Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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klärt auf so lange, bis die Stadt selbst ihre Auf- 
nahme in den Zollverband beantragen würde. 
Politisch mit dem Reiche aufs engste verbunden, 
blieben die Städte in wirtschaftlicher Beziehung 
Ausland, ein Zustand, der bald manche Verdrieß- 
lichkeiten und Zollplackereien herbeiführte. Nach 
Einleitung der neuen deutschen Wirtschaftspolitik 
(1879) ergaben sich aus dieser Sonderstellung 
vermehrte Reibereien. Da entschloß sich die Ham- 
burger Bürgerschaft, welche im Interesse des Welt- 
handels an der Freihafenstellung festgehalten hatte, 
die Einverleibung der Stadt in den Zollverband 
zu beantragen. Durch Gesetz vom 16. Febr. 1882 
wurde ihr vom Reich ein beschränktes Freihafen- 
gebiet zugesichert, in welchem zwar keine Woh- 
nungsniederlassungen bestehen sollen, den betei- 
ligten Industrien aber sonst völlig freie Hand im 
Warenbezuge und der Produktion gewährleistet 
ist. Das Reich verstand sich ferner zur Leistung 
eines Zuschusses von 40 Mill. M für umfang- 
reiche notwendige Bauten, und in der Nacht vom 
14. auf den 15. Okt. 1888 fielen die letzten Zoll- 
schranken innerhalb Deutschlands. Gegenwärtig 
umfaßt das Freihafengebiet von Hamburg 10,19 
und das von Cuxhaven 0,56 aqkm. Die Cholera, 
die im Jahre 1892 in Hamburg ausbrach, schlug 
dem Handel und Verkehr schwere Wunden und 
zwang zu einer umfassenden Sanierung der alten 
Stadtteile. Die Verbesserung des Fahrwassers der 
Elbe, Uferbauten, Erweiterung der Hafenanlagen 
u. dgl. führten zu verschiedenen Abmachungen mit 
Preußen. Im Jahre 1909 steht wieder eine schon 
70 Jahre dauernde Streitfrage im Vordergrund, 
die sog. Köhlbrandfrage. Gemeinsam mit Preußen 
soll Hamburg den sog. Köhlbrand vertiefen, ob- 
gleich dadurch vorwiegend die benachbarte preu- 
ßische Stadt Harburg gefördert wird. 
2. Fläche, Bevölkerung, Erwerbs- 
verhältnisse. Das Gebiet der Hansestadt be- 
greift ein Areal von 415 qkm (einschließlich 
256 ha Elbfläche) und besteht aus der Stadt mit 
Vorstädten, 16 im Jahre 1895 einverleibten Vor- 
orten und den 4 „Landherrenschaften“: 1) Geest- 
lande mit den 4 Walddörfern, 2) Bergedorf 
mit den Vierlanden, Geesthacht und Ostkrauel, 
3) Marschlande mit Moorburg und den Elbinseln, 
4) Ritzebüttel mit Cuxhafen und der Nordseeinsel 
Neuwerk. Die Bevölkerung verteilt sich auf 
2 Städte (Hamburg und Bergedorf) und 48 Land- 
gemeinden. Die Volkszahl betrug 1905: 874878 
Köpfe. Auf die Stadt Hamburg entfielen: 802793, 
auf Bergedorf: 12 384. Das Wachstum der Be- 
völkerung, die 1770: 100 000, 1811: 106 983, 
1834:145 418, 1861: 198 214. 1871: 338974, 
1885: 518 620, 1900: 768349 Seelen betrug, 
fällt wesentlich in die neueste Zeit des wirtschaft- 
lichen Aufschwunges; von 1871 (816,8 auf 
1 qkm) bis 1905 (2113,8) hat sich ihre Dichtig- 
keit fast verdreifacht. Dem Bekenntnis nach waren 
1905: 807 429 Protestanten, 40 639 Katholiken, 
19 602 Juden. Auf 1000 Einwohner kamen 
  
Hamburg. 
  
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922,9 (1871: 904,4) Protestanten, 46,4 (1871: 
22,9) Katholiken, 22,4 (1871: 40.7) Juden. 
Nach der Berufszählung von 1907 widmeten 
sich: 24254 (1882: 22 478) der Landwirtschaft, 
352 905 (195 491) der Industrie und dem Bau- 
wesen, 858 910 (159 721) dem Handel und Ver- 
kehr, 68 558 (28712) dem öffentlichen Dienste 
und freien Berufen; 25 467 (26 486) verrichteten 
wechselnde Lohnarbeit und häusliche Dienste, 
54 661 (33 628) waren ohne Beruf und Berufs- 
angabe. 
Das Gebiet ist teils Geestland teils sehr frucht- 
bares Marschland, im Holsteinischen verteilt 
(Roggenbau). Die ehedem unbedeutende Industrie 
hat sich seit Einführung der Gewerbefreiheit 
(1860) und Beseitigung der Zunftordnung (1864) 
sehr entwickelt. Ihre Hauptzweige sind der Schiffs- 
bau mit großartigen Werften, die Schmalz-, Spi- 
ritus= und Petroleumraffinerie, chemische Fabriken, 
Eisengießereien, Maschinenfabriken, Kaffeeröste- 
reien, Reisschälmühlen, Zigarrenfabrikation, Fisch- 
räucherei u. a. Hamburg ist die größte Handels- 
stadt des Deutschen Reiches und nächst London 
und Liverpool der bedeutendste Handelsplatz Euro- 
pas. Sein Seehafen ist nach London und Neuyork 
der erste der Welt. Hamburg steht mit den meisten 
Seehandelsplätzen der Welt in direkter Dampfer- 
verbindung. Am bedeutendsten ist der Verkehr mit 
Großbritannien sowie Nord= und Südamerika. 
Die Reederei hob sich besonders schnell nach 
der Beseitigung der englischen Navigationsgesetze 
(1850). Im Jahre 1849 wurden gezählt 200 
Schiffe mit 50 000, 1881: 500 Schiffe mit 
270000 Registertonnen; Anfang 1907: 1256 
Seeschiffe mit 1,5 Mill. R.-T. netto und 31000 
Mann Besatzung (darunter 679 Dampfer mit 
1,2 Mill. R.-T. netto und 26000 Mann Be- 
satzung). Die erste Hamburger Schiffahrtsgesell- 
schaft, die Hamburg-Amerika-Linie (Hamburg- 
Amerika-Paketfahrt-Aktiengesellschafthist die größte 
Reederei der Welt (Ende 1908: 168 Ozean- 
dampfer und 223 Flußdampfer, Schlepper, Leich- 
ter usw. mit 956 000 R.-T. brutto). Die Hauptein- 
und Ausfuhrwaren sind Zucker, Kaffee, Schafwolle, 
Häute und Felle, Eisenwaren, Maschinen u. a. 
Der Wert der Ein= und Ausfuhrwaren beträgt 
jährlich etwa je 5000 Mill. M. Die überseeische 
Auswanderung über Hamburg ist nicht so bedeu- 
tend wie die über Bremen. Außer der Reichsbank- 
hauptstelle, welche im Jahre 1876 die 1619 ge- 
gründete Girobank ersetzte, bestehen mehr als 20 
bedeutende Bankniederlassungen. Großartig ent- 
wickelt ist das Seeversicherungswesen (330 Ver- 
sicherungsgesellschaften). 
Die Eisenbahnen (72 km, davon 8 km Neben- 
bahnen) sind bis auf 10 km im Besitze des Staates. 
3. Verfassung, Verwaltung. Hamburg 
ist eine demokratische Republik, aber keine Demo- 
kratie. Die oberste Gewalt liegt nach der Verfas- 
sung vom 28. Sept. 1860 (abgeändert am 13.Okt. 
1879) in den Händen des Senates und der Bürger-
	        
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