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kommensten Vorkehrungen zum Schutze der Ge-
sundheit ihrer Insassen zu treffen, wozu er um so
mehr verpflichtet ist, als er in diesen Anstalten
(staatlichen Krankenanstalten, Irrenhäusern, Ge-
fängnissen, Seminarien, Kadettenanstalten, Ka-
sernen u. c. m.) bis zu einem gewissen Grade
die Rechte und Pflichten eines Familienhauptes
auszuüben hat. Bildet er sie zu hygienischen
Musteranstalten aus, so werden sie die Gemeinden
zur Nachahmung anregen. — Der Staat hat dann
weiter für den hygienischen Unterricht an den
Universitäten, polytechnischen Schulen usw. durch
Errichtung von Lehrstühlen, hygienischen Labora-
torien, Instituten und Beobachtungsstationen zu
sorgen; gerade dadurch genügt er noch einer andern
Pflicht: er fördert die Entwicklung der Gesund-
heitswissenschaften, welche die Grundlage
der Hygiene bilden und noch außerordentlicher
Pflege bedürfen; außerdem wird er erst dadurch
in die Lage versetzt, die Hygiene zu einem obliga-
torischen Unterrichtssache und zu einem Gegen-
stande des Staatsexamens für Baumeister, Arzte,
Ingenieure und Verwaltungsbeamte machen zu
können. In dieser Hinsicht ist Deutschland mit
gutem Beispiele vorangegangen. Heute besitzen
sämtliche deutsche Universitäten Professuren für
Hygiene. — Dann kann der Staat der öffent-
lichen Gesundheitspflege die größten Dienste leisten
durch Veranstaltung von Erhebungen, Sammlung
und Sichtung von statistischem Material, Be-
arbeitung und Benutzung desselben zu legislativen
Akten und ganz besonders durch planmäßige Ent-
wicklung einer Gesundheitsgesetzgebung und einer
Sanitätsorganisation, welche entweder an die histo-
risch überlieferte Medizinalgesetzgebung und zein-
richtung des betreffenden Landes anknüpft oder aber
an Stelle derselben ganzneue Organisationen schafft.
Die Abwehr und wirksame Bekämpfung der
Seuchen und überhaupt aller Krankheiten ist ohne
die staatliche Organisation nicht denkbar oder
durchführbar. In dieser Beziehung gibt die öffent-
liche Gesundheitspflege dem Staate den Beruf der
Heranbildung einer genügenden Anzahl tüchtiger
Arzte, Apotheker, Hebammen, Heilgehilfen, Kran-
kenpflegepersonen, Tierärzte und beamteter Medi-
zinalpersonen. Der Staat hat für die fachgemäße
Ausbildung zu sorgen und sollte ganz allgemein,
auch gegenüber den Pflegepersonen, welche durch
ihn zur Ausübung ihres Berufes legitimiert wer-
den, auf dem Nachweis hygienischer Ausbildung
bestehen. Anderseits sollte er alle Kräfte, welche
sich dem Krankendienste zur Verfügung stellen,
schon im Interesse der öffentlichen Gesundheits-
pflege fördern, sammeln und schützen und so na-
mentlich den geistlichen Pflegeorden volle Freiheit
zur Ausübung ihres segensvollen Berufes ge-
währen. Ihrerseits werden die geistlichen Pflege-
genossenschaften darauf Bedacht nehmen müssen,
ihre Mitglieder in der Gesundheitslehre und in
allem, was heutzutage bei der Krankenpflege er-
forderlich ist, methodisch ausbilden zu lassen.
Gesundheitspflege usw.
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II. Gesundheitspolizei. Wenn die öffent-
liche Gesundheitspflege eine Angelegenheit der
ganzen Gesellschaft ist, so ist die zu ihrer allge-
meinen Durchführung unumgänglich notwendige
Gesundheitspolizei Sache des Staates und seiner
Organe. Auf Grund von Gesetzen und gesetzlichen
Vorschriften der Staatsleitung und der Verwal-
tungsbehörden werden gewisse Maßregeln zum
Schutze der Gesundheit und zur Abwehr von
Krankheiten in Vollzug gesetzt, und wenn nötig,
zwangsweise durchgeführt unter Anwendung von
Strafandrohungen und Strafvollstreckungen. Die
Gesundheitspolizei stellt demnach die Reglung dar,
welche das öffentliche Sanitätswesen staatlicher-
seits erfahren hat. Bei der umfassenden Ent-
wicklung der öffentlichen Gesundheitspflege in den
letzten Jahrzehnten ist es nicht zu verwundern,
daß diese Reglung nicht durchgreifend und ein-
heitlich, sondern systemlos und bruchstückweise er-
folgt und fast überall noch in weiterer Ausbildung
begriffen ist. Aus diesem Grunde und je nach
nationalen Bedürfnissen und Gepflogenheiten,
welche mit den historisch gewordenen Einrichtungen
der Staatsverfassung verknüpft sind, ist die Ge-
sundheitspolizei in den verschiedenen Ländern sehr
verschieden ausgebildet, umfaßt aber wesentlich
überall folgende Hauptpunkte: 1) Erhaltung und
Förderung der allgemeinen Gesundheit durch ge-
setzliche Maßnahmen und Vorkehrungen für Rein-
haltung der Luft, des Bodens, des Wassers, der
Nahrungs= und Genußmittel. Im wesentlichen
sollen dieselben die Widerstandskraft gegen krank-
machende Einflüsse erhöhen und bilden somit den
wichtigsten Teil der (allgemeinen) Seuchenprophy-
laxis. 2) Besondere Maßregeln und Veranstal-
tungen zur Abwehr drohender und zur Bekämp-
fung ausgebrochener Seuchen oder infektiöser
Krankheiten. 3) Die Organisation der Medizinal-
und Sanitätsbehörden und die staatlichen An-
forderungen für die Approbation des Heil= und
Pflegepersonals usw.
Es ist klar, daß mit dem Aufschwung der öffent-
lichen Gesundbeitspflege auch die Gesundheits-
polizei eine ganz andere Bedeutung als vordem
gewonnen hat. Deshalb ist die aus früheren Zeiten
überkommene Organisation der polizeilichen Ge-
walt als Uberwachungs= und Exekutivorgan den
jetzigen Anforderungen, die an die Gesundheits-
polizei zu stellen sind, nicht mehr gewachsen. Wie
man auf der einen Seite die staatliche Gesund-
heitsgesetzgebung zu erweitern strebt unter Ein-
schränkung der Verwaltungsbefugnisse, so geht
anderseits ein vielverbreiteter Wunsch dahin, daß
das Gesundheitswesen als ein selbständiger
Zweig der öffentlichen Verwaltung, unter
einer besondern Zentralbehörde (Ministerium) und
mit besondern Gesundheitsbeamten (Arzten, In-
genieuren, Baumeistern, Technikern und Verwal-
tungsbeamten) ausgestattet, von oben herab bis
in die Gemeinden hinein organisiert werde, wobei
vorausgesetzt wird, daß die Gesundheitsbehörden