Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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stande in 195 (1905: 128) und ein Schiedsspruch 
in 38 (1905: 25) Fällen. 20 (1905: 164) Streit- 
sachen hatten kein Ergebnis. Bei den Schieds- 
sprüchen unterwarfen sich beide Teile in 29 (1905: 
14) Fällen, nur die Arbeitgeber in 3 Fällen, nur 
die Arbeiter in 4 (1905: 6) Fällen, kein Teil in 
2 Fällen. An Gutachten wurden 33 (1905: 30) 
agarben und Anträge im ganzen 8 (1905: 1) ge- 
ellt. 
Auch in sachlicher Beziehung kann die Recht- 
sprechung der Gewerbegerichte vollen Anspruch auf 
allgemeine Anerkennung erheben. In vielen Ge- 
werbegerichten pflegen alle Urteile einstimmig ge- 
fällt zu werden. Das Zusammenarbeiten von Ver- 
tretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber hat 
nirgends zu Schwierigkeiten geführt, ebensowenig 
hat ein Gegensatz zwischen den Vertretern der beiden 
Stände sich herausgebildet. Die Ausbildung des 
Rechts des gewerblichen Arbeitsvertrages ist durch 
die Rechtsprechung der Gewerbegerichte wesentlich 
gefördert worden. Die Wertschätzung der Ge- 
werbegerichte bei den Arbeitern hat sich stets ge- 
steigert, die Abneigung einzelner Kreise der Ar- 
beitgeber gegen sie sich rasch gemildert. Eine 
Tätigkeit der Gewerbegerichte als Einigungsamt 
bei Lohnstreitigkeiten ist in manchen Fällen mit 
Erfolg ins Leben getreten. Doch hat sich diese 
Tätigkeit, wenn sie auch augenscheinlich langsam 
zunimmt, bisher nicht ganz in der gehofften und 
erwünschten Weise entwickelt. Am wenigsten ent- 
Gewerbegerichte. 
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dung von Streitigkeiten zwischen Kaufleuten und 
ihren Gehilfen und Lehrlingen sind inzwischen be- 
reits Kaufmannsgerichte (ogl. diesen Art.) 
errichtet worden durch das Reichsgesetz vom 
6. Juli 1904. 
Die Innungsschiedsgerichte haben durch 
die Novelle zur Gewerbeordnung vom 26. Juli 
1897 („Innungsnovelle") 88 91, 91 a eine festere 
Gestalt erhalten, in manchen Beziehungen nach 
dem Muster der Gewerbegerichte. Sie können 
von allen Innungen errichtet werden, sowohl den 
freien als den Zwangsinnungen. Ihre Kompetenz 
wurde auf die Gesellen und Arbeiter des Hand- 
werks ausgedehnt. Sie bestehen aus einem Vor- 
sitzenden, den die Aufsichtsbehörde ernennt und 
der nicht der Innung anzugehören braucht, und 
mindestens je einem Meister und Gesellen. Doch 
wagte man nicht, ihre Sprüche für berufungsfrei 
zu erklären; binnen einem Monat kann gegen sie 
1 die Klage beim ordentlichen Gericht erhoben wer- 
den. Die bessere Ausgestaltung der Innungs- 
schiedsgerichte ist vielfach angefochten worden als 
den Gewerbegerichten Eintrag tuend. Doch war 
sie völlig gerechtfertigt. Die Innungsschiedsgerichte 
steigern den Nutzen der Gewerbegerichte als Stan- 
desgerichte dahin, daß nur Angehörige desselben 
Faches das Urteil finden. Sollen die Innungen 
volles Leben gewinnen, so sind eigene Gerichte für 
sie nicht zu entbehren. Neben den Innungsschieds- 
  
faltete sich bisher die Tätigkeit der Gewerbegerichte gerichten ist die Kompetenz der Innungen, durch 
in Gutachten und Anträgen; die Hoffnung, daß besonders zu bestellende Organe Streitigkeiten 
sich durch diese Tätigkeit die Gewerbegerichte zu zwischen Meistern und Lehrlingen zu schlichten, 
einer Art Gewerbekammern werden entwickeln kön= geblieben. 
nen, in denen zu Zwecken der Interessenvertre- 3. Andere Länder. — Österreich hatte 
tung Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichberechtigt ebenfalls im Anschluß an das Vorbild der fran- 
sind, hat sich nicht erfüllt. Der Wunsch nach Ge= zäösischen Gesetzgebung Gewerbegerichte eingeführt, 
werbekammern blieb daher rege. Für das Hand= und zwar schon durch ein Gesetz vom 14. Mai 
werk hat er inzwischen Erfüllung gefunden durch 1869, das aber nur für fabrikmäßige Betriebe 
die Gewerbeordnungsnovelle vom 30. Juni 1900. galt. Eine Fortbildung haben diese Gewerbe- 
Die Schaffung von Arbeitskammern enthält der gerichte gefunden durch das dem deutschen Reichs- 
soeben veröffentlichte Entwurf eines Gesetzes über gewerbegerichtsgesetz von 1890 nachgebildete Ge- 
Arbeitskammern. setz vom 27. Nov. 1896, betreffend die Einführung 
Die großen Vorteile des gewerbegerichtlichen von Gewerbegerichten und die Gerichtsbarkeit in 
Verfahrens und die gemachten guten Erfahrungen Streitigkeiten aus dem gewerblichen Arbeits-, 
haben inzwischen bei zahlreichen andern Kreisen Lehr= und Lohnverhältnisse (in Kraft seit 1. Juli 
der Bevölkerung den Wunsch erregt, ebenfalls dieser 189 8). Ihre Befugnisse sind dieselben wie die der 
Vorteile teilhaftig zu werden. Die zahlreichen deutschen Gewerbegerichte. Wer als Arbeiter zu 
Klagen von Dienstboten, welche fruchtlos bei den #gelten hat, ist gesetzlich festgelegt. Die sachliche 
Gewerbegerichten angebracht werden, zeigen das Zuständigkeit bestimmt sich nach Maßgabe der 
Bedürfnis einer Ausdehnung auf das Gesinde. Gewerbeordnung, erstreckt sich jedoch nicht auf 
Auch die Eisenbahnarbeiter wünschen dem Ge= Streitigkeiten zwischen dem Fiskus und den in 
werbegericht unterstellt zu werden. Petitionen, Betrieben der Militärverwaltung beschäftigten 
welche an den Reichstag gerichtet wurden, for= Arbeitern. Die Errichtung von Gewerbegerichten 
derten die Ausdehnung auf die kaufmännischen erfolgt im Einvernehmen mit den beteiligten Mini- 
Angestellten. Der Deutsche Landwirtschaftsrat ver= sterien durch justizministerielle Anordnung. Die 
langte im März 1895 in Berlin landwirtschaft- 
liche Schöffengerichte nach dem Muster der Ge- 
werbegerichte. Der Deutsche Seemannskongreß in 
Hamburg beantragte im Jan. 1899 Seeschöffen-- 
gerichte. Die Entwicklung für die Zukunft ist da- 
mit genügend vorgezeichnet. Für die Entschei- 
sochlichen Kosten tragen die Gemeinden, alle übrigen 
trägt der Staat. Das Gewerbegericht besteht aus 
einem Vorsitzenden und erforderlichenfalls einem 
Stellvertreter sowie aus mindestens zehn Beisitzern 
und den nötigen Ersatzmännern. Der Vorsitzende 
und sein Stellvertreter müssen für das Richteramt
	        
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