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eine gerechte Heranziehung zu gewinnen. Nicht
nur der wirkliche Ertrag, sondern auch der Um-
fang des Betriebes, wie er sich aus dem Betriebs-
kapital, aus der Anzahl der beschäftigten Arbeiter,
den gezahlten Löhnen und andern Verhältnissen
ergibt, wird in Betracht gezogen. Es ist aber selbst-
verständlich, daß diese Merkmale nur unter sonst
möglichst gleichartigen Betrieben gewisse Schlüsse
auf den Ertrag zulassen und auch bei sonstiger
Gleichartigkeit verschiedene Bedeutung haben, so
z. B. die Verschiedenheit von Stadt und Land
und die Größe der Städte. Wir finden daher
da, wo die Gewerbesteuer als Ertragssteuer be-
handelt wird, daß der Staat nicht unmittelbar
den einzelnen Gewerbebetrieb einschätzt, sondern
daß man klassenweise, nach Provinzen, nach
Städten, nach Kreisen, sozusagen Steuergesell-
schaften bildet, welche die Gesamtbeträge aufzu-
bringen haben und denen die Unterverteilung nach
möglichster Berücksichtigung der besondern Ver-
hältnisse im einzelnen mehr oder weniger selb-
ständig übertragen wird. — Man findet auch
mehrfach eine verhältnismäßig stärkere Heran-
ziehung solcher Gewerbe, deren zu große Aus-
dehnung man nicht begünstigen will, namentlich
des Schankgewerbes und der großkapitalistischen
Detailhandelsgeschäfte, der sog. Warenhäuser.
Außerdem wird der Gewerbebetrieb im Umher-
ziehen besondern Bestimmungen unterzogen.
In Preußen beruht die Besteuerung des Ge-
werbebetriebs auf dem Gesetz vom 24. Juni 1891.
Das Gesetz besteuert die in Preußen betriebenen
stehenden Gewerbe; besondere Steuergesetze bestehen
für den Gewerbebetrieb im Umherziehen (Gesetz
vom 3. Juli 1876) und den Wanderlagerbetrieb
(Gesetz vom 27. Febr. 1882). Es unterliegen der
Gewerbesteuer nicht: Land= und Forstwirtschaft
nebst dem mit derselben in unmittelbarem wirt-
schaftlichem Zusammenhang stehenden Gewerbe-
betriebe; ferner der Betrieb der Eisenbahnen, des
Bergbaues, die Ausübung amtlichen Berufs, wissen-
schaftlicher Tätigkeit usw. Es sind vier Gewerbe-
steuerklassen gebildet nach Maßgabe des jährlichen
Ertrages und des Betriebskapitals, so daß, wenn
in einer der beiden Grundlagen die entsprechende
Höhe erreicht wird, dann die Einweisung in die
betreffende Klasse erfolgt. Betriebe von einem ge-
ringeren Ertrage als 1500 M und einem geringeren
Kapital wie 3000 KM sind frei. Die I. Klasse (über
50 000 M Jahresertrag oder über 1 Mill. M Ge-
schäftskapital) wird nach Provinzen (und Stadt
Berlin) veranlagt durch Steuerausschüsse, welche zu
durch die Provinzialausschüsse (Berlin durch Ma-
gistratund Stadtverordnetenversammlung) gewählt,
zu ½ nebst dem Vorsitzenden vom Finanzminister
ernannt werden. Für die II. Klasse (20 000 bis
50 000 M bzw. 150 000—1 Mill. M) bilden die
Regierungsbezirke, für die III. (4000—20 000 M
bzw. 30 000—150 000 Ml) und IV. Klasse (1500
bis 4000 M bzw. 3000—30,000 M) die Kreise die
Veranlagungsbezirke. Die Steuerausschüsse werden
durch die Steuerpflichtigen gewählt; den Vorsitz
führt ein Kommissar der Regierung. Für jede Klasse
find die Mittelsätze gesetzlich normiert; danach und
nach der Zahl der Betriebe wird bestimmt, wie viel
Gewerbesteuer.
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jede Klasse in jedem Bezirke aufzubringen hat. Die
Steuerpflichtigen bilden bezirks= und klassenweise
Steuergesellschaften. Der Steuerausschuß verteilt
nun die Gesamtsumme unter die Pflichtigen. Dabei
soll 1%% des jährlichen Ertrages nicht überschritten
werden. Die Einschätzung erfolgt jährlich. Auf
Aufforderung ist der Gewerbetreibende verpflichtet,
anzugeben, ob der Ertrag seines Betriebes und sein
Betriebskapital die der Klasse entsprechende Höhe
erreicht oder nicht; weiter geht die Verpflichtung
nicht. — Für den Betrieb einer Gastwirtschaft,
Schankwirtschaft und den Kleinhandel mit Brannt-
wein oder Spiritus ist eine besondere Betriebs-
steuer eingeführt. Dieselbe wird neben der Ge-
werbesteuer gezahlt, aber auch von kleinen Betrieben
entrichtet, die von der Gewerbesteuer befreit sind;
sie steigt nach den Klassen der Gewerbesteuer. Diese
Zuschläge zur Gewerbesteuer betragen jährlich in den
Klassen I—IV je 100, 50, 25, 15 X und je 10 M,
wenn der Gewerbetreibende von der Gewerbesteuer
befreit ist.
Durch Gesetz vom 14. Juli 1893 wurde in Preu-
ßen die Gewerbesteuer mit den übrigen Ertrags-
steuern den Gemeinden überwiesen.
In Bayern (Gesetz vom 9. Juni 1899) um-
faßt die Gewerbesteuer alle Gewerbe und gewerbs-
mäßig ausgeübten Erwerbsarten einschließlich des
Bergbaues. Unter den steuerbaren Gewerben ist
nicht inbegriffen der Betrieb der Land= und Forst-
wirtschaft sowie der Jagd und Fischerei, soweit sich
diese Erwerbsarten auf die Gewinnung der bezüg-
lichen Produkte erstrecken. Auch der Verkauf der
eigenen Erzeugnisse der genannten Betriebe ist nicht
als steuerbares Gewerbe zu erachten. Für den Ge-
werbebetrieb im Umherziehen einschließlich der
Wanderlager gelten besondere Bestimmungen.
Nach der im Aug. 1908 veröffentlichten Vorlage
zur bayrischen Steuerreform, welche die Einführung
der allgemeinen Einkommensteuer beabsichtigt, da-
neben aber als Ergänzungssteuer das Ertragssteuer-
system, allerdings in abgeänderter Form, beibehalten
will, soll sich die Gewerbesteuer künftig aus Be-
triebskapitalanlage und Ertragsanlage zusammen-
setzen. Die erstere soll bis zu /2 /6 vom Wert des
Betriebskapitals, die letztere bis zu ½ % des
Reinertrages steigen. Man hofft durch die neue
Gliederung sowohl Gewerbe mit kleinem Betriebs-
kapital, aber schnellem Umsatz und großem Ertrag
als auch Gewerbe mit großem Betriebskapital und
kleinem Ertrag entsprechend zu treffen.
In Württemberg erfuhr die Gewerbesteuer
durch Gesetz vom 8. Aug. 1903 infolge Einführung
der allgemeinen Einkommensteuer eine Umgestal-
tung. Ihr unterworfen sind auch die Bergwerke und
Mineralbrunnen, die dinglichen und mit Gebäuden
zusammenhängenden Gewerbeberechtigungen, die
Erwerbs= und Wirtschaftsgenossenschaften, Privat-
eisenbahnen, Makler, Kommissionäre u. dgl. Der
Besteuerungsmaßstab wird durch das persönliche
Arbeitsverdienst des Gewerbetreibenden (10% bis
850 M, 20% bis 1700 , 40% bis 2250 U,
80 % bis 3400 37, darüber 100%) und den nach
Prozenten zu schätzenden Ertrag des nach seinem
mittleren Wert zu rechnenden gewerblichen Be-
triebskapitals gebildet. Für die Einschätzung kom-
men in Betracht Zahl und Gattung der Gehilfen,
Größe des Betriebskapitals, bei Handelsunterneh-
mungen von außergewöhnlichem Umfang (Waren-
häuser u. dgl.) auch der Größe der jährlichen Roh-