691
gierungen muß der Grundsatz leitend bleiben,
niemanden in dem Genuß seines Eigentums,
seiner bürgerlichen Gerechtsame und Freiheit, so-
lange er in den gesetzlichen Grenzen bleibt, weiter
einzuschränken, als es zur Beförderung des allge-
meinen Wohles nötig ist; einem jeden innerhalb
der gesetzlichen Schranken die möglichst freie Ent-
wicklung und Anwendung seiner Anlagen, Fähig-
keiten und Kräfte, in moralischer sowohl als phy-
sischer Hinsicht, zu gestatten und alle dagegen noch
obwaltenden Hindernisse baldmöglichst auf eine
legale Weise zu räumen.“ Bezüglich der Hand-
habung der Gewerbepolizei sprach sich die genannte
Instruktion (im § 50) unter anderem dahin aus:
„Es ist dem Staate und seinen einzelnen Gliedern
immer am zuträglichsten, die Gewerbe jedesmal
ihrem natürlichen Gange zu überlassen, d. h. keine
derselben vorzugsweise durch besondere Unter-
stützungen zu begünstigen und zu heben, aber auch
keine in ihrem Entstehen, ihrem Betriebe und Aus-
breiten zu beschränken, insofern das Rechtsprinzip
dabei nicht verletzt wird oder sie nicht gegen Re-
ligion, gute Sitten und Staatsverfassung ver-
stoßen. Es ist falsch, das Gewerbe an einem Ort
auf eine bestimmte Anzahl von Subjekten ein-
schränken zu wollen. Niemand wird dasselbe unter-
nehmen, wenn er dabei nicht Vorteil zu finden
glaubt, und findet er diesen, so ist es ein Beweis,
daß das Publikum seiner noch bedarf; findet er
ihn nicht, so wird er das Gewerbe von selbst auf-
geben. Man gestatte daher einem jeden, solange
er die vorbemerkte Grenzlinie nicht überschreitet,
sein eigenes Interesse auf seinem eigenen Wege zu
verfolgen und sowohl seinen Fleiß als sein Kapital
in die freieste Konkurrenz mit dem Fleiße und
Kapital seiner Mitbürger zu bringen. Ihr (der
Regierung) Augenmerk muß dahin gehen, die Ge-
werbe= und Handelsfreiheit soviel als möglich zu
befördern und darauf Bedacht zu nehmen, daß
die verschiedenen Beschränkungen, denen sie noch
unterworfen ist, abgeschafft werden, jedoch nur
allmählich auf eine loyale Weise und selbst mit
möglichster Schonung des Vorurteils, da jede
neue Einrichtung mit Reibungen verbunden ist und
ein zu schneller Ubergang vom Zwang zur Frei-
heit manchmal nachteiligere Folgen hervorbringt
als der Zwang selbst. Auf keinen Fall aber müssen
die Regierungen von jetzt ab Konzessionen oder
Berechtigungen zu Gewerben, von welcher Gattung
diese sein mögen, erteilen, durch welche ein Ex-
klusiv= oder gar Zwangs= und Bannrecht begrün-
det werden soll.“
Durchgreifendere Bestimmungen enthielt das
Edikt vom 2. Nov. 1810. Dasselbe hob jeden
Unterschied bezüglich des Gewerbebetriebs zwischen
Stadt und Land sowie alle bis dahin den Zünften
und Innungen oder einzelnen Privatpersonen zu-
gestandenen oder mit dem Besitze von Grundstücken
verbundenen Vorrechte auf und machte, lediglich
aus finanziellen Rücksichten, den gewerbsmäßigen
Betrieb des Handels, der Fabriken und Hand-
Gewerbe usfw.
692
werke, der Künste und Wissenschaften von der
Lösung eines Gewerbescheins, eines sog. Paten-
tes selbst für diejenigen abhängig, welche das
Meisterrecht erlangt hatten oder eine Konzession
besaßen.
Die einheitliche Gewerbeordnung für
Preußen vom 17. Jan. 1845 hielt zwar im
wesentlichen an den Prinzipien der Gewerbegesetz-
gebung des Jahres 1810 fest, suchte aber in den
Innungen eine neue, dem Gewerbewesen förderliche
korporative Organisation der Gewerbetreibenden
auf sittlicher Grundlage herbeizuführen. — Eine
weitgehende Beschränkung der Gewerbefreiheit im
Interesse der Erhaltung und Kräftigung des Hand-
werkerstandes brachte dann wieder die königliche
Verordnung vom 9. Febr. 1849 betreffend die
Errichtung von Gewerberäten und verschiedene
Abänderungen der allgemeinen Gewerbeordnung.
Durch sie wurde der selbständige handwerksmäßige
Gewerbebetrieb bei einer sehr großen Zahl von
Handwerksgewerben abhängig gemacht von der
Zugehörigkeit zu einer Innung nach vorherigem
Nachweise der Befähigung oder dem Nachweis der
Befähigung vor einer Prüfungskommission.
Nach dem deutsch-österreichischen Kriege kehrte
Preußen in den für die neuerworbenen Gebiete
erlassenen Verordnungen vom 29. März, 9. Aug.
und 23. Sept. 1837 zu dem Grundsatze der Ge-
werbefreiheit zurück, welchen Nassau, Bremen,
Sachsen, Oldenburg, Württemberg, Baden, Frank-
furt a. M., Braunschweig, Hamburg bereits früher
(seit 1860) zur Durchführung gebracht hatten,
während Bayern 1868 folgte.
Für das Deutsche Reich sind jetzt die recht-
lichen Verhältnisse des Gewerbes einheitlich durch
eine Gewerbeordnung geregelt. Bevor diese
hier einer Darstellung unterzogen wird, ist jedoch
der Hinweis notwendig, daß sich der heutige tech-
nisch-juristische Begriff des Gewerbes als Gegen-
stand der Gewerbegesetzgebung keineswegs mit der
oben gegebenen volkswirtschaftlichen Begriffsbe-
stimmung deckt. Der heutige Gewerbebegriff als
Gegenstand gesetzgeberischer Reglung hat sich auf
Grund des ursprünglichen Gegensatzes zwischen
„städtischer“ und „ländlicher“ Erwerbstätigkeit
herausgebildet, so daß Landwirtschaft, Jagd,
Fischerei, Forstwirtschaft und Bergbau, also die
sog. Urproduktion zwar nicht, wohl aber die
nur dem Güterumsatz dienenden Erwerbszweige,
Handel und Transportwesen, mehr oder weniger
auch Gegenstand der Gewerbegesetzgebung sind.
Daneben gibt es heute allerdings auch eine selb-
ständige Handelsgesetzgebung.
Den Ausgangspunkt der einheitlichen deutschen
Gewerbeordnung bildet der Artikel 3 der Reichs-
verfassung, wonach für ganz Deutschland ein ge-
meinsames Indigenat mit der Wirkung besteht,
daß der Angehörige eines jeden Bundesstaates in
jedem andern Bundesstaate als Inländer zu be-
handeln, demgemäß zum Gewerbebetrieb unter
denselben Voraussetzungen wie der Einheimische