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Erblichkeit im Rechtssinn ist die Eigenschaft eines
Rechtsverhältnisses, vermöge deren dasselbe mit
dem Tod des jeweiligen Berechtigten nicht erlischt,
sondern übertragbar ist. Und Erbrecht ist der In-
begriff von Rechtssätzen, welche die Fortdauer der
Rechtsverhältnisse und deren Ubergang auf andere
Personen nach dem Tod ihres bisherigen Trägers
regeln. «
gNicht alle Rechte und Verbindlichkeiten dauern
nach dem Wegfall ihres Subjekts fort. Der Um-
fang der übertragbaren Rechte ist von der jewei-
ligen Rechtsordnung abhängig.
Da für das Erbrecht vor allem die Vermögens-
rechte in Betracht kommen, so ist dasselbe ein
Institut des Privatrechts. Doch wirken auf dessen
Ausgestaltung öffentlich-rechtliche Gesichtspunkte
und Bedürfnisse ein, wie bei der Thron= und
Lehnsfolge. Begründet wird deshalb auch die
Notwendigkeit des Erbrechts überwiegend mit
wirtschaftlichen Erwägungen. Die Aussicht,
für die Seinigen zu arbeiten, ist ein Sporn zu
gütererzeugender Tätigkeit, die wie der Familie
so auch der Gesamtheit zugute kommt. Ohne
Erbrecht gibt es (abgesehen von Gemeinwirt=
schaften) keine Durchführung eines auf Jahrzehnte
berechneten Wirtschaftsplans. Der bloße Nutz-
nießer eines Landguts wird in der Regel großen
Verbesserungen, die sich erst nach seinem Tod be-
zahlt machen, abgeneigt sein. Er ist vielmehr
der beständigen Versuchung ausgesetzt, eine gewisse
Raubwirtschaft zu treiben, um noch bei Lebzeiten
möglichst viel aus dem Gut herauszuschlagen.
Tut er das aber, so schädigt er die Gesamtheit,
da das Gut hinterher nur mit großen Opfern
wieder in ertragsfähigen Zustand gebracht werden
kann. Wer die Mühen und Enttäuschungen be-
denkt, die mit der Verbindung der einzelnen Pro-
duktionsfaktoren zu einer wirtschaftlichen Unter-
nehmung sowie mit der Anpassung derselben an
die vorhandenen volks= und weltwirtschaftlichen
Bedürfnisse und endlich mit der Bildung eines
den dauernden Bestand solcher Unternehmungen
Erbrecht.
verbürgenden Vermögens verbunden sind, der
wird wünschen, daß das Erbrecht die Erhaltung
solcher Vermögen begünstige. Ohne Erbrecht wür-
den die Nachlaßgegenstände der Verwahrlosung
oder einem mit dem Rechtsfrieden unverträglichen
eigenmächtigen Zugriff anheimfallen. Ein Erb-
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tretenden Einzelwirtschaften auch heute noch über-
wiegend Haushaltungen sind, so beruht es auf
einer natürlichen Erwägung, daß auch nach dem
Tod die übertragbaren Rechte den Hausgenossen,
der Familie, zufallen. Selbst die Erbrechtsgegner
anerkennen die Ansprüche der Abkömmlinge. Mit
der Anerkennung der Deszendentenerbfolge ist aber
ein großer Teil des Erbrechts anerkannt. — Die
Familie bildet die Vermittlung zwischen der vor-
ausgehenden und der neu eintretenden Generation;
sie ist das Mittelglied zwischen dem einzelnen und
dem Geschlecht. Sie ergänzt sich durch die natürliche
Aufeinanderfolge der Generationen zu einer fort-
dauernden Existenz. Diese beruht auf dem Eigen-
tum als ihrer sachlichen Grundlage. Die Sach-
herrschaft muß daher in die Familie übergehen,
unvergänglich wie die Familie sein. Wer eine
Familie begründet und Kindern das Leben gibt,
hat die Verpflichtung, für seine Familie dauernd zu
sorgen, nicht bloß für die Zeit des eigenen Lebens.
Er hat die Erhaltung des Standes, in welchen er
sie dadurch gebracht, daß er ihnen Leben und Er-
ziehung gab, nach Möglichkeit zu sichern. Von
vornherein ist es ein erklärlicher Wunsch des Man-
nes, die Frau und mit der Frau gleichzeitig seine
Kinder für den Fall seines Todes sicherzustellen,
sie also in den Stand zu setzen, das gewohnte
Leben fortzuführen. In den meisten Fällen dankt
er ja selbst die soziale Stellung, die er im Leben
einnahm, der Familie, die ihn erzog; er hinterläßt
somit beim Tode nur, was er selbst empfangen.
Wie die Eltern für die Kinder zu sorgen
verpflichtet sind, rechtfertigt sich ein elterlicher An-
spruch auf den Nachlaß unbeerbter Kinder. Indem
diese Kinder, welche ihr Dasein von den Eltern
empfingen, ihr Vermögen den Eltern hinterlassen,
geben sie dasjenige, was sich von den Eltern aus-
gehend eine Zeitlang selbständig entwickelt hatte,
wieder zurück. Jenseits der durch den Zweck der
Familienordnung gezogenen Grenze beginnt das
Gebiet der durch Rücksichten weniger gebundenen
Verfügungsfreiheit als eines Rechts auf Betäti-
gung der Individualität in Erfüllung der ver-
nünftigen und sittlichen Zwecke des Daseins.
Die gegen den Mißbrauch der absoluten Ver-
fügungsfreiheit im positiven Recht zum Schutz des
unentziehbaren Erbrechts der Familie aufgerichtete
Schranke ist das Pflichtteilsrecht. Ob und wie
recht des Staates würde wohl die Ordnung auf= weit solche Schranken notwendig, ob die Testier-
recht erhalten; allein ihm würde ein aus der Sache freiheit in einem bestimmten Gemeinwesen an-
selbst fließendes Maß für Verwendung und Ver= gemessen ist oder nicht, das hängt von den Zu-
teilung des ihm Zugefallenen abgehen. Es ist ständen der Moral und der Volkswirtschaft ab.
daher der Übergang des Vermögens Verstorbener Verfügungen von Todes wegen sollen an sich das
auf bestimmte überlebende Personen stets als not-Mittel sein, um die aus dem Familienverhältnis
wendig für die Existenz der menschlichen Gesellschaft sich ergebende natürliche Ordnung der Erbfolge
anerkannt und bei allen Völkern geltend gewesen. zu verwirklichen, zu ergänzen und in Anpassung
Bei der Frage nach diesen Personen kommt jene an die besondern sittlichen und wirtschaftlichen
innige Gemeinschaft von Rechten und Pflichten 1 Bedürfnisse der einzelnen Familie auszugestalten.
wohl zunächst in Betracht, welche durch die Der nach der festen Ordnung der gegebenen per-
Familie begründet wird (über das sog. Mutter= sönlichen Rechtsverhältnisse kraft gesetzlicher Regel
recht s. d. Art. Familie). Da die in Verkehr verwirklichte Eintritt in die leergewordene Stelle