Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Chancery, hatte. Durch die Judicature Act 
1873 trat eine Fusion mit den übrigen Gerichten 
ein, und die COommon Law-Gerichte haben jetzt 
die Befugnis, Rechtswohltaten zu gewähren, die 
früher nur an den Equity-Gerichten erteilt wer- 
den konnten. Rechtsquelle sind ferner auch die 
früheren Entscheidungen der höheren Gerichte in 
ähnlichen Fällen; so ist das Haus der Lords und 
der Court of appeal an seine früheren Entschei- 
dungen gebunden, die niederen Tribunale an die 
der Obergerichte. In kirchlichen und Admirali- 
tätsgerichten kommt außerdem das kanonische und 
römische Zivilrecht zur Anwendung. Die Rechts- 
pflege ist weitschweifig, schwerfällig und kostspielig; 
es fehlt an einem einheitlichen Justizministerium 
und einem einheitlichen Appellhof für das gesamte 
britische Reich. Mangelhaft ist auch die Vorbil- 
dung der praktischen Juristen in den Juristen- 
innungen (Inns of court). Die obersten Revi- 
sionsinstanzen des Königreiches sind das Haus der 
Lords („Gerichtskammer der Lords“, in der Praxis 
diejenigen Peers, die ein höheres Richteramt beklei- 
det haben oder bekleiden) und das Gerichtskomitee 
des Geheimen Rates. Außerdem bestehen für jedes 
der drei Reiche oberste Landesgerichtshöfe, deren 
Mitglieder nur auf ein von beiden Häusern ge- 
meinsam an den König gerichtetes Gesuch abgesetzt 
werden können. Der oberste Gerichtshof für Eng- 
land und Wales (Supreme court of judicature) 
in London setzt sich zusammen aus dem Appel- 
lationsgerichtshof (Court of appeal; für Zivil- 
und seit 1908 auch für Strafsachen) und dem 
Hohen Justizhof (High court of justice) in 
drei Abteilungen: das Kanzleigericht (Chancery). 
division) für Erbschaftsteilungen, Vormund- 
schaftssachen u. a.; die Abteilung der Königlichen 
Bank (Kings bench division) für Straf= und 
Zivilsachen, mit dem das frühere Zivilgericht 
(Common pleas division) und das Schatz- 
kammergericht (Exchequer division), besonders 
für Zivilsachen, vereinigt wurden, ferner die Pro- 
bate, Divorce and Admiralty division für 
Testaments-, Ehescheidungs= und Marinesachen. 
Der Lordkanzler ist der Präsident des Appellations- 
gerichtshofes und der Chancery division. Höhere 
Tribunale in England und Wales sind außerdem 
noch: der Hohe Bankrottgerichtshof, Archescourt 
(Gerichtshof für anglikanisch-kirchliche Angelegen- 
heiten), Duchy court of Lancaster (Gerichts- 
hof für das Herzogtum Lancaster), das Ständige 
Komitee der County court judges, der Zentral- 
kriminalgerichtshof für London und in besondern 
Fällen auch für ganz England und Wales. 
Zur Aburteilung von schweren Kriminal= und 
Zivilsachen machen Richter des Hohen Gerichts- 
hofes zwei= bis dreimal jährlich Rundreisen (cir- 
cuits) in 59 Städten von England und Wales, 
um daselbst Gerichtssitzungen („Assisengerichte") 
abzuhalten. In der Provinz bestehen für Zivil- 
prozesse die County courts (Grafschaftsgerichte; 
in England und Wales 57, in Irland 22), deren 
  
Großbritannien. 
  
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Kompetenz immer mehr zunimmt, und für Krimi- 
nalprozesse derselben Gattung die Quarter und 
Petty sessions der Friedensrichter (s. oben) und 
die Polizeigerichte. Schottland besitzt in Edin- 
burgh einen Hohen Gerichtshof (High court of 
justiciary) für Kriminal= und einen Court of 
session (Obergericht) für Zivilsachen; außerdem 
in jeder Grafschaft ein Kriminal= und Zivilgericht 
der Sheriffs, die juristische Bildung haben müssen 
(Sherifk court). Die Gerichtsverfassung Irlands 
ist ganz der von England nachgebildet, jedoch ent- 
scheiden die County courts hier in Kriminal= und 
Zivilsachen. Eine Staatsanwaltschaft in unserem 
Sinn mit dem Anklagemonopol kennt das eng- 
lische Recht nicht; es gilt das System der Privat- 
klage. Nur in besondern Fällen tritt der unter 
dem Attorney General stehende Solicitor of 
the treasur)y in Tätigkeit, oder die Krone erhebt, 
wenn ein zweifellos öffentliches Interesse vorliegt, 
durch einen der beiden Kronanwälte Klage. 
IV. Religion und Anuterricht. Großbri- 
tannien besitzt zwei Staatskirchen: die bi- 
schöflich-protestantische in England (Established 
church) und die presbyterianische in Schottland 
(the church of Scotland); Irland ist seit der 
Entstaatlichung der bischöflichen Kirche von dem 
offiziellen Kirchentum befreit. Obwohl nach der 
Verfassung alle Bürger ohne Rücksicht auf ihr 
Glaubensbekenntnis politisch gleichberechtigt sind 
(einige der höchsten Staatsämter sind den Katho- 
liken und Nicht-Anglikanern noch verschlossen; 
ebenso sind rechtlich, wenn auch nicht faktisch, alle 
katholischen Männerorden untersagt und die Ver- 
gabungen an sie ungesetzlich), befinden sich die sog. 
Staatskirchen doch allein im Besitze der Einkünfte 
der reichen Kirchengüter (1905 an 110 Mill. M), 
die nach der Forderung der Dissenters National- 
eigentum sein sollten, wie dies in Irland bereits 
der Fall ist. 
Die katholische Kirche erhielt sich trotz 
aller Verfolgung sogar in England, besonders in 
Vork und Lancaster. Gregor XV. machte England 
zu einem Apostolischen Vikariat, Innozenz XI. 
bildete 30. Jan. 1688 daraus vier Vikariate; 
Gregor XVI. verdoppelte am 3. Juli 1840 ihre 
Zahl auf acht. Am 29. Sept. 1850 stellte 
Pius IX. durch die Bulle Universalis Eccle- 
siae die katholische Hierarchie in England und 
Wales mit 12 Bischöfen unter dem Erzbischof 
von Westminster wieder her. Gegenwärtig zählt 
die Kirchenprovinz Westminster 15 Suffragan- 
bischöfe, 1907 an 1 6880000 Katholiken, 3443 
Priestern (davon 1293 Ordensleute), 2071 Kirchen 
und Kapellen. Die 1655 katholischen Elementar- 
schulen zählten 309 536 Schüler. Daneben be- 
standen noch 52 Knabenkonvikte, 208 Mädchen- 
pensionate, 85 Waisenhäuser, 17 Hospitäler und 
107 andere konfessionelle Institute. — In Schott- 
land bestand seit 1633 eine Apostolische Präfektur, 
seit 1694 ein Apostolisches Vikariat, dem Bene- 
dikt XII. 1727 ein zweites und Leo XII. 1827
	        
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