewisse Infektionskrankheiten,
wie Pocken, Masern und andere, den Körper gegen
neue Ansteckungen derselben Art unempfindlich
machen. Man impfte deshalb im 18. Jahrh. die
Menschenblattern ein (Variolation), weil die so
künstlich erzeugten Blattern meist milder verliefen
als die durch Ansteckung entstandenen. Diese
Impfungen ersetzte Jenner im Jahre 1796 durch
die Vakzination, da er beobachtet hatte, daß der
am Euter der Kühe zuweilen vorkommende Blat-
ternausschlag sich auf die Melkenden übertrug und
diese vor den Menschenblattern schützte. Obgleich
heutzutage die Schutzimpfung mit Vakzine fast
überall ausgeübt wird und in einigen Ländern
gesetzlich vorgeschrieben ist, hat man bisher weder
einen spezifischen Bazillus gefunden noch ein spezi-
sisches Gift aus der Kuhpocken= bzw. Menschen-
pockenlymphe isolieren können. Auch das von
Pasteur aus der Hirnsubstanz tollwütiger Hunde
zubereitete Antirabiesgift sowie die von demselben
Forscher und andern bei Immunisierungsversuchen
erforschten Gifte des Milzbrandes, der Hühner-
cholera, des Schweinerotlaufes, der Mäusesepti-
chämie, des Nauschbrandes, Wundstarrkrampfes,
der Diphtherie und andere konnten bisher in rei-
nem Zustande nicht dargestellt werden. Es gelang
aber durch Reinkultur einzelner pathogener Pilz-
arten und durch Züchtung immer neuer Genera-
tionen derselben oder auch durch fortgesetzte Über-
tragung des infizierten Blutserums von einem
Tier auf das andere schließlich eine derartige Ab-
schwächung der infektiven Mikroben oder ihrer
Gifte zu erzielen, daß dieselben nur noch leichte
Krankheitserscheinungen zuwege brachten und
dennoch den Geimpften gegen eine neue starke
Infektion widerstandsfähig machten (immunisier-
ten). Man erklärt dies damit, daß die einver-
leibten Pilze oder auch nur deren Gifte gewisse
Zellen zum Ausscheiden von Gegengiften anregen,
so daß diese Antitoxine im Blute allmählich sich
anhäufen und die Toxine ganz oder teilweise zer-
stören. Auch hier ist es wieder die vergleichende
Statistik, welche den Wert der Immunisierung
erhärtet. So wurden 1893 im Institut Pasteur
1648 Gebissene der Antirabiesimpfung unter-
zogen; nur 6 derselben erlagen dennoch schließlich
der Tollwut. Im ganzen wurden seit Eröffnung
des Instituts bis 1900 ungefähr 25 000 Per-
sonen geimpft. Von den Geimpften starben 0,6 %
gegen 14—15 % zur Zeit, als noch nicht geimpft
den, durch welche sie bei ungünstigem Ausgange wurde. Auch die Statistiken der Vakzination und
obsiegen; mit andern Worten: was bedingt die der Heilserumanwendung bei Diphtheritis liefern
Empfänglichkeit, was die Widerstandsfähigkeit des den unwiderleglichen Beweis einer erheblichen ab-
Körpers oder einzelner seiner Organe gegen In= soluten und relativen Herabminderung der Todes-
fektion? Seit langer Zeit schon ist das Studium fälle an Pocken und Diphtherie. Von 1890 bis
der „Immunität“ zum Mittelpunkte bakteriolo= 1894 betrug die mittlere Sterbeziffer an Diph-
gischer Arbeiten geworden. Das einstweilige Er= therie in Paris jährlich 1432; von 1895 bis 1899
gebnis derselben läßt erwarten, daß diese für die (Heilserumperiode) nur mehr 354. Das Interesse
Atiologie der Krankheiten wichtigste Frage auch des Staates an der individuellen Immunisierung