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direkt durch Vermittlung des Geldes — gewerb-
liche Produkte anderer Wirtschaften, sei es des
eigenen oder fremder Volksstämme, zu erwerben,
nämlich Produkte, welche in der eigenen Wirt-
schaft gar nicht oder nur mit größerer Mühe her-
gestellt werden können. So erlangt schon das Haus-
werk zum großen Teil — und um so mehr, je ein-
seitiger sich die einzelne Hauswirtschaft nach und
nach auf Erzeugung bestimmter weniger Produkte
beschränkt, um sie vorwiegend als Tauschmittel zu
benutzen — die Eigenschaft „berufsmäßiger Er-
werbstätigkeit“, durch welche es eigentlich erst als
Gewerbe im engeren Sinne charakterisiert wird.
Bis in die Gegenwart hat sich diese Art gewerb-
licher Tätigkeit erhalten, welche immer noch als
Hauswerk oder Hausfleiß zu bezeichnen ist, sofern
die Stoffumwandlung mit der für den eigenen
Bedarf erfolgenden Stoffgewinnung verbunden
ist. Wie im Mittelalter die bäuerliche Bevölkerung
Deutschlands vielfach ihr Leinen auf die städtischen
Märkte brachte, so geschieht es z. B. bei den Süd-
slawen noch jetzt mit selbstgefertigten Geweben,
Stickereien, Holzwaren usw.
Im weiteren Verlauf der fortschreitenden ge-
werblichen Entwicklung muß sich nun naturgemäß
für die einzelne Hauswirtschaft vielfach die Un-
möglichkeit ergeben, die selbsterzeugten Rohstoffe
vollständig mit eigenen Arbeitskräften bzw. Be-
triebsmitteln zu gewerblichen Produkten zu ver-
arbeiten. So enisteht — das Vorhandensein eines
gewissen Tauschverkehrs, wie er sich schon mit
reinen Hauswerksprodukten entwickelt, voraus-
gesetzt — eine neue Betriebsform, bei welcher der
Rohstoff zwar dem Auftraggeber, Arbeitskräfte
oder Betriebsmittel (Mühle, Backofen, Webstuhl
usw.) oder beides dagegen nicht zur Hauswirtschaft
des Auftraggebers gehören. Letzterer muß für die
Benutzung der gemieteten Arbeitskräfte bzw. Be-
triebsmittel eine Vergütung, einen Lohn bezahlen;
die eigentliche gewerbliche Arbeit charakterisiert sich
also als Lohnwerk. In seiner Entstehung wird
das Lohnwerk auch gefördert durch die im Alter-
tum und frühen Mittelalter vielfach geltende un-
freie oder halbfreie Arbeitsverfassung (Sklaven-
vermietung bei Griechen und Römern, Verpflich-
tung der in der Nähe eines Fronhofs angesiedelten
Hörigen zu bestimmten gewerblichen Dienst-
leistungen auf dem Hofe oder für denselben) oder
auch durch wachsende Ungleichheit des Grund-
besitzes mit der für einen Teil der Bevölkerung sich
ergebenden Notwendigkeit, sich mehr gewerblicher
Tätigkeit zuzuwenden. Was speziell den ersteren
Fall anlangt, so konnten Sklaven und Hörige
nebenbei häufig auch zum eigenen Nutzen arbeiten,
und indem sie als Freigelassene oder Freigekaufte
bzw der Hörigkeit völlig entledigt ihre gewerbliche
Arbeit fortsetzen, bilden sie einen neuen eigenen
Stand berufsmäßiger Lohnwerker. Hier ist auch
zu erwähnen die mächtige Förderung, welche dem
Gewerbe auf der Stufe des Haus= und Lohnwerks
durch das Klosterwesen zuteil wurde. Seit dem
Gewerbe uslw.
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6. Jahrh. haben namentlich die Benediktiner beie
ihren einsamen Niederlassungen Mühlen, Backöfen,
Eisenschmieden und andere Werkstätten angelegt,
deren sie bei der Rodung des Urwaldes und der
Umwandlung des urbar gemachten Landes in
fruchtbare Acker- und Weinländereien bedurften.
So unmschloß z. B. das bereits 954 mit Mauern
und Türmen versehene Kloster St Gallen Werk-
stätten für Schmiede, Schuster, Müller, Bäcker,
Walker, Degenschmiede, Schildmacher, Bierbrauer
und Glasmacher. Die Klöster waren die Pflanz-
schulen des Kunstfleißes und der mechanischen Ge-
schicklichkeit. — In zwei Formen tritt das Lohn-
werk auf, je nachdem die Bearbeitung des vom
Auftraggeber gelieferten Rohstoffes im Hause
desselben vollzogen wird (Stör) oder in der Werk-
stätte des Gewerbetreibenden (Seimwerkh. Dieses
Lohnwerk findet sich noch heute, z. B. in den Ge-
birgsgegenden Deutschlands und namentlich bei
den Russen und Südslawen, ferner in Griechen-
land, Bulgarien, der Türkei usw. Die gewerb-
liche Tätigkeit zahlreicher sog. Handwerker in
den mittelalterlichen Städten ist nichts anderes
als Lohnwerk. Jedoch sind es im allgemeinen
agrarische Verhältnisse, unter denen das Lohn-
werk entsteht und vorherrschend ist: selbständige
Wirtschaften mit eigenem Grund und Boden,
der zur Befriedigung der Existenzbedürfnisse alle
erforderlichen Rohstoffe liefert und daneben ab-
hängige Wirtschaften der für jene arbeitenden
Lohnwerker.
Die mannigfachen Nachteile jedoch, die das
Lohnwerk sowohl für Konsumenten wie für Pro-
duzenten mit sich bringt, z. B. für letztere die Un-
regelmäßigkeit der Beschäftigung, lassen auf dem
Boden des Lohnwerkes (natürlich ohne dieses zu
beseitigen, was bis heute nicht völlig geschehen ist)
eine neue Betriebsform entstehen, bei welcher der
Gewerbetreibende auch den Rohstoff selbst stellt
und wenigstens teilweise auch für den Markt pro-
duziert: das Handwerk im engeren Sinne,
dasjenige gewerbliche Betriebssystem, wie Bücher
es definiert, bei welchem der Produzent als Eigen-
tümer sämtlicher Betriebsmittel Tauschwerte für
nicht seinem Haushalt angehörige Konsumenten
erzeugt. Zur Unterscheidung vom Lohnwerk glaubt
Bücher das Handwerk noch treffender „Preiswerk“
nennen zu sollen, weil der Handwerker aus eigenem
Stoff und mit eigener Arbeit verfertigte Produkte
um einen bestimmten Preis verkauft, während der
Lohnwerker bloß Vergütung für seine Arbeit und
etwaige Abnutzung seiner Werkzeuge erhält. Der
mittelalterliche Sprachgebrauch unterscheidet übri-
gens die Lohnwerker nicht von den Handwerkern;
in späterer Zeit begegnet man dagegen wohl der
Unterscheidung von Lohn= und Kaufhandwerkern.
Das charakteristischste Merkmal des Handwerks ist
der unmittelbare Verkehr mit den Konsumenten,
mit einem ziemlich bestimmten Kundenkreis (daher
Kundenproduktion), dessen individuellen Bedürf-
nissen, auch ohne Stückbestellung, es wenigstens