Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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mehrung der Bedürfnisse, die durch den Handel 
befriedigt werden müssen, haben es mit sich ge- 
bracht, daß auch der Mengenumsatz, den der Han- 
del der Gegenwart zu bewältigen hat, gegen früher 
gewaltig gestiegen ist und ganz ungeheure Massen 
umfaßt. Zu diesen Ursachen kommt noch das Be- 
kanntwerden ganz neuer Naturprodukte, die im 
Gegensatz zu früheren Zeiten heute zu den täglichen 
Bedürfnissen der Bevölkerung aller zivilisierten 
Länder gehören, sowie der zahlreichen Erzeugnisse 
einer nie rastenden, sich stets vervollkommnenden 
und steigernden Industrie, die desgleichen von 
allen Ländern der Welt wechselweise begehrt wer- 
den. Der Umsatz der im Binnenhandel der ein- 
zelnen Länder ausgetauschten Waren= und Wert- 
niengen läßt sich ziffernmäßig nicht erfassen; eine 
Statistik darüber gibt es nicht; es steht nur fest, 
daß er bedeutend größer ist wie der des Außen- 
handels. Die Statistik des letzteren aber weist 
riesige Zahlen auf. Nach dem Statistischen Jahr- 
buch für das Deutsche Reich für das Jahr 1908 
belief sich der Wert des Gesamtaußenhandels der 
wichtigeren Länder der Erde im Jahre 1890 auf 
73 563,2, im Jahre 1905 auf 113 981,9 Mll. u. 
Zur Beurteilung der Bedeutung, welche dem 
deutschen Handel im Verhältnis zu seinen wich- 
tigsten Rivalen auf dem Weltmarkte zukommt, 
mögen dann noch folgende Zahlen dienen. Im 
Jahre 1890 betrug der Anteil Deutschlands an 
diesem Gesamtaußenhandel 11,1 %, im Jahre 
1905: 11,9%, der Belgiens 6,7 bezw. 6,5 , 
der Frankreichs 11,3 bzw. 8,7% , der Großbri- 
tanniens (ohne Kolonien) 20,8 bzw. 17,4% 
und der der Vereinigten Staaten von Amerika 
9,4 bzw. 9,7 % . Im Jahre 1906 stieg der Ge- 
samtwert auf 125 353,9 Mill. A und der Anteil 
Deutschlands daran auf 12,4% . Indessen kann 
aus den unten Sp. 1036 (bei den Bemerkungen 
über Generalhandel usw.) angegebenen Gründen 
dieser letzteren Vergleichssumme nur ein bedingter 
Wert zugemessen werden. Der Spezialhandel (s. 
unten Sp. 1036) Deutschlands belief sich im Jahre 
1890 auf 4272,9 Mill. M in Einfuhr und auf 
3409,6 in Ausfuhr, im Jahre 1905 dagegen 
auf 7436,3 bzw. 5841,8 Mill. M. 
Im übrigen ist die Ausgestaltung des Handels 
nach den angegebenen Richtungen, soweit es sich 
dabei um eine wirkliche Umgestaltung und nicht 
bloß um Veränderungen in nebensächlichen Zügen 
handelt, ein Ergebnis verhältnismäßig recht naher 
Vergangenheit. In der Hauptsache ist sie herbei- 
geführt durch die Veränderungen, welche sich im 
Verkehrswesen und der Nachrichtenvermittlung 
vollzogen haben, namentlich durch die Entstehung 
und Ausbildung eines beson dern Fracht- 
gewerbes sowie durch die Nachrichtenver- 
mittlung mittels der Post= und Telegraphen= 
anstalten. Länder, welche an diesen Fortschritten 
nicht teilgenommen haben, haben selbstverständlich 
auch keine entsprechende Entwicklung des Handels 
aufzuweisen, und so finden wir den Handel in 
Handel usw. 
  
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dieser Beziehung sehr ungleichmäßig ausgebildet; 
in manchen Ländern bewegt er sich noch ungefähr 
in denselben Formen wie vor Jahrhunderten. — 
Wir haben schon hervorgehoben, daß ursprünglich 
der Kaufmann seine Waren begleitete; er hatte 
aber auch für ihre Verfrachtung mittels eigener 
Transportmittel zu sorgen. Ein eigenes Fracht- 
geschäft für den Handel finden wir zuerst, und 
zwar schon bei den Phöniziern, im Seeverkehr, 
indem es bei ihnen neben dem Kaufmann, der 
für sich allein, als Reeder und Kaufmann, sein 
Schiff verfrachtet, den Schiffer gibt, der selbst 
wohl Fischerei und Handel treibt, aber auch andere 
Händler mit ihren Waren an Bord nimmt und 
an fremde Küsten führt, genau so, wie in unsern 
Tagen. Anders indessen ist es bei dem Fracht- 
geschäft zu Lande. Trotzdem im Altertum sehr 
viel für die Erleichterung des Verkehrs geschah, 
namentlich auch schon in der Zeit nach Alexander 
dem Großen und besonders zur römischen Kaiser- 
zeit die Vollkommenheit der Transportmittel einen 
hohen Grad erreicht hatte, eine Vollkommenheit, 
die größer war als im Mittelalter, so finden sich 
doch nur Spuren von gewerbsmäßigem Fracht- 
geschäft zu Lande. Auch während des Mittel- 
alters ändert sich dieser Zustand nicht erheblich; 
erst vom 15. Jahrh. ab löst sich das Transport- 
gewerbe allmählich vom Handel und bildet sich 
langsam zu einem selbständigen Hilfsgewerbe des- 
selben aus. Entsprechend verhält es sich mit der 
Nachrichtenvermittlung. Schon die persischen Kö- 
nige hatten vorzügliche Relais-Posten eingerichtet, 
und in der späteren Zeit finden sich solche dau- 
ernd, aber nur im Dienste der Staatsverwaltung, 
nicht im Dienste des Verkehrs; die Beförderung 
von Briefen, Wertsendungen hatten die Kaufleute 
bis ins späte Mittelalter hinein selbst zu besorgen. 
Erst vom Anfange des 16. Jahrh. an entwickelte 
sich die Post im heutigen Sinne als jener mäch- 
tige Faktor im Handelsverkehr zur Beförderung 
von Nachrichten, Personen und Waren. Diese 
Entwicklung ist eine der bedeutsamsten, welche die 
Geschichte des Handels aufzuweisen hat, indem 
sie den Kaufmann von dem Zwange befreite, seine 
Waren selbst oder durch einen Stellvertreter zu 
begleiten; von nun an konnte er „zu Hause blei- 
ben, durch Briefe und Frachtgeschäfte, welche 
andere besorgten, seinen Handel abmachen; er 
brauchte nicht mehr in gleichem Maße wie früher 
allein oder in Genossenschaft sich eine Stellung 
in fremden Ländern zu erkämpfen“. Zugleich 
entsteht die für eine lange Periode wichtige In- 
stitution der Handlungs= und Musterreisenden. 
Von großartigster Wirkung waren dann in der- 
selben Richtung die Vervollkommnungen, die sich 
an den Bau der Dampfschiffe. Eisenbahnen, Tele- 
graphen= und Telephonanstalten knüpften, ganz 
abgesehen von der hiermit zusammenhängenden 
ungeheuern Steigerung der Massenleistung. 
In ähnlicher Weise haben sich das Kom- 
missionsgeschäft, die Spedition, das
	        
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