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setzung und auf weiten Reisen sehr gesundheits-
widrig geltend machen kann, dann Hitze, Kälte
oder Staubentwicklung erfordern Bedachtnahme
auf gute Lüftung, Heizung, Beleuchtung und
Ausstattung der Wagen. Jedem Zuge und jeder
Station ist ein Verband-(„Rettungs= Masten bei-
zugeben. Die Rangierer, Lokomotivführer, Tele-
graphisten und andere in besonders verantwort-
licher Stellung befindliche Angestellte müssen
durchaus körperlich gesund sein und dürfen nicht
übermüdet bzw. dienstlich überangestrengt werden.
Besonders sind sie periodisch auf Kurzsichtigkeit,
Farbenblindheit, Gehöranomalien, Alkoholismus,
Neigung zu Gehirnkongestionen und andere Ge-
hirn= und Nervenkrankheiten hin zu untersuchen.
Infektiös Kranke sind in besondern Wagen zu
transportieren und alle Wagen öfters gründlicher
Reinigung und Desinfektion zu unterwerfen. Auch
der Droschke nverkehr sollte in dieser Hinsicht
überwacht werden, und es sollten die Städte bzw.
große Krankenanstalten gehalten sein, für den
Transport ansteckender Kranken besondere Kranken-
wagen einzustellen.
Noch wichtiger ist die sanitäre Einrichtung der
Schiffe, besonders der dem überseeischen Per-
sonenverkehre dienenden. Während der Aufenthalt
auf Deck selbst bei Kälte und Wind gesund ist,
erzeugt Mangel an frischer Luft in den Kajüten
und unzureichende, monotone Beköstigung allerlei
Krankheiten, unter denen der Skorbut sich beson-
ders unangenehm bemerkbar macht. Das Wasser
des Kielraumes (Bilge= oder Schlagwasser) fault
leicht, weshalb manche Schiffe geradezu Quellen
für Gelb= und Faulfieber sind. Die Desinfektion
dieses Behälters mit Chlorzink oder Sublimat
sollte strenge Vorschrift sein. Auch kann er durch
Ausgießen mit Zement als toter Raum beseitigt
werden. Da der Luftkubus in Wohnräumen für
den einzelnen mindestens 10 chm betragen soll,
auf den Schiffen, namentlich im Zwischendeck
aber höchstens 2 chm beträgt und noch dazu in
demselben Raume geschlafen und gegessen wird,
so ist die künstliche Lufterneuerung dieser Räume
unabweisliches Bedürfnis. Gutes Trinkwasser,
Süßwasser zum Reinigen der Schiffsräume (See-
wasser ist wegen seines hohen organischen Gehaltes
und weil sein Salzgehalt die Feuchtigkeit unter-
hält, als Reinigungsmittel auszuschließen) und
ärztlicher Schiffsdienst dürfen nicht fehlen. In
den Hafenorten, über welche die Auswanderungs-
züge gehen, sind dann noch ganz besondere sani-
täre Einrichtungen in den Wartehallen, Schlaf-
sälen usw. für die Auswanderer zu treffen.
Die gesundheitlichen Gefahren heißer Länder
hindern außerordentlich die Ansiedlung und Ent-
wicklung der Kolonien, weshalb gerade der jüngste
Zweig am Baume der Gesundheitslehre und
epflege, die Tropenhygiene, besonders ge-
hegt zu werden verdient. Das Berliner tropen-
hygienische Institut und das 1900 gegründete
Institut für Schiffs= und Tropenhygiene in Ham-
Gesundheitspflege ufw.
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burg sind vielversprechende Anfänge auf diesem
Gebiete.
Die öffentliche Gesundheitspflege ist eine Inter-
essenangelegenheit der ganzen menschlichen Gesell-
schaft, und nur in dem Maße, wie alle Elemente
der Gesellschaft sich ihrer annehmen, gewinnt sie
an Bedeutung für diese. Darum kann sie auch
auf die freiwillige Mitwirkung des Individuums
und der Familie nicht verzichten, um so weniger,
als eine öffentliche ohne private Gesundheitspflege
keinen Sinn hätte. So sorgt jeder einzelne
auch für die öffentliche Gesundheit, indem er
selbst den Forderungen der Gesundheitslehre ge-
mäß lebt und schlechte Gesundheitsverhältnisse in
seiner Umgebung verbessert oder gute erhält; um
so mehr sorgt er dafür, wenn ihm zugleich die
Leitung eines Hausstandes, einer Familie, eines
gewerblichen oder industriellen Unternehmens usw.
obliegt. Dasselbe tun Gesellschaften, Korporationen
oder Vereine, welche entweder das Interesse weiter
Kreise für die einschlägigen Fragen anregen, ihr
Verständnis fördern, wissenschaftliche Ziele ver-
folgen oder auf dem Gebiete der Erziehung, der
Krankenpflege oder Wohltätigkeit zugleich die eine
oder andere Aufgabe der öffentlichen Gesundheits-
pflege praktisch ausführen. Hier sind außer den
betreffenden Vereinen, die auch durch populäre
Vorträge, Flugschriften und die Tagespresse viel
Nutzen stiften können, besonders die Korporationen
kirchlicher Natur zu erwähnen, welche die Pflege
kleiner Kinder (in Findelhäusern, Krippen, Kinder-
horten, Bewahrschulen), der Irren, Taubstummen,
Blödsinnigen, Epileptischen, Altersschwachen und
Kranken aller Art zu ihrem besondern Berufe sich
erwählt haben: die männlichen und weiblichen
Pflegeorden der verschiedenen Konfessionen, dann
Vereine zur Pflege der Wohltätigkeit, Bruder-
schaften zu gegenseitiger Hilfe bei Krankheits= und
Sterbefällen, Vereine und Gesellschaften zur Er-
richtung von Kinder-, Wöchnerinnen-, Arbeiter-
asylen, zur Herstellung von Arbeiterwohnungen,
Rekonvaleszentenhäusern, Seehospizen, Arbeiter-
kolonien, Ferienkolonien, Volks= und Arbeiter-
küchen, Milchstationen, Asylen für Obdachlose,
Vereine gegen den Alkoholmißbrauch, zur Unter-
stützung entlassener Sträflinge, zur Erziehung von
Idioten, Blinden, Taubstummen usw. Ohne die
freiwillige, charitative Mithilfe privater Art könn-
ten weder Staat noch Gemeinden den unermeß-
lichen Ansprüchen der Armen= und Krankenpflege
genügen.
Zur Erweckung des Verständnisses für die
Wichtigkeit der öffentlichen Gesundheitspflege
können die Lehrerseminarien und die Volksschulen
nicht unerheblich beitragen. Nur wenn alle Kreise
der Gesellschaft die öffentlichen gesundheit-
lichen Gefahren und die Mittel zu ihrer Be-
kämpfung begreifen, lassen sich die vielfachen
Schwierigkeiten überwinden, welche sich der Durch-
führung sanitärer Verbesserungen umfangreicher
Art entgegenstellen.