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wenden. Endlich erscheint die Taxe in vielen Einzel-
staaten nicht mehr den heutigen Lebensanforde-
rungen entsprechend. In Preußen ist sie zwar
„aufgehoben“, hat aber noch Geltung für streitige
Fälle, obgleich sie von 1815 datiert. Der Erlaß
einer gesetzlichen „Arzteordnung“, welche den
Pflichten und Rechten des Arztes gleichmäßig ge-
recht wird, scheint vielen Mitgliedern dieses Stan-
des ein unabweisbares Bedürfnis, um ihn zu
heben und seine gegenwärtig vielfach bedrohte
Existenz zu sichern. Das Kurpfuschertum
hat in Deutschland eine Ausdehnung erreicht wie
niemals zuvor, dank der schrankenlosen Gewerbe-
freiheit und der Einbeziehung der „Ausübung der
Heilkunde“ in die Gewerbeordnung vom Jahre
1869. Die Mehrzahl der andern Staaten besitzt
Gesetze gegen das gewerbsmäßige, auf die Aus-
beutung des Publikums abzielende Kurpfuscher-
tum. Daf dieses neben der direkten oder indirekten
Schädigung der Heilungsuchenden das Gewerbs-
leben des Arztes erheblich beeinträchtigt und da-
mit diesem Stande eine Lebensader unterbindet,
kann einem berechtigten Zweifel nicht unterliegen.
Der Staat, welcher den Arzten zur Erlangung
ihrer Qualifikation einen langen und kostspieligen
Studiengang vorschreibt, um dem Publikum eine
möglichst sachgemäße und gründliche Behandlung
bei Krankheiten (welche sich ja nur auf deren rich-
tiger Erkenntnis aufbaut) gewährleisten zu können,
hat auch die Verpflichtung, beide, Publikum und
Arzt, vor den Elementen zu schützen, welche die
Heilkunde nicht nur in Notfällen, sondern ge-
schäftsmäßig unter allerlei Vorspiegelungen, ge-
stützt auf gar keine oder eine höchst mangelhafte
und einseitige Vorbildung, auszuüben sich ver-
messen. Dazu kommt noch der Schaden für die
öffentliche Sittlichkeit, da schamlose Kurpfuscher
als Heilkundige für alle Krankheiten und nament-
lich als Spezialärzte für Frauenkrankheiten dem
Publikum sich aufdrängen. Es liegt (1909) ein
Gesetzentwurf gegen die Kurpfuscherei in Deutsch-
land vor, der, falls er in dieser Fassung angenom-
men wird, wenn auch keineswegs zur Unterdrückung
der Kurpfuscherei genügen, so doch die gröbsten
Schäden beseitigen wird. Der Staat, der durch
die die öffentliche Gesundheitsfürsorge betreffenden
gesetzlichen Bestimmungen, speziell durch die Ein-
führung der Krankenkassengesetzgebung, den Arzten
sowohl einen gewaltigen Teil der bei Ausführung
dieser Gesetze sich ergebenden Arbeitslast als auch
insbesondere durch Reduzierung der Honorare auf
ein Minimum bei einem großen Prozentsatz der
überhaupt in Betracht kommenden Klientel eine
starke pekuniäre Leistung indirekt aufgebürdet hat,
versäumte es bisher in fast jeder Hinsicht, die
Arzte gegen die Kurpfuscher und gegen die Aus-
beutung der zur Selbstverwaltung berechtigten
Kassen zu schützen. Diese Verhältnisse, vereint mit
der Überfüllung des ärztlichen Berufes, sind ge-
eignet, das ohnehin stark gesunkene soziale Nivean
des ärztlichen Standes derart hinabzudrücken, daß
Gesundheitspflege usw.
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daraus eine nicht zu unterschätzende Gefahr für
die Volksgesundheit entstehen kann.
Für die Apotheken fordern heutzutage selbst
die Staaten, in denen die größte Freiheit in Be-
zug auf Einrichtung derselben herrscht (wie Nord-
amerika), den Nachweis einer Qualifikation dessen,
der eine Apotheke eröffnen will, und die Mehrzahl
derselben stellt auch den Betrieb unter staatliche
Aufsicht. In andern Ländern, wozu auch Deutsch-
land gehört, ist die Niederlassungsfreiheit be-
schränkt, indem der Staat die Konzession gibt und
Zahl und Lage der Apotheken bestimmt; auch for-
dert er dann außer der Qualifikation eine bestimmte
Einrichtung der Apotheke, die Zubereitung der
Arzneien nach bestimmten Vorschriften (Pharma-
kopöe) und für eine bestimmte Taxe. Für Ein-
richtung und Betrieb der Apotheken gilt in Preußen
die revidierte Apothekerordnung vom 11. Okt.
1801 als Landesgesetz. Durch kaiserliche Verord-
nung vom 4. Jan. 1875 sind eine Reihe von mehr
indifferenten Mitteln dem ausschließlichen Apo-
thekervertriebe entzogen worden und dürfen in den
Apotheken ohne ärztliche Rezepte im Handverkauf
abgegeben werden. Die Mittel, welche nur auf
Grund einer ärztlichen Verordnung (Rezept) in
den Apotheken zu haben sind, werden nebst den
dafür festgesetzten Preisen und (bei differenten)
ihrer Maximal-, Einzel- und Tagesdosis von
Zeit zu Zeit amtlich bekannt gemacht, um die in
der Zwischenzeit neu entdeckten pharmazeutischen
Präparate differenter Natur dem Handverkaufe zu
entziehen und die Taxen den oft in weiten Grenzen
schwankenden Preisen des Großhandels entspre-
chend festzusetzen. Die maßgebenden Vorschriften
über die Vorbildung des Apothekers enthalten die
preußischen Reglements vom 11. Aug. 1864 und
die Bekanntmachungen des Reichskanzlers vom
5. März und 13. Nov. 1875. Die Pharmaco-
poea Germanica, deren 4. Auflage als „Arznei-
buch für das Deutsche Reich“ im Jahre 1901 in
Kraft getreten ist, enthält die Vorschriften über die
Beschaffenheit der Chemikalien und Drogen, über
die Herstellung der Präparate und gewisser Arz-
neien und über die Herstellung der Rezepturverord-
nungen. Die regelmäßige Beaufsichtigung der
Apotheken fällt dem zuständigen Kreisarzt, die
außergewöhnliche dem Regierungsmedizinalrate
zu. Bezüglich der Konzessionen gilt in Preußen
die königliche Verordnung vom 11. Okt. 1811.
Über Filialapotheken, Dispensieranstalten (d. h.
Hausapotheken größerer Krankenhäuser und Mi-
litärlazarette) sowie Hausapotheken der Arzte han-
deln besondere Ministerialverfügungen. — Die
Beschränkung der Apotheken hat im Laufe der Zeit
viele Gegner gefunden. Man ist darüber einig,
daß die Freizügigkeit und Aufhebung des Kon-
zessionswesens den ganzen Apothekerstand herab-
drücken und auf die Qualität der Arzneien ver-
schlechternd einwirken würde. Auch würde in Ge-
genden, wo eine Apotheke nur eben zur Not be-
stehen kann (und deren gibt es nicht wenige in