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war, und bei Roggen um 454 000 t niedriger bei
einer Anbauflächendermehrung um 46 000 ha.
Der Einfluß des Landwirtes auf das End-
ergebnis der Ernte ist also ein verhältnismäßig
geringer. Die Ernte aber ist die erste natur-
gemäße Unterlage zur Preisbildung; von ihr
hängt es ab, welches Angebot die auf der Bevöl-
kerungsziffer beruhende Nachfrage findet. Schlechte
Ernten rufen Preissteigerungen, gute Ernten
Preisrückgänge hervor. Dabei ist noch zu be-
achten, daß zum Markt nur der Erntebetrag ab-
züglich des Bedarfs an Saatgut und desjenigen
des Selbstverbrauches der zahlreichen ländlichen
Bevölkerung gelangt, die Schwankungen im Er-
trage also im vollen Umfange sich bei dem Über-
schusse geltend machen. Hierzu tritt nun die Ein-
fuhr fremden Getreides, und es ist klar, daß, wenn
diese nur unter Zahlung eines Zolles möglich ist,
in der Theorie ein Schutz für das inländische
Getreide geboten wird. Die Wirkung ist indessen
keine ziffermäßig berechenbare.
Die Verteuerung des Getreidepreises um die
Höhe des Zolles oder annähernd um die Höhe
desselben kann man nicht mit den Zahlen be-
weisen, welche die Preise im Deutschen Reich im
Vergleich zum Weltmarktpreise ergeben, sondern
man muß erwägen: wie würde sich der Weltmarkt-
preis stellen, wenn Deutschland keinen Zoll hätte?
Eine Aufhebung des Zolles würde keineswegs die
Folge haben, daß nun der vorher vorhandene
Weltmarktpreis auch im Deutschen Reich gelten
würde, sondern das Angebot des Weltmarktes
würde, von dem Drucke des deutschen Zolles be-
freit, höhere Preise verlangen und erreichen als
jetzt. Jedenfalls würde dies beim Roggen sich
zeigen, für welchen bis jetzt Rußland der Haupt-
verkäufer, Deutschland der Hauptkäufer ist, wäh-
rend für Weizen der deutsche Bedarf nur einen
kleinen Teil des englischen ausmacht, auf den
Weltmarkt also nicht den Einfluß ausübt wie bei
dem Roggen. Bei der Preisbildung für das Ge-
treide wirken sodann andere Verhältnisse mehr ein
als der Zoll: die Ernte des Inlandes und die des
Auslandes, daraus folgend der Umfang des Kauf-
bedürfnisses des ersteren, des Verkaufsbedürfnisses
des letzteren; die Hervorbringungskosten des Ge-
treides; die Kosten der Fortbewegung des Ge-
treides von seinem Erzeugungsorte nach dem
Verbrauchsorte; das Verhältnis des Geldwertes
zwischen dem Verkaufslande und dem Kaufslande.
Nimmt man als Beispiel das Verhältnis
Deutschlands zu Rußland, so tritt alsbald hervor:
der Einfluß der guten deutschen Ernte auf die
Preise im Inlande. Im August 1892 stand Wei-
zen auf 156 M die Tonne, Roggen auf 137 gegen
250 M bei der schlechten Ernte im Jahre 1891,
also für den Doppelzentner ein Unterschied von
rund 10 JMI. Was für einen Einfluß wird z. B.
die Einfuhr aus Rußland ausüben? Die Haupt-
antwort liegt in dem Ausfall der russischen Ernte.
Wäre diese sehr reichlich, müßten die Russen ver-
Getreidezölle.
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kaufen, während Deutschland sein Hauptabnehmer
ist, so würden sich die dortigen Verkäufer zu sehr
geringen Forderungen bequemen müssen, um ihr
Getreide für Deutschland einfuhrfähig zu machen,
weil der Zoll doch auch noch gezahlt werden muß.
Es wird ins Gewicht fallen, inwieweit die Trans-
portkosten den Preis belasten; es wird endlich der
Kurs des Rubels von erheblichem Einfluß darauf
sein, welchen Preis, in deutscher Währung be-
rechnet, der deutsche Händler anlegen kann, um auf
dem deutschen Markt mit dem russischen Getreide
noch Geschäfte zu machen. Je niedriger der Rubel
im Verhältnis zum deutschen Gelde steht, desto
weniger Mark gebraucht der Händler zu seinem
Einkauf in Rußland, desto günstiger also für den
Import.
Man kann im allgemeinen sagen: bei einer
guten deutschen Ernte ist diese auf die Preis-
bildung von entscheidendem Einfluß; das aus-
ländische Getreide muß sich im ganzen anbequemen;
aber ein Einfluß bleibt immerhin, und zwar bis
zu einem gewissen Grade in diesem Falle wohl
auch im Sinne einer Preiserhöhung oder wenig-
stens-befestigung, da der deutsche Bedarf auch bei
guter Ernte nicht ganz durch das Inland gedeckt
wird und die Einfuhr als Notwendigkeit erscheint.
Noch mehr tritt dies hervor bei einer geringen in-
ländischen Ernte, wo die Einfuhr eine maßgebende
Bedeutung erhält, und zwar um so mehr, je ge-
ringer auch die russische Ernte, je geringer also
das dortige Verkaufsbedürfnis ist. Rußland hatte
1892 wegen eigener Mißernte ein Ausfuhrverbot
erlassen, der Bedarf an Roggen mußte daher in
Deutschland anderwärts gedeckt werden. Bei hohen
Preisen ist dies auch geschehen.
Es kann nicht verkannt werden, daß die ange-
strebte Erhöhung der Zölle nur dann ihren Zweck
erfüllt, wenn die Getreidepreise eine Aufwärts-
bewegung erfahren. Wenn daher vielfach darzutun
versucht wird, die Erhöhung der Zölle bringe nicht
notwendig eine Erhöhung der Inlandspreise mit
sich, so kann man sich allerdings auf die Statistik
berufen; allein dieser Gesichtspunkt darf nicht auf
Kosten der Klarheit der Sachlage zu sehr be-
tont werden, da, wenn eine Erhöhung nicht ein-
tritt, der Fall gar nicht zutrifft, dessen Eintritt
man herbeiführen will, mit dem man daher in
erster Linie zu rechnen hat. Sodann darf ein
Schutzzoll wohl nicht von vornherein als eine
dauernde Einrichtung angestrebt werden, vielmehr
dürfen die Zölle nur so lange aufrecht erhalten
werden, als die Gründe, welche zu ihnen geführt
haben, bestehen. Die Befürchtung, es könnten die
höheren Getreidepreise alsbald zu einer Steigerung
der Bodenpreise führen, wird hierdurch schon be-
deutend abgeschwächt. Es darf sodann weiter nicht
außer acht gelassen werden, daß es sich nicht um
eine Steigerung bisher bereits zufriedenstellender
Preise handelt, daß also nicht den landwirtschaft-
lichen Unternehmern eine ungerechtfertigte Be-
reicherung zuerkannt und den Konsumenten eine