Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Die Durchführungsbestimmungen der letzten 
Zählung, für welche im Gegensatz zu den beiden 
früheren die zutreffendere Bezeichnung „Berufs- 
und Betriebszählung“ gewählt worden war, 
wurden auf Grund des Reichsgesetzes vom 25. März 
1907 und mit Bundesratsbeschluß vom 4. April 
1907 getroffen. Die Erhebung von 1907 ist so- 
wohl als Berufszählung wie als Gewerbezählung 
die bedeutendste und umfangreichste auf diesem 
bisher verhältnismäßig noch wenig erschlossenen 
Gebiete. Die Betriebszählung umfaßte die land- 
und forstwirtschaftlichen Betriebe einerseits, die 
Gewerbe-(Handels= und Verkehrs-betriebe ander- 
seits. Die Haushaltungsliste, die von jedem Haus- 
haltungsvorstand auszufüllen war, diente als Er- 
hebungsformular für die Berufszählung; gleich- 
zeitig war darin gefragt, ob vom Haushaltungs- 
vorstand oder einer andern Person seiner Haus- 
haltung selbständig als Unternehmer, Eigen- 
tümer, Pächter, Handwerksmeister oder sonstiger 
Geschäftsleiter, oder als Hausierer, Hausgewerbe- 
treibender oder Heimarbeiter ein Gewerbe, wenn 
auch nur im kleinsten Umfang oder nur als land- 
oder forstwirtschaftliches Rebengewerbe oder neben 
einem sonstigen Haupterwerb betrieben wurde. 
Wenn diese Frage bejaht wurde, so mußte ein Ge- 
werbebogen oder-formular ausgefüllt werden. 
Diejenigen Personen, die ein oder mehrere Ge- 
werbe, wenn auch nur zeitweise, mit mehr als drei 
Personen, einschließlich des Inhabers, oder mit 
Umtriebsmaschinen (Motoren), bewegt durch Wind, 
Wasser, Dampf, Gas, Elektrizität usw. betrieben, 
oder Motorwagen, Dampfkessel ohne Kraftüber- 
tragung, Lokomobilen, Dampfschiffe, Segelschiffe, 
Barkassen benutzten oder außerhalb ihrer Betriebs- 
stätte Personen beschäftigten, hatten für jedes der 
betriebenen Gewerbe einen Gewerbebogen, die 
übrigen ein Gewerbeformular auszufüllen. 
Durch die Gewerbezählung sollen vor allem 
zuverlässige Angaben über Zahl und Art der ver- 
schiedenen Gewerbebetriebe, der in ihnen beschäf- 
tigten Personen, der Motoren und Arbeitsmaschi- 
nen, über die Vereinigung verschiedener Gewerbs- 
zweige zu Gesamtbetrieben, die Vereinigung meh- 
rerer selbständiger Betriebe in der Hand eines 
Unternehmers usw. ermittelt werden. Die große 
Umwälzung, welche in dem gewerblichen und wirt- 
schaftlichen Leben Deutschlands in den letzten drei 
Jahrzehnten eingetreten ist, läßt sich an der Hand 
der Ergebnisse der einzelnen Gewerbezählungen 
zahlenmäßig verfolgen. Die Nachweise der 1895er 
Aufnahme und die Ausfschlüsse, welche sich daraus 
über das Anwachsen der Großbetriebe, über die 
Verdrängung und Entlastung der Handarbeit durch 
die Maschinenarbeit, sowie über die große Bedeu- 
tung der gesellschaftlichen Unternehmungen im ge- 
werblichen Leben ergaben, haben vielfach über- 
rascht, und in welchem Maße diese Entwicklung 
besonders seit 1895 wiederum weiter fortgeschritten 
ist, wird die 1907er Zählung im einzelnen dartun. 
Die gewerblichen Betriebe werden bei der Auf- 
  
Gewerbe= und Berufszählung. 
  
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bereitung des umfangreichen Materials nach den 
verschiedenen Gewerbearten geordnet, so daß die 
wirtschaftliche Entwicklung gerade der einzelnen 
Zweige der Industrie, des Handels und Verkehrs 
genau verfolgt werden kann. 
Die Zählung der land= und forstwirt- 
chaftlichen Betriebe soll Aufschluß bringen 
über die Verteilung und den Wert des Grund und 
Bodens, über die Art seiner Bewirtschaftung, das 
Verhältnis von Klein= und Großbetrieb, von 
eigener und Pachtwirtschaft, über die Zahl und 
Art der in den landwirtschaftlichen Betrieben be- 
schäftigten Personen, den Wehstand, die Benutzung 
landwirtschaftlicher Maschinen, die Verbindung 
der landwirtschaftlichen Betriebe mit gewerblichen 
Nebenbetrieben und endlich die Zugehörigkeit der 
Betriebsinhaber zu landwirtschaftlichen Versiche- 
rungen und Genossenschaften. Der große Wert 
dieser Aufnahmen liegt namentlich auch in dem 
Vergleich mit früher erhobenen Nachweisen, in- 
dem sich so über die Entwicklung der Land- 
und Forstwirtschaft der einzelnen Staaten und 
des Reiches im ganzen ein sicheres Urteil ge- 
winnen läßt. 
Eine methodisch richtig durchgeführte und zu- 
verlässig bearbeitete Berufs- und Betriebszählung 
gibt dem Staate und dem Volkswirte ähnliche 
Aufschlüsse wie dem Kaufmann und Gewerbe- 
treibenden eine geordnete Buchführung. Die im 
Laufe der nächsten Jahre vom Kaiserlichen Sta- 
tistischen Amt zu veröffentlichenden Nachweise über 
diese Erhebungen werden zeigen, daß in der Er- 
werbstätigkeit der Reichsbevölkerung innerhalb der 
letzten Zählungsperiode wiederum wesentliche Ver- 
schiebungen vor sich gegangen sind, und daß 
namentlich die „Industrialisierung des Reiches“ 
weitere erhebliche Fortschritte gemacht hat. 
Von außerdeutschen Ländern hat vor allem 
Osterreich auf Grund des Gesetzes vom 18. Jan. 
1902 und der Durchführungsverordnung vom 
25. März 1902 am 3. Juni 1902 inhaltlich nach 
Art der vorletzten deutschen Erhebung die erste 
allgemeine gewerbliche und landwirtschaftliche Be- 
triebszählung vorgenommen, da die diesbezüglichen 
Aufnahmen der Handelskammern bisher keine be- 
friedigenden Resultate geliefert hatten. In der 
Schweiz wurde am 9. Aug. 1905 eine eid- 
genössische Betriebszählung veranstaltet. In Bel- 
gien fand 1846 die erste Gewerbeaufnahme 
(gleichzeitig die erste überhaupt) in Verbindung 
mit einer Volks= und Landwirtschaftszählung statt. 
Nach mehreren Versuchen kam es dann zu der 
großen Gewerbezählung vom 31. Okt. 1896, mit 
welcher auch eine Ermittlung der Familien-, Ar- 
beits= und Lohnverhältnisse der Arbeiter verbunden 
wurde. In Frankreich suchte man nach mehreren, 
jeweils auf anderer Basis probierten Erhebungen 
1896 im Anschluß an die Volkszählung und die 
dabei gestellte Berufsfrage zu einer allgemeinen 
gewerblichen und landwirtschaftlichen Betriebs- 
statistik zu gelangen, die jedoch, was ihren Wert 
— 
 
	        
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