Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Erblichkeit im Rechtssinn ist die Eigenschaft eines 
Rechtsverhältnisses, vermöge deren dasselbe mit 
dem Tod des jeweiligen Berechtigten nicht erlischt, 
sondern übertragbar ist. Und Erbrecht ist der In- 
begriff von Rechtssätzen, welche die Fortdauer der 
Rechtsverhältnisse und deren Ubergang auf andere 
Personen nach dem Tod ihres bisherigen Trägers 
regeln. « 
gNicht alle Rechte und Verbindlichkeiten dauern 
nach dem Wegfall ihres Subjekts fort. Der Um- 
fang der übertragbaren Rechte ist von der jewei- 
ligen Rechtsordnung abhängig. 
Da für das Erbrecht vor allem die Vermögens- 
rechte in Betracht kommen, so ist dasselbe ein 
Institut des Privatrechts. Doch wirken auf dessen 
Ausgestaltung öffentlich-rechtliche Gesichtspunkte 
und Bedürfnisse ein, wie bei der Thron= und 
Lehnsfolge. Begründet wird deshalb auch die 
Notwendigkeit des Erbrechts überwiegend mit 
wirtschaftlichen Erwägungen. Die Aussicht, 
für die Seinigen zu arbeiten, ist ein Sporn zu 
gütererzeugender Tätigkeit, die wie der Familie 
so auch der Gesamtheit zugute kommt. Ohne 
Erbrecht gibt es (abgesehen von Gemeinwirt= 
schaften) keine Durchführung eines auf Jahrzehnte 
berechneten Wirtschaftsplans. Der bloße Nutz- 
nießer eines Landguts wird in der Regel großen 
Verbesserungen, die sich erst nach seinem Tod be- 
zahlt machen, abgeneigt sein. Er ist vielmehr 
der beständigen Versuchung ausgesetzt, eine gewisse 
Raubwirtschaft zu treiben, um noch bei Lebzeiten 
möglichst viel aus dem Gut herauszuschlagen. 
Tut er das aber, so schädigt er die Gesamtheit, 
da das Gut hinterher nur mit großen Opfern 
wieder in ertragsfähigen Zustand gebracht werden 
kann. Wer die Mühen und Enttäuschungen be- 
denkt, die mit der Verbindung der einzelnen Pro- 
duktionsfaktoren zu einer wirtschaftlichen Unter- 
nehmung sowie mit der Anpassung derselben an 
die vorhandenen volks= und weltwirtschaftlichen 
Bedürfnisse und endlich mit der Bildung eines 
den dauernden Bestand solcher Unternehmungen 
Erbrecht. 
  
verbürgenden Vermögens verbunden sind, der 
wird wünschen, daß das Erbrecht die Erhaltung 
solcher Vermögen begünstige. Ohne Erbrecht wür- 
den die Nachlaßgegenstände der Verwahrlosung 
oder einem mit dem Rechtsfrieden unverträglichen 
eigenmächtigen Zugriff anheimfallen. Ein Erb- 
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tretenden Einzelwirtschaften auch heute noch über- 
wiegend Haushaltungen sind, so beruht es auf 
einer natürlichen Erwägung, daß auch nach dem 
Tod die übertragbaren Rechte den Hausgenossen, 
der Familie, zufallen. Selbst die Erbrechtsgegner 
anerkennen die Ansprüche der Abkömmlinge. Mit 
der Anerkennung der Deszendentenerbfolge ist aber 
ein großer Teil des Erbrechts anerkannt. — Die 
Familie bildet die Vermittlung zwischen der vor- 
ausgehenden und der neu eintretenden Generation; 
sie ist das Mittelglied zwischen dem einzelnen und 
dem Geschlecht. Sie ergänzt sich durch die natürliche 
Aufeinanderfolge der Generationen zu einer fort- 
dauernden Existenz. Diese beruht auf dem Eigen- 
tum als ihrer sachlichen Grundlage. Die Sach- 
herrschaft muß daher in die Familie übergehen, 
unvergänglich wie die Familie sein. Wer eine 
Familie begründet und Kindern das Leben gibt, 
hat die Verpflichtung, für seine Familie dauernd zu 
sorgen, nicht bloß für die Zeit des eigenen Lebens. 
Er hat die Erhaltung des Standes, in welchen er 
sie dadurch gebracht, daß er ihnen Leben und Er- 
ziehung gab, nach Möglichkeit zu sichern. Von 
vornherein ist es ein erklärlicher Wunsch des Man- 
nes, die Frau und mit der Frau gleichzeitig seine 
Kinder für den Fall seines Todes sicherzustellen, 
sie also in den Stand zu setzen, das gewohnte 
Leben fortzuführen. In den meisten Fällen dankt 
er ja selbst die soziale Stellung, die er im Leben 
einnahm, der Familie, die ihn erzog; er hinterläßt 
somit beim Tode nur, was er selbst empfangen. 
Wie die Eltern für die Kinder zu sorgen 
verpflichtet sind, rechtfertigt sich ein elterlicher An- 
spruch auf den Nachlaß unbeerbter Kinder. Indem 
diese Kinder, welche ihr Dasein von den Eltern 
empfingen, ihr Vermögen den Eltern hinterlassen, 
geben sie dasjenige, was sich von den Eltern aus- 
gehend eine Zeitlang selbständig entwickelt hatte, 
wieder zurück. Jenseits der durch den Zweck der 
Familienordnung gezogenen Grenze beginnt das 
Gebiet der durch Rücksichten weniger gebundenen 
Verfügungsfreiheit als eines Rechts auf Betäti- 
gung der Individualität in Erfüllung der ver- 
nünftigen und sittlichen Zwecke des Daseins. 
Die gegen den Mißbrauch der absoluten Ver- 
fügungsfreiheit im positiven Recht zum Schutz des 
unentziehbaren Erbrechts der Familie aufgerichtete 
Schranke ist das Pflichtteilsrecht. Ob und wie 
  
recht des Staates würde wohl die Ordnung auf= weit solche Schranken notwendig, ob die Testier- 
recht erhalten; allein ihm würde ein aus der Sache freiheit in einem bestimmten Gemeinwesen an- 
selbst fließendes Maß für Verwendung und Ver= gemessen ist oder nicht, das hängt von den Zu- 
teilung des ihm Zugefallenen abgehen. Es ist ständen der Moral und der Volkswirtschaft ab. 
daher der Übergang des Vermögens Verstorbener Verfügungen von Todes wegen sollen an sich das 
auf bestimmte überlebende Personen stets als not-Mittel sein, um die aus dem Familienverhältnis 
wendig für die Existenz der menschlichen Gesellschaft sich ergebende natürliche Ordnung der Erbfolge 
anerkannt und bei allen Völkern geltend gewesen. zu verwirklichen, zu ergänzen und in Anpassung 
Bei der Frage nach diesen Personen kommt jene an die besondern sittlichen und wirtschaftlichen 
innige Gemeinschaft von Rechten und Pflichten 1 Bedürfnisse der einzelnen Familie auszugestalten. 
wohl zunächst in Betracht, welche durch die Der nach der festen Ordnung der gegebenen per- 
Familie begründet wird (über das sog. Mutter= sönlichen Rechtsverhältnisse kraft gesetzlicher Regel 
recht s. d. Art. Familie). Da die in Verkehr verwirklichte Eintritt in die leergewordene Stelle
	        
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