91
Schule könnte also nicht Unterrichtsanstalt sein,
wenn sie nicht vorher Erziehungsanstalt wäre.
Ersteres ist durch letzteres notwendig bedingt. Die
Schule muß es in erster Linie darauf absehen, zu
erziehen, und gerade zu dem Zweck, um zu er-
ziehen, muß sie unterrichten.
5. Schulzwang. Eine Pflicht, ihre Kinder
in die Schule zu schicken, haben die Eltern an und
für sich nicht. Wenn letztere in anderer Weise
für einen hinreichenden Unterricht, wie er für den
künftigen Beruf erforderlich ist, sorgen können,
so muß ihnen dies unbenommen bleiben. Sind
sie aber dazu außerstande, dann kann man sie
allerdings von der Pflicht, ihre Kinder zu dem
gedachten Zweck in die Schule zu schicken, nicht
entbinden. Denn die Kinder haben das Recht auf
alle jene religiös-sittlichen und weltlichen Kennt-
nisse, die ihnen dereinst für ihr religiös-sittliches
und bürgerliches Leben unentbehrlich sind. Aber
freilich muß es den Eltern zustehen, für ihre Kin-
der jene Schule auszuwählen, von der sie die ge-
gründete Überzeugung haben können, daß in ihr
eine gute christliche Erziehung geboten und daß der
erziehliche Unterricht darin im Geiste des positiven
Christentums erteilt wird. Dieses Recht ist in
dem Erziehungsrecht der Eltern inbegriffen, sowie
in der ihnen obliegenden Erziehungspflicht; sie
sind ja vor Gott für die Erziehung ihrer Kinder
verantwortlich. Ja in Kraft dieser Erziehungs-
pflicht dürfen christliche Eltern ihre Kinder einer
Schule gar nicht übergeben, von der sie die ge-
gründete Uberzeugung haben, daß die Grundsätze
und der Geist des Christentums in ihr nicht maß-
gebend sind.
Hieraus ergibt sich denn nun auch das maß-
gebende Urteil über den allgemeinen Schul-
zwang, der darin besteht, daß alle Eltern in
Kraft eines allgemeinen Gesetzes gezwungen wer-
den, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Dieser
allgemeine Schulzwang läßt sich naturrechtlich
nicht begründen; denn nach natürlichem Recht steht
es immer den Eltern zu, über die Art und Weise
zu entscheiden, wie sie ihre Kinder erziehlich unter-
richten, oder wie sie ihnen den erziehlichen Unter-
richt erteilen lassen wollen. Daß solches gerade
auf dem Weg des Schulunterrichts geschehen müsse,
davon sagt das natürliche Rechtsgesetz nichts. —
Allein wenn auch der allgemeine Schulzwang sich
naturrechtlich nicht begründen läßt, so kann man
doch zugeben, daß er heutzutage im Hinblick auf
unsere religiösen, bürgerlichen und sozialen Ver-
hältnisse sich rechtfertigen lasse. Bei unsern mo-
dernen religiösen Zuständen erscheint es als un-
umgänglich notwendig, daß die Jugend einen
gründlichen und methodischen Religionsunterricht
erhalte, damit sie dadurch gewaffnet werde gegen
die Angriffe auf ihren Glauben und im christlichen
Bewußtsein erstarke. Ein solcher gründlicher und
methodischer Religionsunterricht kann aber wohl
kaum anders als in der Schule erteilt werden.
Ebenso bestimmen die Erwerbsumstände zur An-
Erziehung.
92
eignung gewisser grundlegender Kenntnisse, die in
zweckentsprechender Weise nur in der Schule ge-
lehrt werden. Dazu kommen unsere gegenwärtigen
sozialen Verhältnisse. Was würde ohne obligato-
rischen Schulbesuch aus den Kindern unseres mo-
dernen Proletariats werden? Nimmt doch schon
jetzt die Roheit und Sittenlosigkeit in gewissen
Schichten der Großstädte, ja kleinerer und mittlerer
Orte eine schreckenerregende Ausdehnung an.
Was würde erst werden, wenn kein Schulzwang
bestände! So ist denn dieser tatsächlich heute eine
Notwendigkeit, der so ziemlich alle Kulturnationen
oder solche, die es werden wollen, Rechnung ge-
tragen haben, und zwar durchschnittlich für das
6. bis 14. Lebensjahr. Unentschuldigtes Fern-
bleiben vom Unterricht wird bestraft. Keinesfalls
dürfte den Eltern aber auch zwingend vorge-
schrieben werden, in welche Schule sie ihre Kinder
zu schicken haben; denn in solcher Form hebt der
Schulzwang das elterliche Erziehungsrecht auf,
und das kann nicht gestattet werden. Der Staats-
schulzwang, durch den die Eltern gezwungen wer-
den, ihre Kinder in die Staatsschulen, und nur
in diese, zu schicken, ist unberechtigt; denn er findet
sich in direktem Widerspruch mit dem elterlichen
Erziehungsrecht, das unter jeder Bedingung auf-
recht erhalten werden muß.
6. Schule, Kirche und Staat. Eine
weitere Frage ist die, in welchem Verhältnis die
Kirche und der Staat zur Schule stehen. Es sei
vorausgeschickt, daß über die Beziehungen beider
Machtfaktoren in dieser Hinsicht noch keine Einig-
keit erzielt ist. In ältester Zeit war die Schule
ausschließlich eine Einrichtung der Kirche, die ur-
sprünglich nur religiösen, später auch profanen
Unterricht bot. Seit dem Beginn der Reforma-
tion breitete sich die Laisierung des Unterrichts
immer mehr aus, und zwar zunächst an den höheren
Schulen und Universitäten. Der Westfälische
Friede und der Reichsdeputationshauptschluß spra-
chen die Schule noch der Kirche zu; die moderne
Gesetzgebung machte sie jedoch mehr oder weniger
zu einer Staatsanstalt. Daher nimmt heute die
Staatsregierung für sich und ihre Organe allein
die Ausübung aller Lehrtätigkeit in Anspruch oder
läßt doch Privatschulen nur mit ihrer Genehmi-
gung und unter ihrer Aufsicht zu.
Dem gegenüber sei nun zunächst festgestellt, daß
die Schule, da sie nach unsern Ausführungen
wesentlich Erziehungsanstalt ist, unzweifelhaft der
Kirche ein Aussichtsrecht einzuräumen hat. Denn:
1) Die Kirche ist die große Erzieherin des Men-
schengeschlechts; dazu hat sie von Gott, als dem
obersten Erzieher, die Sendung erhalten. Folglich
muf sich auch die Schule, weil wesentlich Erzie-
hungsanstalt, als natürliches Glied in den großen
Erziehungsorganismus der Kirche eingliedern.
2) Die Eltern fungieren in der Erziehung ihrer
Kinder nach christlicher Ordnung als Organe der
Kirche, der obersten Erzieherin hienieden. Verhält
es sich aber so, dann können die Eltern die Er-