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Es ist nicht zu bestreiten, daß die neue Agrar-
verfassung dem Grundbesitz einen wirtschaftlichen
Aufschwung brachte. Der wachsenden Intensität
der Bodenkultur waren die Güter vielfach zu groß
oder zu kapitalarm; die geringe Verschuldbarkeit
hinderte die Zuführung des erforderlichen Betriebs-
kapitals. Anderseits hatte die Mobilisierung des
Grundbesitzes, die Gleichberechtigung der Erben,
die freie Teilbarkeit manches im Gefolge, was
der Entwicklung der agrarischen Verhältnisse nicht
dienlich war. Eine unbeschränkte Disposition über
seinen Grundbesit sollte das sicherste Mittel gegen
Verschuldung des Besitzers darstellen, da bei Erbtei-
lungen oder sonstigem Geldbedarf einzelne Grund-
stücke verkauft werden könnten, so daß das Gut
schuldenfrei bliebe. Auch sollte dadurch die Kultur
gefördert werden, weil Einzelverkauf die Mittel
zu besserer Bewirtschaftung böte, die Ertragsfähig-
keit des Landes beim Ubergang in bemittelte Hände
aber ebenfalls stiege. Man glaubte auch durch die
freie Disposition den kleinen Leuten Gelegenheit
zum Grunderwerb zu geben, kurz, man erwartete
alles Heil von der vollständigen Mobilisierung des
Grundbesitzes. Auf der andern Seite verlangte
man — namentlich tat es Freiherr v. Stein —
neben der Befreiung der Bauern die Einführung
eines dem deutschen Grundbesitz angepaßten Agrar-
rechts. Stein befürchtete, daß der Mangel an
Erbfolgebestimmungen zu große Teilbarkeit und
damit Verarmung und Vernichtung eines tüchtigen
Bauernstandes herbeiführen würde.
Weder die Prophezeiungen der einen noch die
der andern Seite sind ganz in Erfüllung gegangen.
In technischer Beziehung trat allerdings ein mäch-
tiger Aufschwung ein als Folge der Reform des
Agrarrechts, welche dem Grundbesitz größeren
Kredit, tüchtige Kräfte und größere Schaffenslust
zuführte. In sozialer Beziehung blieben Hoff-
nungen und Befürchtungen fast ganz resultatlos.,
Hatte die Reform im Kleinbauerngebiete über-
haupt wenig geändert, vielmehr nur eine seit Jahr-
hunderten in Bewegung befindliche Entwicklung
zum Abschluß gebracht, so blieb auch hier die Real-
teilung in demselben Maße bestehen. Anderseits
fand die „Mobilisierung“, die Realteilung in den
Gebieten des Großgrund= und Großbauernbesitzes,
wenig Verbreitung. Die Steinschen Befürchtungen
der Aufteilung des mittleren Besitzes in Zwerg-
güter ist nur hie und da unter dem Einflusse des
Code civil eingetreten. Immerhin bleiben noch
in ½ des Deutschen Reiches die Güter im Erb-
gange geschlossen. Auch an den alten Vererbungs-
grundsätzen hinsichtlich der Abfindungen hat die
Bevölkerung in weiten Kreisen festgehalten. Be-
denklich und verderblich ist die andere Wirkung,
daß der unbegrenzte Besitzkredit bei steigenden
Konjunkturen und sinkendem Zinsfuß die Nach-
frage nach Grundbesitz anregte und die Boden-
preise weit über den Ertragswert steigerte, sowie
daß die hohen Preise namentlich in neuerer Zeit
auch bei Erbteilungen zugrunde gelegt werden.
Grundbuchamt.
dur
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Die Folge war und ist eine enorme Verschuldung
des Grundbesitzes, der einem bei fallenden Kon-
junkturen notwendigen Rückgang der Bodenpreise
hindernd im Wege steht.
Eine wesentliche Verkleinerung der größeren
Güter hatte die Agrarreform nicht im Gefolge;
trotzdem fand durch die kolonisatorische Tätig-
keit der Staatsregierung im Osten Deutschlands
(Ansiedlungskommission) eine beträchtliche Ver-
mehrung der kleinen Stellen statt. Zu bedauern
ist nur, daß vor Inkrafttreten der Ansiedlungs-
gesetze diese kolonisatorische Tätigkeit häufig von
„Güterschlächtern“ betrieben wurde. Die selbstän-
digen Bauerngüter haben im Laufe des 19. Jahrh.
durch Auskauf seitens der Großgrundbesitzer und
Kapitalisten eine wesentliche Verminderung erfah-
ren, bis Mitte des Jahrhunderts 1/12 ihres Be-
sitzes. Latifundienbesitzer und industrielle Groß-
kapitalisten sehen im Grunderwerb eine Sicher-
heit der Kapitalanlage. Begünstigt wurden diese
Kapitalanlagen durch die seit den 1880er Jahren
herrschende Agrarkrisis. Das Problem der Grund-
besitzfrage liegt in den beiden Begriffen der „Ver-
schuldung“ und „Vererbung“. Vgl. die Art. Agrar-
gesetzgebung, Bauernstand.
Literatur. Lor. v. Stein, Die drei Fragen
des Grundbesitzes (1881); ders., Bauerngut u.
Hufenrecht (1882); Buchenberger, Agrarwesen u.
Agrarpolitik (2 Bde, 1892); Frhr. v. d. Goltz,
Agrar. Aufgaben der Gegenwart (1894); ders.,
Agrarwesen u. Agrarpolitik (21904); Grosse, For-
men der Familie u. Formen der Wirtschaft (1896);
E. v. Hartmann, Soziale Kernfragen (1894). Die
Art. „Grundbesitz, Bodenzersplitterung, Latifun-
dien“ im Handwörterbuch der Staatswissenschaften.
II, III—VII Bruder, rev. Christoph;
II Christoph.)
Grundbuchamt bezeichnet die mit der Ver-
waltung des Grundbuchs betraute Behörde. Das
Grundbuch ist dasjenige öffentliche Buch, welches
über den Eigentümer, die Größe und die Lage
aller Grundstücke eines Gemeindebezirkes sowie
über deren Belastung mit Dienstbarkeiten, Real-
lasten und Hypotheken Auskunft gibt. Im rö-
mischen Recht beruhte der Eigentumsübergang
bei freiwilliger Veräußerung für bewegliche und
unbewegliche Sachen auf der Besitzübergabe. Durch
sie wurde derselbe mit allen rechtlichen Wirkungen
vollzogen (Traditionsprinziph. Im deutschen
Recht hatte der natürliche Unterschied zwischen
beweglichen und unbeweglichen Sachen zu einer
Verschiedenheit in der Ubertragungsform der Mo-
bilien und Immobilien geführt. Außerdem er-
forderte die Verknüpfung politischer Rechte mit
dem Besitze von Grund und Boden sowie die hier-
mit zusammenhängende Beschränkung des Besitzers
ch das Recht des nächsten Erben eine gewisse
Offentlichkeit der Rechtsverhältmisse, in welchen die
einzelnen Grundstücke standen. Deshalb wurden,
während sich bei Mobilien der Eigentumsüber-
gang durch einfache Übergabe vollzog, für die
Übertragung von Immobilien bestimmte Formen