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der bischöflichen Behörde ernannter geistlicher
Präses. Die einzelnen Vereine sind nach Diö-
zesanverbänden gegliedert mit einem geistlichen
Diözesanpräses an der Spitze; der Diözesan-
verband teilt sich in Bezirksverbände. Die geist-
lichen Präsides halten regelmäßig Bezirks= bzw.
Diözesanversammlungen ab. Gleicherweise ver-
anstalten die Arbeiterdelegierten der einzelnen Ver-
eine jährlich mehrmals Bezirksdelegiertentage und
wenigstens einmal einen Diözesandelegiertentag.
Jeder Bezirk sucht nach Möglichkeit einen aus dem
Arbeiterstande hervorgegangenen Arbeitersekretär
freizustellen, der sich der Durchführung der Ver-
einsaufgaben im Hauptamte widmet. Die Diö-
zesanverbände haben sich fast sämtlich in drei großen
Landesverbänden zusammengeschlossen: Verband
katholischer Arbeitervereine Westdeutschlands, Ver-
band süddeutscher katholischer Arbeitervereine, Ver-
band der katholischen Arbeitervereine (Sitz Berlin).
Aie drei Verbände veranstalten alljährliche Dele-
giertenversammlungen. Während der Süd= und
Westdeutsche Verband die Reglung der Lohn= und
Arbeitsverhältnisse den christlichen Gewerkschaften
überweist, stellt der Verband (Sitz Berlin) sich
auch diese Aufgabe: „Die allen Arbeitern gemein-
samen religiös-sittlichen, sozialen und wirtschaft-
lichen Angelegenheiten vertritt der Arbeiterverein;
die besondern Interessen der einzelnen Berufe wer-
den dagegen durch die beruflichen Fachabteilungen
wahrgenommen, die integrierende Bestandteile des
Arbeitervereins sind; letztere halten den Streik
unter gewissen Voraussetzungen wohl für erlaubt,
verwerfen aber eine Praxis, die grundsätzlich und
demgemäß in letzter Linie die zwischen Arbeitgeber
und Arbeitnehmer entstehenden Rechtskonflikte im
Wege des wirtschaftlichen Machtkampfes zur Er-
ledigung bringen will.“ Vorläufer der katholi-
schen Arbeitervereine sind die Ende der 1860er
Jahre als Frucht der durch Bischof v. Ketteler
angeregten christlich-sozialen Bewegung entstan-
denen christlich-sozialen Vereine, hauptsächlich im
Rheinland und Westfalen verbreitet. Sie ver-
folgten vorwiegend religibs-sittliche, gesellige und
Unterstützungszwecke. Unter der Ungunst des Kul-
turkampfes verkümmerten sie. Anfang der 1880er
Jahre entfaltete der Verband Arbeiterwohl eine
systematische Propaganda für die Gründung ka-
tholischer Arbeitervereine. Diese mußten, um die
Arbeiter allmählich zur positiven sozialen Arbeit
zu erziehen, anknüpfen an die Pflege des religiös-
sittlichen Lebens, soziale Wohlfahrtspflege, Abwehr
der wachsenden sozialistischen Agitation. Anfang
der 1890er Jahre wich der auch auf den Arbeiter-
vereinen lastende Druck des Sozialistengesetzes;
zugleich wurde durch die in den Februarerlassen
inaugurierte Arbeiterschutzgesetzgebung das Inter-
esse ihrer Mitglieder an der Sozialreform lebhaft
angeregt. Der Mitte der 1890er Jahre eintretende
Stillstand der Sozialreform wies die Arbeiter auf
die gewerkschaftliche Selbsthilfe hin und löste bei
ihnen die Erkenntnis aus, daß an erster Stelle die
Gewerk= und Arbeitervereine.
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Selbstbetätigung der Arbeiter Voraussetzung der
Hebung ihrer Lage ist. Die zuerst im Ausbau
der christlichen Gewerkschaften betätigte Initiative
wandte sich bald auch der Betätigung im staats-
bürgerlichen Leben zu, und noch eher dem Ringen
nach Erhöhung der allgemeinen Bildung. Diese
allmähliche Entwicklung des innern Vereinslebens
konnte nur über mehrere Stufen langsam an-
steigen angesichts der von den Arbeitervereinen
vorgefundenen geistigen Verfassung der Arbeiter
und nicht minder der gesellschaftlichen, wirtschaft-
lichen und politischen Umwelt.
Insgesamt bestehen im Deutschen Reiche 2859
katholische Arbeitervereine mit 390 000 Mitgliedern.
Davon entfallen auf den Süddeutschen Verband
(Bayern, Württemberg, Baden) 872 Vereine mit
101 266 Mitgliedern, auf den Westdeutschen Ver-
band (Diözesanverbände Köln, Münster, Osna-
brück, Hildesheim, Kulm, Paderborn, Fulda, Lim-
burg, Mainz) 827 Vereine mit 155 678 Mitgliedern,
auf den Verband Sitz Berlin (Hauptverbreitungs-
gebiet Schlesien, Posen, Ermland, Eichsfeld, Dia-
spora der Diözese Paderborn und die Diözese Trier)
1060 Vereine mit 125 000 Mitgliedern. Ungefähr
100 Vereine find keinem Verbande angeschlossen.
2. Evangelische Arbeitervereine. Sie
entstanden 1882 im rheinisch= westfälischen In-
dustrierevier, verbreiteten sich seitdem in den meisten
Landesteilen. Ende 1908 umfaßte der Gesamt-
verband evangelischer Arbeitervereine Deutschlands
16 Landesverbände mit 570 Vereinen und 95648
Mitgliedern. Außerdem bestanden Verbände in
Bayern, Württemberg, Sachsen usw. mit 160 Ver-
einen und 33.000 Mitgliedern. Der Ausgangs-
punkt der Arbeitervereine war stärkere Betonung
des evangelischen Glaubens, Pflege des religiösen
Lebens, der Königstreue und der Vaterlandsliebe
im Gegensatze zur Sozialdemokratie. Von An-
fang an stand auch die soziale Frage im Vorder-
grunde. 1898 stellte der Gesamtverband ein seit-
dem vielfach erweitertes Programm sozialer Grund-
und Einzelforderungen auf (Arbeiterschutz, Koa-
litionsrecht usw.). Seit Ende der 1890er Jahre
nahm er auch Stellung zur Gewerkschaftsfrage.
1901 wurde den Mitgliedern der Anschluß an
Gewerkschaften „unter Ausschluß statutarisch oder
prinzipiell parteipolitischer Gewerkschaften“ emp-
sohlen. Die Mehrzahl der Vereine unterstützt die
christlichen Gewerkschaften, andere die Hirsch-
Dunckerschen. — Vielfach sind die Arbeitervereine
noch von Mitgliedern anderer Stände abhängig.
Dies hat vor allem die soziale Erziehung ihrer
Mitglieder zur Selbständigkeit und Selbstbetäti-
gung mehr oder weniger gelähmt, damit auch
ihren Einfluß auf die Arbeiterbewegung und im
staatsbürgerlichen Leben.
3. Sonstige Arbeitervereine. Neben
den großen Verbänden der katholischen und evan-
gelischen Arbeitervereine bestehen in einzelnen Lan-
desteilen seit längerer Zeit sog. Reichstreue Ar-
beitervereine, hauptsächlich zu geselligen und Unter-
stützungszwecken ohne sozialen Einschlag. Seit