Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

61 
zu begründen, führte Napoleon für seine Getreuen 
die Substitutionen (Majorate) wieder ein. 
Einige Bestimmungen des französischen 
Rechts erinnern an die alten (germanischen) Ge- 
wohnheitsrechte, sind jedoch entweder unwesentlich 
oder höchst eigentümlich angewandt. So heißt 
Erbe nur der gesetzlich berufene, eheliche Bluts- 
verwandte, und wer diesem rechtlich gleichsteht. 
Ein wenn auch aufs Ganze eingesetzter Dritter 
heißt nur lögataire; denn jede testamentarische 
Zuwendung ist nur Legat. Eine eigentümliche 
Anwendung hat das Fallrecht, das Stammgüter 
den Familien erhalten sollte, erfahren. Wenn keine 
Erben aus der ersten Klasse vorhanden sind, wird 
ohne Berücksichtigung weder der Natur noch des 
Ursprungs der Güter die Erbschaft in zwei Teile 
geteilt, wovon der eine den Verwandten von der 
väterlichen, der andere jenen von der mütterlichen 
Seite zufällt, so daß die späteren Klassen auf jeder 
Seite unabhängig voneinander berufen werden 
(Art. 732, 733). Vater oder Mutter müssen sich 
mit einer Hälfte der Erbschaft ihres Kindes be- 
gnügen, wenn es in der andern Linie Vettern im 
zwölften Grad hinterläßt. Verhältnismäßig spät 
wird der überlebende Ehegatte berufen. Die erb- 
lasserische Anordnung des Zusammenbleibens der 
Erben ist nicht gestattet; ein Vertrag der Erben, 
in indivision zu bleiben, kann nur auf fünf Jahre 
geschlossen, aber wieder erneuert werden. Testa- 
mentarische Verfügungen zugunsten von Spitälern, 
gemeinnützigen Anstalten, der Armen einer Ge- 
meinde bedürfen, um wirksam zu sein, einer obrig- 
keitlichen Genehmigung. An Stelle der Enterbungs- 
befugnis sind (wenige) gesetzliche Erbunwürdig- 
keitsgründe getreten (Art. 727, 728). 
Dem Erbrecht des Code werden zur Last gelegt: 
unzweckmäßige Teilungen, Bildung unfähiger 
Zwergwirtschaften, Unfähigkeit derselben, den einer 
Familie notwendigen Unterhalt zu liefern, und 
infolge davon die Aufsaugung durch bewegliches 
Kapital oder benachbarte große Besitzungen; bei 
stärkeren Familien Überlastung des Grundeigen- 
tums mit an die Geschwister zu zahlenden Erb- 
abfindungen und zu hohe Bewertung des Grund- 
eigentums. Die Sorge, welche der Eigentümer 
an dem wirtschaftlichen Gedeihen seines Besitztums 
nimmt, vermindere sich mit den Jahren, da die 
Hoffnung, daß dasselbe unter einem seiner Söhne 
gleichfalls ein einheitlich bewirtschaftetes Anwesen 
bilden werde, ausgeschlossen sei. Der Besitzer bleibe 
im Alter allein; die Erben richteten sich nicht darauf 
ein, die Bewirtschaftung des Erbes zu übernehmen. 
Der Erbgang werde in die Seitenlinien gedrängt, 
da die Geburtenziffer sich vermindere. Bezüglich 
der Reformvorschläge ist die Schule Le Plays 
(s. d. Art.) mit ihrem Wunsche nach Testierfreiheit 
zu nennen, während nach andern die Miterben an 
Stelle des Naturalanspruchs nur einen Geld- 
anspruch erhalten sollen. 
Beachtenswert ist die weite Verbreitung der 
Grundsätze des Coce: Belgien, Holland, Polen, 
Erbrecht. 
  
62 
Italien, Portugal, die französischen Kantone der 
Schweiz nebst St Gallen und Bern, Spanisch= 
Amerika, Louisiana; zur gemeinrechtlichen Gruppe 
gehören das Deutsche Reich, Osterreich, die Ostsee= 
provinzen, das griechische Reich und Malta. Eine 
Sonderstellung behaupten England und die Ver- 
einigten Staaten, deren Erbrechte das Pflichtteils- 
recht unbekannt ist. 
4. Geltendes Recht. Für das Deutsche Reich 
hat die Entwicklung des Erbrechts ihren einst- 
weiligen Abschluß mit dem B.G.B. gefunden; die 
Angriffe gegen das gesetzliche Erbrecht sind von 
ihm abgelehnt. Diese Angriffe hatten sich in erster 
Linie gegen die Blutsverwandtschaft als die Grund- 
lage des Erbrechts gerichtet. An ihrer Stelle sollte 
eine Erbfolge nach dem sozialen Zusammenhang 
des Erblassers mit den Überlebenden oder nach 
dem Anteile dieser an der Bildung des Vermögens 
des Erblassers oder statt der Erbfolge eine staat- 
liche Verteilung des durch den Todesfall herrenlos 
gewordenen Nachlasses nach seiner Substanz oder 
nur nach seinem Ertrag an diejenigen treten, welche 
im Interesse der Allgemeinwirtschaft den besten Ge- 
brauch von dem hinterbliebenen Vermögen machen 
würden. Nach dem von Bazard (gest. 1832) auf- 
gestellten vierten Prinzip sollte der Staat als Ver- 
treter der Gesellschaft Erbe werden, unter deren 
Schutz und Mitwirkung wie alles Vermögen so 
auch der Nachlaß erworben und erhalten worden 
war. Nach dem dritten Prinzip würden diejenigen 
Verwandten zu bevorzugen sein, die in der Wirt- 
schaft des Erblassers mittätig waren. Sind solche 
Erben nicht vorhanden, so soll unter Übergehung 
der Blutsverwandten der Staat oder die Gemeinde 
als Erbe eintreten. Dieses Prinzip, wie dasjenige 
des sozialen Zusammenhangs, wendet sich gegen 
die „lachenden Erben“, indem davon ausgegangen 
wird, das Interesse des Erblassers an seinen Ver- 
wandten beschränke sich auf einen engen Kreis der- 
selben, und es sei deshalb richtig, auch das Erbrecht 
auf diesen Verwandtenkreis zu beschränken und 
vor dem weiteren Verwandtenkreis den Staat oder 
die Gemeinde als Erben zu berufen. Es wird nur 
selten vorkommen, daß ein Erblasser nicht seine 
Frau oder Verwandte hinterlassen wird, die mit 
ihm in Beziehung geblieben sind. 
Das B.G. B. hat sich jedes Eingriffs in die Erb- 
folge der Blutsverwandten enthalten. Es unter- 
scheidet zwischen gesetzlicher Erbfolge (Verwandte, 
Ehegatte, nach ihnen Fiskus) und gewillkürter (durch 
einseitige Verfügung von Todes wegen oder Erb- 
vertrag). Dabei ist von ihm die gesetzliche Erbfolge 
vorangestellt, weil unterstellt wird, daß sie der Regel- 
fall sein und bleiben werde. Das Vermögen einer 
Person (Erbschaft) geht mit ihrem Tode (Erbfall) 
als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen 
(Erben) über. Der Vermögensübergang findet 
ohne Vermittlung einer als juristischen Person ge- 
dachten ruhenden Erbschaft statt. Die Erbschaft 
geht als Ganzes über, die Anteile der Miterben 
(Erbteile) sind Bruchteile am Nachlaß in seiner
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.