Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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noch gegenwärtig jährlich durch die Army Act 
bei Beginn der Session ausgesprochen werden. In 
Kriegszeiten wurden größere Heere immer eigens 
geschaffen. Die Ergänzung erfolgte nicht durch all- 
gemeine Wehrpflicht, sondern durch Werbung. 
Die Erfahrungen im Krimkriege usw. drängten 
zu Reformen, die Gladstone 1871 durch Beseiti- 
gung des Kaufes und Verkaufes der Offiziers- 
stellen einleitete. Seit dem Burenkriege ist die 
Armeefrage eine brennende geworden. Sowohl 
Konservative wie Liberale haben erkannt, daß die 
militärische Organisation Englands eine weitere 
Ausbildung erfahren müsse. Während aber Lord 
Roberts eine Territorialarmee von 1—2 Mil- 
lionen Mann schaffen wollte, die eine beruhigende 
Gewähr bieten soll gegen die wachsende Furcht 
vor einer fremden Invasion der britischen Inseln, 
hatte der Kriegsminister weit bescheidenere Vor- 
schläge gemacht, die zwar den Grundsatz der frei- 
willigen Heerespflicht festhielten, aber doch eine grö- 
ßere Schlagfertigkeit der Armee gewährleisten soll- 
ten; in ihren Grundzügen wurden diese Vorschläge 
angenommen. Durch das Territorial Army- 
Gesetz von 1907 sind die militärischen Streitkräfte 
in Feld= und Territorialarmee geteilt. Die Feld- 
armee ist zum Dienst außerhalb des Vereinigten 
Königreiches bestimmt und setzt sich zusammen aus 
dem stehenden Heer, einer eigenen Reserve und 
einer Spezialreserve. Die Ergänzung erfolgt nur 
durch freiwillige Rekrutierung. Die Dienstpflicht 
beträgt nach dem Army Act von 1879 und spä- 
teren Bestimmungen 12 Jahre, von denen bei der 
Infanterie 5 (Kavallerie 4) in der Reserve ab- 
geleistet werden können. Jeder Mann von guter 
Führung kann sich auf 21 Jahre verpflichten, 
wodurch er Anspruch auf Pension erhält. Die 
gewöhnliche Dienstzeit eines Bataillons oder einer 
Batterie in Indien und den Kolonien beträgt 
10 Jahre. Die Spezialreserve ist der früheren 
Miliz (in der jedermann vom 18. bis 45. Lebens- 
jahr dienen sollte, während in Wirklichkeit die Er- 
gänzung durch freiwilligen Eintritt erfolgte) ent- 
nommen, von deren 124 Bataillonen 74 in Re- 
servebataillone umgewandelt wurden. Die in 
Divisionen und Brigaden formierte Territorial= 
armee ist zur Verteidigung des Vereinigten König- 
reiches bestimmt; sie enthält die vormaligen Frei- 
willigen und die Meomanry (berittene Miliz), die 
ihre Pferde selbst stellt und nur mit ihrer Zu- 
stimmung außerhalb Großbritanniens verwendet 
werden kann. Die erste Dienstverpflichtung gilt 
für 4 Jahre und kann bis zu 40 Jahren immer 
wieder auf weitere 4 Jahre freiwillig verlängert 
werden. Die Ansprüche im Dienst sind gegen 
früher erhöht, die Truppen stehen während ihrer 
Übungen (jährlich 15 Tage in Brigaden) unter 
dem Militärgesetz. Die Aushebung, Ergänzung 
und finanzielle Verwaltung der Territorialarmee 
ist „Grafschaftsvereinen (County Asscciations) 
anvertraut, die ihr eigenes Budget haben; ihre 
Mitglieder werden teils vom Armeerat ernannt, 
Großbritannien. 
  
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teils von den slädtischen und Grafschaftsbehörden 
gewählt; Präsident ist der Lordleutnant der Graf- 
schaft. Die Ausübung der militärischen Disziplin 
bleibt bei der Armeeverwaltung. — An der Spitze 
der Armee steht der Kriegsminister, dem ein Heeres- 
rat (Armeerat) zur Seite steht. Dieser besteht außer 
dem Kriegsminister aus dem Chef des (1906 nach 
deutschem Muster) eingerichteten Generalstabs, dem 
Generaladjutanten, dem Generalquartiermeister, 
dem Generalfeldzeugmeister, dem Parlaments- 
untersekretär, einem Finanzsekretär und einem 
Sekretär. Der Posten eines Höchstkommandieren- 
den der Armee ist abgeschafft und dafür der eines 
Generalinspektors der Armee und Präsidenten des 
Selection Board (Offiziersauswahl) eingerichtet 
worden. Ferner wurde das Land in 8 Oberkom- 
mandos eingeteilt, die in 13 Regimentsdistrikts- 
gruppen und 67 Regimentsverwaltungsdistrikte 
(47 in England, 3 in Wales, 9 in Schottland 
und 8 in Irland) zerfallen. Jeder der letzteren 
hat den Ersatz für ein Infanterieregiment und 1 
bis 3 Armeereservebataillone zu stellen und bildet 
ferner ein Depot zur Ausbildung von Rekruten 
der stehenden Armee und der Miliz sowie zur 
Kontrolle der Reserven und der Freiwilligenkorps 
der betreffenden Grasschaften. Die Gardeinfanterie 
und die 8 Schützen-(Rifles-BBataillone, die aus 
dem ganzen Königreich ergänzt werden, sind keinem 
Distrikt zugeteilt; für die Kavallerie und Artillerie 
bestehen besondere Bezirke. Die Heeresstärke soll 
1908/09 betragen: 1036734 Mannmit 139163 
Pferden und 1620 Geschützen. Davon stehendes 
Heer 238794 Mann und 11742 Pferde; Re- 
serde 142 000 Mann und 2000 Offiziere; Spe- 
zialreservde 3655 Offiziere, 79441 Mann 
(Feldarmee insgesamt 477632 Offiziere und 
Mann), Territorialarmee 11 498 Offiziere, 
302984 Mann, Indische Armee 9370 Offiziere, 
153000 Mann, ihre Reserve 2600 Offiziere, 
79650 Mann. Nich eingerechnet sind dabei an 
600 Offiziere, die von ihren Regimentern ab- 
kommandiert, in der ägyptischen Eingebornenarmee, 
bei den eingebornen Kolonialtruppen in West= und 
Ostafrika und in der südafrikanischen Grenzpolizei 
dienen, sowie 38000 Mann (Eingeborne und 
südafrikanische Grenzpolizei), die unter dem Ko- 
lonialamt stehen. 
Die Mobilmachung und Kriegsformation sind 
verschieden, je nachdem es sich um die Landes- 
verteidigung oder um einen auswärtigen Krieg 
handelt. Zur Verwendung außer Landes ist die 
Bildung von 4 Kapvalleriebrigaden, 6 Infanterie- 
divisionen in Aussicht genommen, die mit Artil- 
lerie, Etappentruppen usw. zusammen 5500 Of- 
fiziere und 154 000 Mann zählen sollen; ferner 
zum Zweck der Landesverteidigung die Aufstellung 
von Besatzungs= und Festungstruppen (Milizen, 
Freiwillige usw.), zum Besatzungsdienst in den 
größeren Städten und von Ersatztruppen: 140 000 
Mann Infanterie, 20 000 Mann Artillerie, 8000 
Mann Kavallerie (Yeomanry). — Eigentliche
	        
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