Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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setzung und auf weiten Reisen sehr gesundheits- 
widrig geltend machen kann, dann Hitze, Kälte 
oder Staubentwicklung erfordern Bedachtnahme 
auf gute Lüftung, Heizung, Beleuchtung und 
Ausstattung der Wagen. Jedem Zuge und jeder 
Station ist ein Verband-(„Rettungs= Masten bei- 
zugeben. Die Rangierer, Lokomotivführer, Tele- 
graphisten und andere in besonders verantwort- 
licher Stellung befindliche Angestellte müssen 
durchaus körperlich gesund sein und dürfen nicht 
übermüdet bzw. dienstlich überangestrengt werden. 
Besonders sind sie periodisch auf Kurzsichtigkeit, 
Farbenblindheit, Gehöranomalien, Alkoholismus, 
Neigung zu Gehirnkongestionen und andere Ge- 
hirn= und Nervenkrankheiten hin zu untersuchen. 
Infektiös Kranke sind in besondern Wagen zu 
transportieren und alle Wagen öfters gründlicher 
Reinigung und Desinfektion zu unterwerfen. Auch 
der Droschke nverkehr sollte in dieser Hinsicht 
überwacht werden, und es sollten die Städte bzw. 
große Krankenanstalten gehalten sein, für den 
Transport ansteckender Kranken besondere Kranken- 
wagen einzustellen. 
Noch wichtiger ist die sanitäre Einrichtung der 
Schiffe, besonders der dem überseeischen Per- 
sonenverkehre dienenden. Während der Aufenthalt 
auf Deck selbst bei Kälte und Wind gesund ist, 
erzeugt Mangel an frischer Luft in den Kajüten 
und unzureichende, monotone Beköstigung allerlei 
Krankheiten, unter denen der Skorbut sich beson- 
ders unangenehm bemerkbar macht. Das Wasser 
des Kielraumes (Bilge= oder Schlagwasser) fault 
leicht, weshalb manche Schiffe geradezu Quellen 
für Gelb= und Faulfieber sind. Die Desinfektion 
dieses Behälters mit Chlorzink oder Sublimat 
sollte strenge Vorschrift sein. Auch kann er durch 
Ausgießen mit Zement als toter Raum beseitigt 
werden. Da der Luftkubus in Wohnräumen für 
den einzelnen mindestens 10 chm betragen soll, 
auf den Schiffen, namentlich im Zwischendeck 
aber höchstens 2 chm beträgt und noch dazu in 
demselben Raume geschlafen und gegessen wird, 
so ist die künstliche Lufterneuerung dieser Räume 
unabweisliches Bedürfnis. Gutes Trinkwasser, 
Süßwasser zum Reinigen der Schiffsräume (See- 
wasser ist wegen seines hohen organischen Gehaltes 
und weil sein Salzgehalt die Feuchtigkeit unter- 
hält, als Reinigungsmittel auszuschließen) und 
ärztlicher Schiffsdienst dürfen nicht fehlen. In 
den Hafenorten, über welche die Auswanderungs- 
züge gehen, sind dann noch ganz besondere sani- 
täre Einrichtungen in den Wartehallen, Schlaf- 
sälen usw. für die Auswanderer zu treffen. 
Die gesundheitlichen Gefahren heißer Länder 
hindern außerordentlich die Ansiedlung und Ent- 
wicklung der Kolonien, weshalb gerade der jüngste 
Zweig am Baume der Gesundheitslehre und 
epflege, die Tropenhygiene, besonders ge- 
hegt zu werden verdient. Das Berliner tropen- 
hygienische Institut und das 1900 gegründete 
Institut für Schiffs= und Tropenhygiene in Ham- 
  
Gesundheitspflege ufw. 
  
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burg sind vielversprechende Anfänge auf diesem 
Gebiete. 
Die öffentliche Gesundheitspflege ist eine Inter- 
essenangelegenheit der ganzen menschlichen Gesell- 
schaft, und nur in dem Maße, wie alle Elemente 
der Gesellschaft sich ihrer annehmen, gewinnt sie 
an Bedeutung für diese. Darum kann sie auch 
auf die freiwillige Mitwirkung des Individuums 
und der Familie nicht verzichten, um so weniger, 
als eine öffentliche ohne private Gesundheitspflege 
keinen Sinn hätte. So sorgt jeder einzelne 
auch für die öffentliche Gesundheit, indem er 
selbst den Forderungen der Gesundheitslehre ge- 
mäß lebt und schlechte Gesundheitsverhältnisse in 
seiner Umgebung verbessert oder gute erhält; um 
so mehr sorgt er dafür, wenn ihm zugleich die 
Leitung eines Hausstandes, einer Familie, eines 
gewerblichen oder industriellen Unternehmens usw. 
obliegt. Dasselbe tun Gesellschaften, Korporationen 
oder Vereine, welche entweder das Interesse weiter 
Kreise für die einschlägigen Fragen anregen, ihr 
Verständnis fördern, wissenschaftliche Ziele ver- 
folgen oder auf dem Gebiete der Erziehung, der 
Krankenpflege oder Wohltätigkeit zugleich die eine 
oder andere Aufgabe der öffentlichen Gesundheits- 
pflege praktisch ausführen. Hier sind außer den 
betreffenden Vereinen, die auch durch populäre 
Vorträge, Flugschriften und die Tagespresse viel 
Nutzen stiften können, besonders die Korporationen 
kirchlicher Natur zu erwähnen, welche die Pflege 
kleiner Kinder (in Findelhäusern, Krippen, Kinder- 
horten, Bewahrschulen), der Irren, Taubstummen, 
Blödsinnigen, Epileptischen, Altersschwachen und 
Kranken aller Art zu ihrem besondern Berufe sich 
erwählt haben: die männlichen und weiblichen 
Pflegeorden der verschiedenen Konfessionen, dann 
Vereine zur Pflege der Wohltätigkeit, Bruder- 
schaften zu gegenseitiger Hilfe bei Krankheits= und 
Sterbefällen, Vereine und Gesellschaften zur Er- 
richtung von Kinder-, Wöchnerinnen-, Arbeiter- 
asylen, zur Herstellung von Arbeiterwohnungen, 
Rekonvaleszentenhäusern, Seehospizen, Arbeiter- 
kolonien, Ferienkolonien, Volks= und Arbeiter- 
küchen, Milchstationen, Asylen für Obdachlose, 
Vereine gegen den Alkoholmißbrauch, zur Unter- 
stützung entlassener Sträflinge, zur Erziehung von 
Idioten, Blinden, Taubstummen usw. Ohne die 
freiwillige, charitative Mithilfe privater Art könn- 
ten weder Staat noch Gemeinden den unermeß- 
lichen Ansprüchen der Armen= und Krankenpflege 
genügen. 
Zur Erweckung des Verständnisses für die 
Wichtigkeit der öffentlichen Gesundheitspflege 
können die Lehrerseminarien und die Volksschulen 
nicht unerheblich beitragen. Nur wenn alle Kreise 
der Gesellschaft die öffentlichen gesundheit- 
lichen Gefahren und die Mittel zu ihrer Be- 
kämpfung begreifen, lassen sich die vielfachen 
Schwierigkeiten überwinden, welche sich der Durch- 
führung sanitärer Verbesserungen umfangreicher 
Art entgegenstellen.
	        
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