Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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wendungen zur Wahrheit des großen Denkers keine 
Rechnung trug, fälschte man das historische Urteil 
über ihn und die Wahrheit über seine wissenschaft- 
liche Bedeutung. Letztere beruht eben darin, daß 
Grotius in der Anerkennung des obersten Moral- 
prinzips auf dem festen Boden blieb, der seinem 
ganzen Denken jene Universalität und jene Über- 
legenheit lieh, welche ihn vor dem Herabsinken in 
die trübe Flut des Rationalismus bewahrt haben. 
Wenn stoizistische, deistische, christliche Ideen, wie 
Zeit und Lebensumstände sie ihm aufdrängten, 
ihn hinderten an der Zustimmung zur theologischen 
Lösung der Welt= und Lebensprobleme, so fuhrt 
sein gesunder Sinn ihn immer wieder zu ihnen 
zurück. Sein wissenschaftliches Schwanken erklärt 
sich aus den oben charakterisierten Einflüssen, welche 
ihn einerseits zur Emanzipation von Vernunft 
und Gewissen in Sachen des Rechts wie der Re- 
ligion drängten, während anderseits die Geradheit 
und Tiefe seines Geistes, sein rechtlicher Charakter 
und seine Lebensanschauungen, kurz, sein christ- 
liches Genie ihn in den Grenzen der Autorität 
festhielten. 
Sein Hauptwerk, De jure belli et pacis, erschien 
seit 1625 (s. oben) in immer neuen Ausgaben, so 
von Cocceji (4 Bde, Breslau 1744/48) mit Noten, 
von Hamaker (Haag 1869), deutsch von v. Kirch- 
mann in der „Philosophischen Bibliothek“ XV u. 
XVI (1869/70). Die oben erwähnte Schrift Mare 
liberum ist ein Teil der erst 1864 aufgefundenen, 
1868 von Hamaker hrsg. größeren Schrift De iure 
praedae. Unter seinen theolog. Schriften, deren 
Sammlung wir seinem Sohn Pieter de Groot ver- 
danken (Opera theologica, 4 Bde, Amsterd. 1679), 
sei auf die viel gelesene und bis heute geschätzte De 
veritate religionis christianae (ebd. 1662, deutsch 
von Hohl, Chemnitz 1768) aufmerksam gemacht; 
sie spiegelt am besten seinen tiefen religiösen Sinn 
und seine Liebe zum Christentum als dasjenige, 
was allein dem Menschen Ruhe, Trost und Lebens- 
freudigkeit hienieden und Licht in der Dunkelheit 
der unendlichen Zukunft zu geben vermag. Als 
er in seiner Schrift „Üüber den Antichrist“ nachwies, 
daß unter demselben nicht notwendig der Papst zu 
verstehen sei, trennten sich manche seiner Freunde, 
wie Vossius und Salmasius, von ihm, was ihn 
nicht hinderte, der Wahrheit die Ehre zu geben. 
Der große Dogmatiker P. Petavius S. J. sprach 
nach langjähriger Freundschaft mit ihm die über- 
zeugung aus, nur der schnelle Tod habe seine Kon- 
version verhindert. Über seine vielen histor., philo- 
log., philosoph., poet. Werke sowie die für die Zeit- 
geschichte überaus wichtigen Briefsammlungen 
(1687, 1806, 1809 und 1829) vgl. die Biographie 
universelle XVII 616 f. 
über die ältere biograph. Lit. vgl. Ompteda, 
Literatur des Völkerrechts I (Regensb. 1785) 180 ff. 
Zu den späteren Biographien von Luden (1805), 
Butler (Lond. 1826), de Vries (Amsterd. 1827) 
vgl. über seine Rechtsphilosophie die Darstellung 
von Hartenstein (1850), Caumont (Par. 1862), 
Fruin (Utrecht 1871), Hely (Par. 1875), Perin, 
L'Ordre international (ebd. 1885), über seinen 
Katholizismus Broere (deutsch 1871) und Diest 
(Groningen 1857). Dazu die neuesten Arbeiten von 
Grundbesitz. 
  
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Vorsterman van Oijen, Hugo de Groot en 2ziju- 
geslacht (ebd. 1883), u. Neumann, Hugo Grotius 
(1884). Eine bibliogr. Beschreibung seiner Werke 
lieferte v. Rogge in der Bibliotheca Grotiana, 
TI 1 (Haag 1883). [Weinand.) 
Grundbesitz. [Der Boden als Grundlage 
aller wirtschaftlichen Tätigkeit. Die Rechtsordnung 
des Bodens. Arten der Besitzverteilung. Wirt- 
schaftliche und soziale Bedeutung der verschiedenen 
Arten des Grundbesitzes. Tatsächliche Verteilung 
des Grundbesitzes. Wirkung der Bodenverteilung 
im einzelnen. Rechtliche Entwicklung der Besitz- 
verhältnisse.] 
I. Der Boden als Grundlage aller wirt- 
schaftlichen Lätigkeit. Der Grund und Boden 
ist die Grundlage aller wirtschaftlichen Tätigkeit, 
indem Nahrungsmittel und Rohstoffe in ihrer 
Hauptmasse dem Boden entstammen und dieser 
der Befriedigung des Wohnungsbedürfrisses dient. 
Somit ist die Menschheit in ihrer Existenz auf den 
Boden angewiesen, und nach der Höhe der Roh- 
und Reinerträge des Bodens und seiner Rechts- 
ordnung kann man im allgemeinen den Kultur- 
zustand eines Volkes bemessen. Neben natürlichen 
Einflüssen sind die Bodenerträge indessen nicht 
allein abhängig von dem materiellen und geistigen 
Vermögen des Bodenwirtes, sondern zum großen 
Teil auch von der Art und Weise der Besitzform 
und der Besitzverteilung. Diese haben aber nicht 
allein Bedeutung für den Landwirtschaftsbetrieb 
als solchen, sondern die Form der Bewirtschaftung, 
sei es als Eigen-, Pacht oder Gemeinbesitz, und 
die Art der Verteilung des Grundbesitzes üben 
ferner einen weitgehenden Einfluß aus auf die 
politischen und gesellschaftlichen Zustände eines 
Volkes, auf die Art der Lebenshaltung, auf die 
Sitten der Bevölkerung und auf die allgemeine 
Gestaltung der Vermögensverhältnisse. Ob in 
einem Lande Groß-, Mittel= oder Kleinbesitz vor- 
herrscht, ist für die Entwicklung von Handel und 
Gewerbe nicht gleichgültig. Je gesünder die Ver- 
hältnisse des Grundbesitzes eines Landes, desto ge- 
sicherter sind in ihrer Existenz alle Erwerbszweige. 
II. Die Rechtsordnung des Bodens. In 
der Bodenrechtsordnung finden sich mancherlei 
Verschiedenheiten der Normen und selbst der lei- 
tenden Prinzipien. Sie ist einem historischen 
Wechsel in der Zeit und im Raume unterworfen 
gewesen. Die unbedingten Anhänger des ökono- 
mischen Individualismus und des Liberalismus 
haben unrecht, wenn sie unsere moderne Rechts- 
basis, „das private Grundeigentum“, als etwas 
absolut Notwendiges für Volkswirtschaft und Ge- 
sellschaft ansehen, Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit, 
selbst Möglichkeit einer Entwicklung ablehnen und 
ältere Rechtsordnungen ungünstig beurteilen. Hi- 
storische, geographische und ethnographische Ver- 
gleiche lehren die Einseitigkeit und Unhaltbarkeit 
dieser Auffassung. Bei der Frage dieser Rechts- 
ordnung gibt es keine Unmöglichkeit. Das Urteil 
ist nach der Natur des Bodens und der Menschen
	        
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