Erobe
und durch sich selbst der unmittelbare und aus-
schließliche Entstehungsgrund des Eigentums.
Von der occupatio im Sinn der Landeroberung
sagten schon die alten Schriftsteller zur Zeit der
großen Entdeckungen und Erwerbungen in Amerika
und Ostindien (Francisco Vittoria, Dominico
Soto, Francisco Suarez): Neque jus occupandi
tam iuris esse duam merae facultatis videtur.
Sie ließen sich aber auch angelegen sein, die sitt-
liche Seite dieses Macht= und Kraftvermögens zu
beleuchten. Die von ihnen gegründete Schule erhob
späterhin unablässig Einspruch gegen den von
Baruch (Benedikt) Spinoza in materialistischer
Weltanschauung hingestellten Satz, ein jegliches
Ding habe nur so viel Recht, als es Macht hat,
und im Völkerrecht insbesondere sei das ubi vis,
ibi jus allein entscheidend. Man hielt dieser Be-
hauptung jene andere des Thomas von Aquin
entgegen: Ius gentium conditur vi ac ratione
naturae, und folgerte daraus, daß auch die Er-
oberung nur durch den sittlichen Gehalt der Er-
oberungshandlungen einen rechtlichen Charakter
annehmen könne. Diesen erblickte man bei der
Eroberung von Gebiet zunächst in der ehrlichen,
offenkundigen, nicht aber durch Trug, Gemüts-
hinterhalt oder Verrat bewerkstelligten unehrlichen
Bemächtigung einer Sache, einer beweglichen wie
einer unbeweglichen. Wie man an einem Schatz,
der in eigenem Grund und Boden verborgen liegt,
nicht das Eigentum erwirbt, solange man den-
selben noch nicht ausgegraben und sich seiner kör-
perlich bemächtigt hat; wie ein verfolgtes Tier
nicht früher das unfrige wird, als bis wir es wirk-
lich gefangen haben: also sei auch, lehrte man,
die Besitzerwerbung von unbeweglichem Gut, ob
es nun ein herrenloses oder ein fremder Herrschaft
unterworfenes ist, erst durch die Besitznehmung
geschehen und erstrecke sich dem Recht nach nur so
weit, als die wirkliche und körperliche Ergreifung
reicht. Die nominelle Okkupation erscheine daher
sowohl im Privatrecht wie im öffentlichen Recht
gleichermaßen verwerflich, aber auch die physische
Besitzergreifung erstrecke sich nicht weiter, als die
Macht reicht, dieselbe aufrecht zu erhalten.
2. Die Kriegseroberung ist nur eine
einzelne Gattung der Okkupation, folglich wie
diese ursprünglicher Eigentumserwerb durch ein-
seitige Besitzergreifung mittels eines körperlichen
Aktes wirklicher Bemächtigung. Die Beute wird
mit Unrecht als eine eigene völkerrechtliche Er-
werbsart bezeichnet; sie gehört zur Okkupation,
bezüglich deren man allerdings bewegliche und un-
bewegliche Sachen unterscheidet. Von ersteren
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handelt das Beuterecht, von letzteren das Recht
der Kriegseroberung. Zwar fehlte es in der älteren T
Literatur des Völkerrechts nicht an Meinungen,
welche die Kriegseroberung, wobei doch keines-
wegs eine eigentumefreie Sache zuerst erworben,
sondern nur die im Eigentum des Feindes bereits
befindliche Sache auf den Sieger übertragen wird,
den abgeleiteten Erwerbsarten beizählten. Gleich-
rung. 68
wohl hat diese Ansicht durch das positive Recht
eine Bestätigung nicht erfahren, und auch die be-
deutendsten unter den Völkerrechtslehrern der Ge-
genwart sind auf das nämliche Prinzip, welches
dem römischen Recht zugrunde liegt, zurück-
gekommen. Das römische Recht betrachtet nämlich
die Sache des Feindes grundsätzlich als wirklich
herrenlos, so zwar, daß es im Krieg weder Staats-
noch Privateigentum des Feindes achtet, daß also
nach demselben der Begriff des Eigentums durch
den Krieg aufgehoben erscheint und der Zustand
der Herrenlosigkeit an seine Stelle tritt. Item
bello capta eius fiunt, qui primus eorum pos-
sessionem nactus est (I. 1, § 1 D. de adgq.
vel. am. poss. 41, 2). Und hiermit stimmt auch
das heutige Völkerrecht mit der Einschränkung
überein, daß das zu Kriegszwecken nicht heran-
gezogene Privateigentum als herrenlos nicht be-
trachtet werden könne. Der Eroberer wird Ge-
bietsherr, soweit er das besetzte Gebiet tatsächlich
beherrscht, und handelt nach dem Grundsatz: Quse
res hostiles apud nos sunt, occupantium fiunt.
Diese Regel erlangte, zumal sie sich auch im alten
deutschen Recht (Sächs. Weichbild, Glosse zu
Art. II) vorfindet, öffentlich-rechtliche Geltung
und durch die Kriegsordnungen militärrechtliche
Bekräftigung.
Auch hinsichtlich der rechtlichen Erfordernisse der
Kriegseroberung als Mittel, Eigentum an erstrit-
tenen Sachen zu erwerben, herrschte im römischen,
germanischen und gemeinen Recht kein Gegensatz
der Meinungen. Es sind deren zwei: die Eigen-
schaft einer Sache des Feindes und die wirklich
erfolgte Okkupation derselben. Nur in einem
wahren Krieg, bestimmt das römische Recht, näm-
lich einem solchen, der durch eine rechtsförmliche
Kriegserklärung eröffnet wurde (bellum iustum),
kann durch bloße Okkupation wirkliches Eigentum
erworben werden. Dieses formale Kriterium des
wahren Krieges hat die Doktrin des kanonischen
Rechts, welcher sich auch Hugo Grotius zuneigt,
durch jenes des gerechten Krieges ersetzt, bei dem
es auf die innere Gerechtigkeit des Kriegsmotivs
ankommen sollte. Doch haben spätere Romanisten
und Publizisten (Böhmer, Lauterbach, Thibaut
u. a.) es vorgezogen, zur Grundauffassung des
römischen Rechts zurückzukehren und das Merk-
mal des bellum ijustum durch jenes des bellum
legitimum seu solenne zu umschreiben, nämlich
eines solchen Krieges, der von der obersten Kriegs-
herrlichkeit unternommen und durch die hierzu er-
mächtigten Streitkräfte geführt wird. Daß auch
die feierliche Kriegserklärung in neuerer Zeit nicht
mehr verlangt wird, sondern die Notorietät und
Effektivität der Kriegseröffnung genügt, liegt in
den veränderten Zeit= und Verkehrsverhältnissen
und wurde schon von Bynkershoek in einer eigenen
Abhandlung (Quaestiones iuris publici I. 1,
C. 2) nachgewiesen (s. d. Art. Krieg).
Was das zweite Erfordernis, die wirklich erfolgte
Okkupation der feindlichen Sachen, anbelangt, so