Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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militaristischen Propaganda mit chauvinistischem 
inschlag. 
Damit wendet sich der Blick zu den auswär- 
tigen Beziehungen Englands. Diese nahmen bald 
nach der Thronbesteigung Eduards VII. neue 
Formen an. Mit dieser Persönlichkeit kam ein 
Element in die europäische und in die Weltpolitik 
hinein, das, Englands Prestige zwar stets zunächst 
ins Auge fassend, doch daneben, zunächst ohne 
greifbare Vorteile, Neigungen freundlicher und 
uUnfreundlicher Art zu befriedigen suchte, wo- 
mit allerdings auch immer die Schaffung einer 
England günstigen Atmosphäre verbunden war. 
Die Sympathien für Frankreich brachten die 
„ständige Entente" mit diesem Lande zustande, 
so ernstlich kurz vorher noch die Spannung wegen 
afrikanischer Fragen gewesen war. Freie Hand 
für England in Agypten war der Lohn, während 
Frankreich in Marokko, wo England ihm freie 
Hand ließ, zunächst noch nicht nach Wunsch schalten 
und walten konnte. Italien wurde vermocht, sein 
Verhältnis innerhalb des Dreibundes praktisch 
möglichst frei zu gestalten, und in ein Mittelmeer- 
abkommen hineinbezogen, dem ein weiteres eng- 
lisch-französisch-spanisches Abkommen betreffs der 
Großbritannien. 
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England die Aussicht eröffnete, die mohamme- 
danische Welt als günstigen Faktor in seine Welt- 
politik einzureihen. 
Deutschland und den Dreibund matt zu setzen, 
erschien durchweg als das eigentliche Ziel der per- 
sönlichen Politik des englischen Königs; hierdurch 
ermutigt wie auch durch die Besorgnisse vor wei- 
terer Beschränkung des englischen Handels durch 
den deutschen Wettbewerb angestachelt, leiteten 
chauvinistische Kreise Englands in Presse und 
Versammlungen eine deutschfeindliche Hetze ein, die 
ihre Nachklänge auch im Parlament fand und sich 
vor allem auf die Flottenbauten Deutschlands be- 
rief, um zu beweisen, daß diese Macht einen An- 
griff gegen England plane, dem England durch 
Angriff zuvorkommen müsse. Noch 1902 sahen 
sich die Dinge versöhnlich an, als deutsche Bürger- 
meister und der Deutsche Kaiser zu Besuch erschie- 
nen; es wurde sogar die Möglichkeit eines deutsch- 
englischen Bündnisses erörtert. Damals gingen 
England und Deutschland auch einträchtig gegen 
Venezuela vor. Später wurden weitere Ver- 
söhnungsbesuche zwischen beiden Ländern aus- 
getauscht; jedoch bei allem guten Willen der dazu 
treibenden Persönlichkeiten blieb die Spannung 
  
benachbarten Teile des Atlantischen Ozeans ent= bestehen, die einerseits in der sichtlichen Entfrem- 
sprach. Später kam ein Nordseeabkommen hinzu, dung der Höfe zum Ausdruck kam, anderseits eine 
dessen Bestimmungen hauptsächlich die kleineren solche Verteilung der unter Hochdruck vermehrten 
beteiligten Mächte beruhigen sollten. Das Ver= englischen Flotte herbeiführte, daß die Spitze dieser 
hältnis Englands zu Rußland schlug von 1903 Maßnahme deutlich als gegen Deutschland ge- 
bis 1905 vollständig um. Hatte England zum richtet erschien. Das gelegentliche Nachlassen der 
Erstaunen der kaukasischen und zur Genugtuung Spannung, das auch eine wenigstens äußerliche 
der mongolisch-malayischen Welt mit dem auf= Annäherung der Höfe zu bestätigen schien, war 
strebenden Japan ein Bündnis geschlossen, dessen nicht von Dauer, und auch die auf eine Verstän- 
Spitze vor allem gegen Rußland und dessen fern= digung der beiden Länder über ihre Rüstungen zur 
asiatische Politik gekehrt war und das Japan die See gerichteten Bemühungen hatten keinen Erfolg. 
Auseinandersetzung in der Mandschurei ermög- II. Flächenraum, Bevölkierung. Das bri- 
lichte, inzwischen auch England das Vordringen tische Reich ist an Ausdehnung und Ein- 
nach Tibet erleichterte, so benutzte England die wohnerzahl das gewaltigste, das die Welt je 
russische Niederlage nicht zu weiterer Benachteili= gesehen hat. Es umfaßt außer dem Vereinigten 
gung des Zarenreiches, sondern zu Annäherungs= Königreich noch das Kaisertum Indien sowie „Ko- 
versuchen. Diese wurden zunächst unter Verken= lonien, Schutzstaaten und Dependenzen“ in allen 
nung der neuen Verhältnisse Rußlands auf Erdteilen mit einem Gesamtareal von 29556200 
Grundlage der vermeintlichen neuen Parlaments= qkm und einer Bevölkerung von 396 871.000 
herrschaft in diesem Lande unternommen; später Einwohnern. Zu dem Vereinigten Königreiche, 
fand man den richtigen Weg und brachte ein Ab- . 
kommen bezüglich der beiderseitigen asiatischen Be- 
sitzungen sowie Persiens und der Türkei zustande 
(Besuch in Reval). Was die Türkei angeht, so 
zeigte die englische Politik sich dieser so feindlich 
wie denkbar; ein englisches Komitee schützte und 
schürte sogar die revolutionäre Bewegung in Ma- 
zedonien, während Akaba am Roten Meere mit 
Gewalt fortgenommen wurde. England arbeitete 
auf die Auflösung der Türkei hin, um so mehr, 
als der Sultan Deutschland zu bevorzugen schien. 
Dann erfolgte, sehr wahrscheinlich infolge ge- 
heimer englischer Einflüsse und Schutzverspre- 
chungen, der Umschwung in der Türkei, welcher, 
anders als in Rußland, das alte System mit dem 
Sultan an der Spitze matt setzte und nun für 
welches England mit Wales, Schottland und Ir- 
land begreift, rechnet man auch die Insel Man 
und die Normannischen Inseln, die gewöhnlich 
unter dem Namen „Inseln in den britischen Ge- 
wässern“ zusammengefaßt werden. Nach der Zäh- 
lung vom 1. April 1901 verteilte sich hier die Be- 
völkerung wie folgt: 
  
  
  
  
Lanoes. Areal Verölkerung am 1. April 1901 Auf 1 
teile akm mannlich weiblich zusammen akm 
England u. 
Wales 151 015 15 728 613 16 799 230 32527 843 215 
Schottland 78748 2173755, 2298348 4 472 103 56 
Irland 83792 2200 040 2258 735 4458 775. 53 
Insel Man 588 25 496 29256 54752 93 
Kanalinseln 196, 435 080 50 538. 95 618 489 
  
  
Summe 314 339 20 172 984 21 436 107 41 609 091, 132
	        
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