Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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ist nichts weiter als gewaltsame Uberschreitung der 
eigenen und Beleidigung fremder Rechte. 
Die Rechte der Untertanen sind ihrer 
Quelle und ihrem Wesen nach die nämlichen wie 
die der Fürsten; der Unterschied besteht nicht in 
verschiedenen Befugnissen, sondern nur in ver- 
schiedenen Mitteln, gleiche Befugnisse auszuüben. 
Die Pflichten der Untertanen sind ebenfalls die 
nämlichen wie die der Fürsten; sie bestehen in 
Rechtspflichten, Liebespflichten und Klugheits- 
regeln, letztere beide unter dem Vorbehalt, nie 
selbst unrecht zu tun. Den Untertanen stehen fol- 
gende Mittel zur Sicherung ihrer Rechte zu: eigene 
Pflichterfüllung, indirekter negativer Widerstand, 
Trennung von der schädlichen Gewalt, Notwehr. 
Gewaltsamer Widerstand gegen fürstliche Be- 
drückungen ist zwar nach natürlichem Gesetz nicht 
absolut unrechtmäßig, aber gewöhnlich nicht aus- 
führbar, in den meisten Fällen unklug und mit 
größeren Übeln verbunden als die Bedrückung 
selbst und soll immerhin in der Ausübung durch 
Menschlichkeit und Liebe gemäßigt werden. Ver- 
trauen auf göttliche Hilfe, d. h. auf die Kraft der 
Natur, die sich fortdauerndem Unrecht widersetzt, 
auf die Unzerstörbarkeit des Pflichtgesetzes und auf 
die natürlichen Strafen, welche die Verletzung des 
Pflichtgesetzes begleiten, ist das beste und sicherste 
Mittel 
Zur Erhaltung der Patrimonialstaaten (Ma- 
krobiotik) dient Behauptung aller Arten von Macht 
und Überlegenheit, wodurch die Unabhängigkeit 
gegeben ist. Mittel sind: 1) Beibehaltung der 
Territorialmacht (Unteilbarkeit, Erstgeburt, Suk- 
zessionsordnung), 2) gute Okonomie, 3) sorg- 
fältige Auswahl guter Beamten und Diener, 
4) Erhaltung des höchsten Ansehens und der Ehr- 
furcht im Innern des Landes (moralische Macht), 
5)kriegerische Tugend (militärische Kräfte), 6) Ver- 
meidung innerer Streitigkeiten und Kriege, 
7) Schließung vorteilhafter und Vermeidung 
aller nachteiligen Verträge (föderative Macht), 
8) kluge Fügung in unvermeidlich nachteilige Ver- 
hältnisse (Restauration der Staatswissensch. II u. 
III 1/172). 
2. Entsprechend entstehen die militärischen 
Staaten auf natürliche Weise von oben herab, 
durch sukzessive Aggregation, mittels einzelner 
Dienstverträge, und sind sowohl in ihrer Stiftung 
als in ihrem Gegenstande rechtmäßig. Die un- 
abhängige Militärherrschaft kann ursprünglich 
auch ohne Grundeigentum sein, bedarf aber des- 
selben zu ihrer Erhaltung. Der Übergang von 
der bloßen Militärherrschaft zur Patrimonial= 
herrschaft mildert die erstere, und die Vereinigung 
beider Herrschaften hat zur Folge die Koexistenz 
zweier ganz verschiedenen Rechtsverhältnisse: a) des 
militärischen zwischen dem Anführer und seinen 
Waffengefährten und b) des grundherrlichen gegen 
die früheren Landeseinwohner. Als wichtigste Fol- 
gen ergeben sich außer den Spuren von dem Rechte 
gegen Überwundene (Tribute, schwerere Dienst- 
Haller. 
  
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leistungen der letzteren), die militärische Organi- 
sation und Subordination in der Verwaltung des 
Reichs, Belohnung der mitgeführten Getreuen 
(Hof= und Ministerialdienste), Länderverschen- 
kungen (Lehnssystem) und ähnliche Privilegien, 
Entstehung eines neuen Adels (militärischer Lehns- 
adel, Briefadel) und Versammlung von Reichs- 
ständen, die aber keine gesetzgebende, sondern nur 
eine teils ratgebende teils einwilligende vom König 
nach Gutfinden zusammengesetzte Versammlung 
sind. Die sog. Nationalfreiheiten bilden den In- 
begriff der vom König erteilten Privilegien oder 
Begünstigungen und kommen nur den ursprüng- 
lichen Getreuen und deren Nachkommen zu. 
Für die militärischen Könige, welche zugleich 
Grundherren sind, gelten die nämlichen Klugheits- 
regeln (Makrobiotik) wie für die Patrimonial- 
fürsten. Insbesondere ist die Stellung gegen die 
Klasse der Vasallen und Getreuen zu berücksich- 
tigen; dem allzu großen Steigen ihrer Macht ist 
vorzubeugen und stets die eigene Macht zu be- 
haupten. Das Lehnssystem ist rein zu erhalten; 
gemachte Schenkungen von Ländereien, erteilte 
Privilegien sind heilig zu halten, aber nicht zu ver- 
mehren oder über die Schranken auszudehnen usw. 
(Restauration der Staatswissensch. III 173/573). 
3. Unabhängige geistliche Herren= oder Prie- 
sterstaaten. Auch die geistliche Herrschaft ist 
natürlichen Ursprungs; sie entsteht von oben herab, 
durch sukzessive Aggregation der Jünger und 
Gläubigen und beruht auf der Überlegenheit des 
Geistes und auf dem korrespondierenden Bedürfnis 
des Glaubens. Sie kann auch aus einer falschen, 
aber für wahr gehaltene Lehre hervorgehen; doch 
ist die Herrschaft des Irrtums nie allgemein und 
fortdauernd. Die geistliche Herrschaft stützt sich 
auf die Gemüter und hat ebendeswegen eine un- 
ermeßliche Kraft; nur eine religiöse Lehre kann 
eine ausgebreitete Herrschaft nach sich ziehen, weil 
diese allein allen Menschen Bedürfnis ist; die 
geistliche Herrschaft ist die freieste, zwangsloseste 
und wohltätigste von allen, kann aber in ihrer 
Anwendung fürchterlich mißbraucht werden, wenn 
sie statt Wahrheit Irrtum bezweckt. — Die geist- 
liche Herrschaft wird durch die Vereinigung der 
Gläubigen in eine äußere Kirche befestigt. Die 
Verfassung jeder Kirche besteht teils in wesent- 
lichen, in der Natur der Sache selbst liegenden 
Verhältnissen teils in positiven Formen und Hilfs- 
mitteln, welche von ihrem Stifter angeordnet und 
von seinen Nachfolgern entwickelt werden. In 
jeder Kirche ist ein Oberhaupt notwendig, und es 
bestehen zwischen demselben und den Gläubigen 
Rechte und Pflichten. 
Die geistliche Herrschaft kann mit einer grund- 
herrlichen und sogar unabhängigen weltlichen 
Macht vereinigt werden. In diesem Falle bleibt 
die Kirchenverfassung die Hauptsache und das 
Fundament. Aus der doppelten Grundlage ent- 
steht ein größerer Umfang der Macht. Weitere 
Folgen sind ein billiger Vorzug der Gläubigen
	        
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