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Laufe der Zeit, nachdem noch weitere Einzelfragen,
der Alkoholvertrieb, die Wohnungsfrage und
andere, gesetzgeberisch geregelt sind, die sanitär-
sozialen Einzelgesetze zu einem Sanitätskodex zu-
sammengefaßt (ähnlich wie dies in England 1875
der Fall war) und die fehlenden Bestimmungen
ergänzt werden.
Vielleicht ist der „Reichsgesundheitsrat“, dessen
Bildung im Reichsseuchengesetz vorgesehen war
und der am 30. März 1901 zum erstenmal zu-
sammengetreten ist, berufen, der Gesundheits-
gesetzgebung wichtige Dienste zu leisten. Derselbe
hat neun Ausschüsse für alle einzelnen Zweige der
öffentlichen Gesundheitspflege gebildet.
Bisher beschränkt sich die sanitätspolizeiliche
Tätigkeit der Einzelstaaten Deutschlands fast nur
auf die Prophylaxis ansteckender Krankheiten
und auch dieses in einer durchaus ungenügenden
Weise. Sie geht immer von der Anzeige pflicht
aus. So begreiflich es ist, daß die Sanitäts-
polizei nur auf Grund von Kenntnisnahme in-
fektiöser Fälle ein Urteil über die Bedeutung und
Verbreitung derselben gewinnen und zum Handeln
befähigt werden kann, so ist doch die den Arzten
und Familien= oder Haushaltungsvorständen auf-
erlegte Anzeigepflicht der wunde Punkt jeder Sa-
nitätsgesetzgebung. Die Stellung des Hausarztes
zur Familie ist eine Vertrauensstellung; da nun
sowohl die ärztliche Diskretion als auch die gesell-
schaftlichen und geschäftlichen Beziehungen einer
Familie mit der Anzeigepflicht gar zu leicht in
Widerstreit geraten, so werden mehr Anzeigen
unterlassen als erstattet. Dazu kommt, daß wohl
kein Arzt leichtere Grade ansteckender Krankheiten,
auch wenn die Diagnose unzweifelhaft sein sollte,
anzeigen wird, obschon kein prinzipieller Unter-
schied zwischen leichten und schweren Fällen der-
selben Krankheit, deren Grenze überdies nicht zu
ziehen wäre, besteht, da z. B. ein leichter Scharlach
einen schweren Scharlach bei andern erzeugen kann.
Aus diesen Gründen wird die allgemeine, unein-
geschränkte Anzeigepflicht wohl immer ein toter
Buchstabe bleiben und ihren Zweck verfehlen.
Damit aber der wünschenswerte Zweck, so weit
wenigstens, als dies möglich ist, gefördert werde,
möge man die Anzeigepflicht beschränken auf die
größeren Krankenhäuser einer Stadt, die ein ziem-
lich getreues Spiegelbild der Krankheitsbewegung
ihrer Bevölkerung geben, oder überhaupt auf alle
Krankenanstalten, auf die Klientel der Armen-
und Krankenkassenärzte (Knappschaftsärzte) und
ferner noch sie den Wirten und Inhabern von
Arbeiterwohnungen und Massenquartieren sowie
den Leitern größerer öffentlicher Anstalten (Pen-
sionate, Seminare, Kasernen. Gefängnisse usw.)
auferlegen. Bei den bestehenden Verhältnissen wird
die Durchführung der Anzeigepflicht in Deutsch-
land auch dadurch erschwert, daß meist unter-
geordnete Beamte die Anzeige entgegennehmen
oder mit den ersten Maßregeln betraut werden,
Beamte, denen durchschnittlich sowohl der nötige
Gesundheitspflege ufw.
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Takt als die technische Vorbildung und deshalb
das richtige Verständnis für das im gegebenen
Falle angebrachte Vorgehen abgeht. Anders wäre
es, wenn nur Arzte oder wenigstens technisch ge-
schulte und nur für den Sanitätsdienst bestimmte
Beamte dabei beteiligt wären. Die sittliche Be-
rechtigung der Forderung seitens der Sanitäts-
behörde, ihr die Fälle ansteckender Krankheiten
anzuzeigen, kann übrigens nicht in Zweifel ge-
zogen werden; berechtigt sind ebenso alle aus der
Anzeige sich ergebenden Folgerungen: Isolierung
der Kranken, unter Umständen (bei Blattern u. dgl.)
zwangsweise Wegführung derselben in ein Kranken-
haus (Isolierstation) und zwangsweise Desinfek-
tion der Betten, Wohnungen usw.
Prophylaxis der Pocken, Impfzwang.
Das Impfgesetz vom 8. April 1874 ordnet an,
daß alle Kinder, die nicht wegen Krankheit zurück-
gestellt werden müssen, vor Ablauf des zweiten
Lebensjahres geimpft, und im Falle die erste
Impfung kein Ergebnis gehabt haben sollte, nach
Jahresfrist wiederholt geimpft werden müssen.
Die Lymphe kann aus den staatlichen Lymph-
instituten in genügender Menge bezogen werden
und wird jetzt ausschließlich von Tieren gewonnen
(animale Lymphe), während das Impfen von
Arm zu Arm (oder mit humanisierter Lymphe
überhaupt) zur Vermeidung der Übertragungs-
gefahr onderer Krankheitskeime von einem Impf-
ling auf den andern außer Ubung gekommen ist.
Da die Immnnität nur eine Reihe von Jahren
anhält, so bestimmt das Gesetz auch die Revakzi-
nierung sämtlicher Kinder vor Ablauf des zwölften
Lebensjahres und die eventuelle Wiederholung der-
selben, wenn der Erfolg ausgeblieben ist. Die
Leiter der Schulen haben die Durchführung zu
überwachen, indem sie sowohl bei der ersten Auf-
nahme von Schülern das Impfattest einfordern
müssen als auch verpflichtet sind, den Wieder-
impfungsschein einzusehen. Ferner ist die Revakzi-
nation bei allen Rekruten obligatorisch. Die
Impfung wird von den seitens der Gemeinden
angestellten Impfärzten unentgeltlich für alle,
welche es nicht vorziehen, sich oder ihre Kinder
von Privatärzten impfen zu lassen, geleistet. Da
die Wirkung des Impfschutzes selten das ganze
Leben auch nach wiederholtem Geimpftsein vor-
halten wird, so ist es für jedermann empfehlens-
wert, beim Auftreten der Blatternkrankheit sich
wieder impfen zu lassen. Ubrigens hat unter der
Herrschaft des Impfzwanges diese Krankheit in
Deutschland ungemein abgenommen. Gleichwohl
bedürfen die wenigen Kranken, welche zu Hause
nicht auf das vollständigste isoliert gehalten werden
können, der Überführung in ein Pockenhaus (Ba-
racke) oder in ein Isolierzimmer, um die An-
steckungsgefahr für andere möglichst zu verringern.
Die nachträgliche Desinfektion der Leibwäsche, des
Bettzeuges usw. ist mit großer Umsicht vorzu-
nehmen. Für den Transport der Pockenkranken
sind besondere Krankenwagen bereit zu halten.