Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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lager geworden und die Fürsten Kriegsobersten; 
laut lärmt die Trommel auf allen Wegen und auf 
allen Stegen; an Flinten, Bajonetten, Kanonen 
ist kein Mangel; aber es wohnen nur physische 
Kräfte in dieser Höllenmaschine, und keine er- 
hebende Begeisterung naht dieser Werkstätte blin- 
der, lebloser Betriebsamkeit.“ Vom Papsttum 
aber schrieb Görres: „Der alte Felsen hat 15 Ellen 
hoch über die höchste Flut der neuen geistigen 
Überschwemmung herausgeragt, und der Altar 
des Neuen Bundes wird immer auf dieser Höhe 
stehen. . Rom wird fortdauernd für ganz 
Europa die Mitte und der Anknüpfungspunkt 
aller wiederbelebten religiösen Ideen sein.“ Weiter 
erschienen (1822) die Schriften „In Sachen der 
Rheinprovinz und in eigener Angelegenheit“ und 
„Die Heilige Allianz und die Völker auf dem 
Kongreß von Verona“. Diese Schriften zeigen 
den vollen und tief überzeugten Anschluß an die 
große Idee der Kirche, welchen schon der „Rhei- 
nische Merkur“ bei Verteidigung der Hierarchie 
vorbereitet hatte. 
Den Übergang zur theologischen und kirchlich- 
politischen Publizistik, vom Vorkämpfer für po- 
litische Ideale zum Vorkämpfer des Katholizismus 
in allen seinen Lebensäußerungen vollzog Görres 
durch ÜUbernahme der Mitarbeiterschaft an der von 
Räß und Weis in Mainz begründeten Zeitschrift 
„Der Katholik“, welcher gleich ihm das Heimat- 
recht in Deutschland entzogen worden war und die 
daher in Straßburg ihr Erscheinen fortsetzte. Gör- 
res widmete ihr während dreier Jahre seines Straß- 
burger Aufenthalts (1824/26) seine ganze Kraft. 
In dieser Zeit legte er auch die Fundamente zu 
seiner späteren Beschäftigung mit der christlichen 
Mogstik („Der hl. Franziskus von Assisi ein Trou- 
badour", 1826; „Emanuel Swedenborg, seine 
Visionen und sein Verhältnis zur Kirche“, 1827; 
beide auch im „Katholik"). 
Auf Sailers Verwendung wurde Görres von 
König Ludwig I. von Bayern die ehrenvolle Rück- 
kehr nach Deutschland als Professor für Geschichts- 
wissenschaft an der Universität in München im 
Herbst 1827 ermöglicht, ungeachtet der von 
Berlin aus erhobenen Schwierigkeiten. In der 
Hauptstadt Bayerns fand Görres einen umfassen- 
den fruchtbaren Wirkungskreis, den Höhepunkt 
seines Lebens und Ruhmes. Wie er ehedem in 
Heidelberg im Zentrum der romantischen und ger- 
manistischen Bewegung gestanden hatte, so wurde er 
in München bald Mittelpunkt der gesamten wissen- 
schaftlichen und kirchenpolitischen Erhebung für 
das katholische Deutschland. Im ersten Jahrzehnt 
des Münchener Aufenthalts bediente er sich außer 
seiner akademischen Lehrkanzel, für deren Hörer- 
kreis kein Raum ausreichend gefunden wurde, der 
Zeitschrift „Eos“ („Spiegel der Zeit“; „Gesichte 
des Sehers“; „Das deutsche Bedlam“, eine bittere 
Satire auf die Zustände Deutschlands). In 
Sachen der innern Politik Bayerns schrieb Görres 
„Sendbriefe an den Abgeordneten Freiherrn v. 
Görres. 
  
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Rottenhan über Geist und Inhalt der bayrischen 
Verfassung“ (1831), „Über die Kongregation in 
Bayern“ (1831) usw. Seine „Christliche Mystik“ 
(4de)gerschien 1836/44. Durch dieses Werk, dessen 
historische Unterlagen vielfach zweifelhaft sind und 
das auch nach der philosophisch-theologischen Seite 
ernste Bedenken erregt, wollte er in der „bösen 
Grubenwitterung“ der Glaubenslosigkeit „ein 
wenig mit Heiltum räuchern und etwas Luftzug 
machen“ und „den Jüngern des Materialismus 
und den Anhängern des Fleisches einmal ein an- 
deres Schauspiel, die Kreuzigung des Fleisches 
durch den eigenen Geist“, zeigen. Sepp erzählt, 
daß gleich der erste Band der Mystik dem Index 
verfallen sollte; König Ludwig von Bayern habe 
die Verweisung unter die verbotenen Bücher ab- 
gewandt. Unter Görres' Einfluß erstanden 1838 
die „Historisch-politischen Blätter“, jene 
Zeitschrift, von welcher seinerzeit Montalembert 
sagte, daß sie im katholischen Europa unstreitig 
den ersten Rang sich erworben habe. 
Im gleichen Jahr (1838) schrieb er zur Ver- 
teidigung des von der preußischen Regierung am 
20. Nov. 1837 auf der Festung Minden als Ge- 
fangenen internierten Erzbischofs Klemens August 
Freiherrn v. Droste zu Vischering den „Atha- 
nasius"“. In demselben richtete er herrliche Worte 
an das Volk seiner Heimat (die „Rheinbewohner 
und die andern zur Seite in den alten sassischen 
Marken"): „Euer Glaube, ihr habt wohl getan, 
euch um ihn zu sammeln; es gibt kein Band, 
das fester und sicherer und unlösbarer einigte 
denn dieses. Eure Urväter, die Franken, waren, 
als die andern deutschen Stämme entweder noch 
dem Heidentum anhingen oder alle insgesamt 
dem Arianismus sich zugewendet, die ersten, die 
zur katholischen Lehre sich bekannt; und von der 
Reformation nur an seinen Extremitäten berührt, 
ist der Stamm durch anderthalb Jahrtausende ihr 
unverbrüchlich treu geblieben, und seine Physio- 
gnomie wird wesentlich davon bedingt. So hat 
diese sich auch jetzt an euch kundgegeben, und ihr 
habt den Früheren euch angeschlossen, um die 
Überlieferung des Empfangenen weiter in die Zu- 
kunft hinauszuführen. Laßt in der begonnenen 
Bewegung euch nicht irremachen; denn ihr seid 
in eurem guten Recht. Eure Art und euer eigen- 
tümlich Wesen in allen andern Dingen, die sonst 
noch wert sind, daß der Mensch nach ihnen strebe, 
laßt sie euch nicht rauben noch verfälschen, bildet 
sie vielmehr fort in eurer Weise und laßt die 
andern auf ihren Wegen gehen. Euer Stamm 
ist einer der Kernstämme des deutschen Volkes; er 
darf nicht verloren gehen, sondern muß sich andern 
Zeiten aufbewahren, wo das jetzige Konfusorium 
vorübergegangen und in einer besseren Ordnung 
der Dinge jedes seine rechte Stelle findet. Stoßt 
daher von euch aus, was eurem Naturell ungemäß, 
ihm von außen angeflogen, und eignet euch dafür 
alles an, was ihm entsprechend, es zu nähren, zu 
erhalten und zu stärken dienstsam ist. Wehrt mit
	        
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